Im 2006 hast du mein Idol, Andre Agassi, bei seiner Abschiedstournee in Wimbledon gnadenlos aus dem Turnier genommen. Ich muss zugeben, dass du dich mit diesem "Frevel" bei mir höchst unbeliebt gemacht hast. Auf der anderen Seite hast Du schon damals deine Sportlichkeit bewiesen und dich ohne jegliche Jubelgesten und fast etwas zurückhaltend am Netz von der amerikanischen Tennislegende verabschiedet.
Also bist du quasi kein Nadal Fan der allerersten Stunde?!
Ich mochte Nadal zwar von Beginn an, mein Fan-Herz eroberte er aber auch erst wesentlich später.
Generell war ich froh drum, dass nach dem Aufstieg Federers zu absoluten Dominator weitere Topspieler (Nadal, Djokovic & Murray) hochkamen, die dem Schweizer Paroli bieten konnten. Nadals Spielweise war ja schon damals einzigartig, seine Beweglichkeit und Schnelligkeit außergewöhnlich. Viele Gegner mussten Punkte 3-4 mal gegen Nadal gewinnen, ehe der Ball endlich tot war. Aber so richtig intensiv habe ich damals mit Nadal noch nicht mitgelitten. Allgemein habe ich die Duelle der Big4 untereinander mit großem Interesse, aber eher neutral verfolgt. Mein absoluter Lieblingsspieler damals war David Nalbandian, dazu habe ich eher mit den damaligen deutschen Spielern (Kiefer, Haas, Schüttler und Kohlschreiber) mitgefiebert. Und ich habe mich auch häufig mal gefreut, wenn einer oder mehrere der Big4 früh ausschieden, da so mal jemand anderes weit kommen konnte.
Die wohl größte Freude über eine Niederlage Nadals hatte ich 2007 in Paris, als er das Finale gegen Nalbandian in 2 Sätzen verlor. Damals dachte ich: "Nadal wird das eh in den folgenden Jahren mal gewinnen" .... rückwirkend falsch gedacht, Nadal sollte dort nie wieder ins Finale vordringen und es wurde eins von zwei 1000ern, welches er nie gewinnen konnte. Schande über mein Haupt.
In den folgenden Jahren stieg Federer ja zum erfolgreichen GS Sammler der Geschichte auf, da hatte ich immer die Hoffnung, dass der um einige Jahre jüngere Nadal dort auch hinkommen könnte. Zumal er der jüngste Karriere Gold Slam Sieger wurde. Spätestens da war klar, dass er auf allen Belägen immer zu den Favoriten zählen wird. Aber dass ich jetzt fast jedes seiner Matches verfolgt habe, das war noch nicht. Das kam erst 2014, ausgerechnet bei einer seiner bittersten Niederlagen in Australien, nämlich die gegen Stan Wawrinka. Angeschlagen weiterzuspielen und sich (aussichtslos) zu quälen, ab diesem Zeitpunkt wusste ich: Das ist der Spieler der Big3, den ich am Ende an der Spitze sehen möchte. Nach Nadals 14. GS Titel in Paris im gleichen Jahr kam eine lange Durststrecke: Viele Verletzungen und keine Form. Selbst in Paris war er 2015 chancenlos gegen Djokovic. Zu dem Zeitpunkt habe ich eigentlich kein Match mehr von Nadal verpasst und immer die Hoffnung gehabt, dass es endlich wieder aufwärts geht. Sein Wille war der selbe, aber die Form passte einfach nicht mehr. 2016 gewann er zwar nach großer Kraftanstrengung wieder ein 1000er, aber wie gesagt, spielerisch war das dünn, gemessen an seiner Dominanz vergangener Jahre. Dazu kamen bittere Niederlagen auf GS Ebene gegen Gegner, gegen die er vorher nie verloren hätte (Fognini, Verdasco, Pouille).
2017 (im speziellen das 3. Runden-Match gegen Zverev) brachte das endlich die Wende. Körperlich wieder bei 100%, mit der alten Leidenschaft und offensiverem Tennis ging es wieder in ein GS Finale, welches er dann gegen seinen alten Rivalen Federer verlor. Spätestens auf Sand konnte er diese Wiederauferstehung dann untermauern. Aber dass er Federer jemals ein- oder gar überholen könnte, was GS Titel angeht. Ausgeschlossen! 1-2 gute Jahre noch und das war es dann. Und wieder mal kam es anders. Verletzungen blieben Rafa treu, trotzdem kam er immer und immer wieder zurück und gewann weitere Major Titel, auch außerhalb von Paris. Das Finale, wo ich wohl am meisten mitgelitten habe, was das 2019 in NY, wo er drauf und dran war, nach 2-0 Satzführung noch gegen Medvedev zu verlieren. Ich weiß noch, wie damals Medvedevs Return ins Aus flog und Nadal auf dem Court von NY lag. Puh, das Match hatte Nerven gekostet.
Ein weiteres Highlight war dann natürlich der Corona-Titel 2020 im eiskalten Paris. Nach einem halben Jahr Pause und nur einem Vorbereitungsturnier Djokovic im Finale so chancenlos zu überfahren, seine wohl beste Leistung in einem GS Finale (und das bei Bedingungen, die ihm unter Garantie nicht lagen). Nun war er endlich auf Augenhöhe mit seinem großen Rivalen und Freund Roger Federer. Es folgten weitere Verletzungen und die wohl letzten Highlights seiner Karriere: Das was weiß ich wie viele Comeback mit den sensationellen GS Titeln Nr. 21 und Nr. 22 in Melbourne und Paris. Vermutlich war das der Punkt, in dem er seinem Körper endgültig zu viel zugemutet hatte und der Preis nun verdammt hoch war.
Alles im Leben hat ein Ende, aber die Karriereenden der Big3 haben schon etwas sehr spezielles, auch wenn sie (wie
@L-james richtigerweise angemerkt hat) alles aus ihren Karrieren rausgeholt haben. Alle 3 haben eine so außergewöhnliche Klasse, dass sie es geschafft haben, ihr Spiel der Zeit anzupassen. Am Ende gehen sie nicht, weil jüngere das Tennis neu erfunden haben, sondern weil der Zahn der Zeit auch vor ihnen nicht halt macht.