Das ist in der Tat eine zwiespältige Sache und ich maße mir mal an, das als ehemals Betroffener ganz gut beurteilen zu können.
Ich glaube weniger, dass sich der Trittbretteffekt, den Ladwig im Wiki-Werther Artikel anspricht, so sehr auf Menschen auswirkt, die tatsächlich an klinischen oder manischen Depressionen leiden. Sowas wirkt eher auf Affekthandelnde, das hat aber letztlich mit der Krankheit an sich relativ wenig zu tun. Der Drang nach Medien/Aufmerksamkeit durch Suizid ist meiner Erfahrung nach sicher ein Phänomen, dass Ursachen in der Depression hat, aber eher mit sozusagen "Minderwertigkeitskomplexen", akuten Negativerelebnissen, Frust u.ä. zu tun hat. Für einen Suizid in diesem emotionalen Umfeld sind aber auch viele andere Dinge mögliches Vorbild: Amokläufe z.B., die für einen klassisch depressiven, wie es wohl Enke war, keine Alternative darstellen, niemals. In der klassischen Depression spielt Aggression (und ein bewusst öffentlicher Suizid ist ein aggressiver Akt) einfach nicht diese Rolle, eigentlich spielt sie gar keine. Wohlgemerkt: Enkes Suizid ist für mich defintiv kein bewusst öffentlicher.
Gleichwohl kann ich mir einen "Enke-Effekt" durchaus vorstellen. Ich als jemand, der das schon recht lange hinter sich hat, habe dadurch so einiges noch einmal durchleben müssen. Nach der Sache an sich (nachdem die Umstände bekannt wurden) und auch jetzt bei der Vorabveröffentlichung des Buchs. NATÜRLICH fühlt man sich da seelenverwandt, man hat hat ja genau das ebenfalls durchlebt, dieselben Höllenqualen, das "nicht aufstehen können" (nur konnte man da keinen Leistungstest absagen...wenn man nicht die Kraft fand, einen Arzt aufzusuchen, hat man schlicht seinen Job verloren-und wenn man danach nicht die Kraft hat, zum Amt zu gehen, fangen die realen Probleme erst an).
Und wenn man das jetzt, Jahre später nochmal liest, wird man schon ein Stück zurückgeworfen...man erinnert sich und merkt, dass dieses Gefühl nicht weg ist-es wäre kinderleicht, sich wieder hinzugeben. Denn die Depression ist ein Teil deiner selbst, sie lockt dich dann: komm, wir sind doch gut miteinander ausgekommen..am Ende bin ICH doch die einzige, die dich jemals wirklich verstanden hat, denn ich bin du. Man schüttelt sich und es ist dann auch wieder weg...und es bleibt auch gottlob weg, erstmal wenigstens. Ich weiß wer und was ich bin und das verf*te A*schloch kann mir nichts anhaben, ICH bin hier der Chef und ich lasse es nicht zu.
Wenn ich aber sowas schon bei mir beobachte, 15 Jahre nachdem es wirklich akut und suizidal war..wie wirkt das dann auf Menschen, die es JETZT in schlimmster Form erleben? Die noch nie mit jemanden darüber gesprochen haben und jetzt meinen, jemanden gefunden zu haben, der doch war wie sie..und seinen Ausweg gefunden hat?
Keine Frage. Enkes Weg hat Nachahmer gefunden und das Buch wird Nachahmer zeugen. Es werden Menschen sterben, weil dieses Buch erscheint. Menschen, die vielleicht sonst nicht gestorben wären. Das ist nicht zu vermeiden. Trotzdem ist die Berichterstattung richtig und trotzdem ist dieses Buch richtig und wichtig. Weil es Bewusstsein schafft und weil ich zu 1000% überzeugt bin, dass dieses Bewusstsein mehr Leben retten kann, als es kostet. Weil es in der Lage ist, Eltern zum Nachdenken zu bringen, Freunde, Ehefrauen, vielleicht sogar Kollegen.