Das ist so eine Haltung, die ich nur schwer nachvollziehen kann.
Für jeden Menschen kommt irgendwann der Moment der Wahrheit. Vieles war man über sich selber denkt, muss man dann im Selbstversuch testen. Ein Obdachloser auf der Strasse bittet einen um Hilfe, eine Frau wird bedrängt, und nur wenn dieser Moment tatsächlich kommt, sieht man, wer man wirklich ist und ob das, was man über sich selber denkt, tatsächlich wahr ist.
Die 68er dachten, dass sie der Generation ihrer Eltern moralisch überlegen sind und sich selber nicht so gleichgültig und egoistisch im Angesicht des Unrechts verhalten hätten. Aber das war halt Theorie, denn sie mussten nicht tatsächlich die Entscheidung treffen, wie sie auf die Zustände im Land reagieren.
Für viele Russen und Weissrussen ist der Moment der Wahrheit letztes Jahr gekommen und sie sind nun gezwungen, sich mit Dingen auseinaderzusetzen, die sehr unangenehm und schmerzhaft sind, gerade in Bezug auf das eigene Selbstverständnis. Es gibt einfache Menschen ohne irgendeine Audience oder Reichweite, die in Russland mit leeren Plaketen demonstrieren und weggeprügelt/weggesperrt werden. Diese Leute haben eine Entscheidung getroffen, wie sie auf das Unrecht reagieren. Und dann gibt es priviligierte Leute, die im Westen leben und mit einem Kindersport wie Tennis sehr viel Geld verdienen und sich vorsichtig lavierend alle Optionen offenhalten wollen, weil man sich angesichts eines Angriffskrieges natürlich "nicht komplett gegen die eigene Reigerung richten kann".
Nun, der Moment der Wahrheit ist gekommen und diese Leute haben ihre eigene Strategie gefunden, wie sie auf die Umstände reagieren und das eigene Leben weiterleben können. Und was Dritte darüber denken, wie sie sich an deren Stelle selber verhalten hätten, ist auch hier nur blosse Theorie.
Aber "Opfer" sind sie mit Sicherheit nicht, wenn Ukrainer ihnen nicht die Hand geben wollen und die Vorgänge damit ein Stück weit normalisieren. Denn das ist genau das, worauf Russland aus ist ("Nothing to see here, everybody move along").
