Mich überzeugt diese Theorie nicht, auch wenn diese Aspekte sicherlich eine Rolle gespielt haben. Wenn diese Theorie stimmen würde, hätte das Interesse am Tennis nicht nachlassen dürfen, da die technische Entwicklung nicht aufgehört hat und noch viel weiter ging. Heute gibt es HD, noch größere Fernseher, noch besseres Material, noch besseres Tennis und dennoch ist Tennis in Deutschland nur eine Randerscheinung im Vergleich zu anderen Sportarten geblieben. Zumindest hätte sich das Interesse am Tennis etwas stabilisieren müssen.
Es hängt in Deutschland außerhalb vom Fußball fast immer an einzelnen Superstars. Ob Nowitzki, Ullrich, Hannawald. Vorher war nichts, nachher ist nichts.
Ich bezweifel auch, dass Stich und Graf diese Einschaltquouten ohne Becker hervorgerufen hätten. Damentennis hat nicht diese Attraktivität und Stich hatte nicht das Charisma eines Boris Beckers. Die Geschichte des 17-jährigen Beckers, der Wimbledon gewann, hat die Leute mitgenommen. Wie Drago es gerade schrieb: Sie wollten seine Wutausbrüche, seine Leiden, seinen Kampfgeist und seinen Beckerhecht sehen. Diese emotionale, persönliche Schiene ist im Kapitalismus en vogue. Ich würde dir insofern zustimmen, als es auch ohne Becker einen Aufschwung im Tennis gegeben hätte, aber niemals diesen extremen Boom.
Tennis hat natürlich teilweise die Mittelschicht erreicht, das ist richtig. Aber es ist nicht so, dass das Deutsche Tennis seine Talente von der Straße oder aus den Hauptschulen holt. Das ist in anderen Ländern beim Tennis ganz anders. Leider finde ich den dazu passenden Link nicht mehr, in dem sich, glaube ich, Patrick Kühnen zu dieser Thematik geäußert hat.
Zu weiterem Fortschritt bei TV Geräten habe ich heute morgen kurz schon was geschrieben. Sieht man den Ball nicht ist das zuschauen nicht spannend. Noch bessere TV Geräte machen das Spiel nicht automatisch noch spannender, sie helfen anderen Sportarten mindestens gleichermaßen. Z.b hatte man beim Fussball doch früher keinen vernünftigen Überblick auf den kleinen Bildschirmen, beim Tennis gabes dieses Problem nicht.
Einzelne Superstars? Bei Ullrich, früher auch Thurau oder Schmidt und Hannwald hast du sicherlich recht. Bei Nowitzki sehe ich den Boom nicht, was vielleicht auch an seinen Auftritten in der NBA liegt. Nach dem EM Sieg 93, der Streetball Bewegung in den Folgejahren und der Hype um Jordan, mit mehrmals wöchentlich inside NBA war Basketball imo besser aufgestellt, aber da bin ich nicht so tief im Thema.
Bei den Einschaltquoten im Tennis geht es mir nun nicht um 15 Mio oder 13 Mio. oder 11 Mio. Becker hat ohne Frage am meisten bewegt, aber das hätte imo auch jeder andere, der der erste gewesen wäre dem der totale Durchbruch gelungen wäre. Tennis hat auch vor Becker in Deutschland oder besser gesagt fast allen westlichen Ländern geboomt. Das der erste der den kompletten Triumph schafft, das Gesicht der Bewegung wird war vorher klar. Imo wäre es auch egal gewesen ob dieser nun 17 19 oder 21 gewesen wäre.
Ich zitiere mal aus dem Spiegel von 1981 um die Situation im Tennis von damals zu beschreiben.
Die großen Schau-Sports, die Millionen spannend unterhalten, erfüllen dagegen mehrere von vier Grundbedingungen:
* Sie sind leicht verständlich und für möglichst viele nachvollziehbar.
* Sie sind, vor allem für das Fernsehen, gut zu vermitteln.
* Sie sind weltweit verbreitet.
* Sie bringen identifikationsfähige (und günstig zu vermarktende) Leitfiguren hervor. (Anm von mir: Gemeint ist Borg/McEnroe)
Das Tennis erfüllt alle Bedingungen mit einer Einschränkung: Die Zählweise (15--30--40--Spiel) folgt der Tradition statt der Logik. Sie geht auf das 900 Jahre alte französische Ur-Tennis (Jeu de Paume) zurück, bei dem vier Punkte ein Spiel ausmachten. Der Wetteinsatz betrug pro Spiel 60 Sous, jeweils 15 zahlte der Verlierer nach jedem Fehler. 45 (französisch: quarantecinq) schrumpfte aus Bequemlichkeit S.85 zu "quarante". So übernahmen es die anderen.
Ansonsten ist Tennis leicht verständlich: Wer den Ball nicht zurückschlagen kann, verliert den Punkt. Es eignet sich vorzüglich für TV-Übertragungen. Tatsächlich berichten immer mehr TV-Stationen von den bedeutenden internationalen Turnieren.
Das Filzballspiel hat sich weltweit durchgesetzt. Es gibt kein Land, in dem Tennis völlig unbekannt ist....
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An Leitfiguren für den mehr oder minder begabten Nachwuchs oder weibliche Teenager hat es im Tennis nie gefehlt. Borg ist zur Zeit die markanteste Säule vor dem Buhmann der Branche, dem Amerikaner McEnroe. Auch 1981 in Wimbledon beleidigte McEnroe Linienrichter und zerbrach Schläger.
Allen anderen Sportarten fehlt zum perfekten Schausport mehr als dem Tennis. Basketball mit allein 50 Millionen und Fußball mit 25 Millionen organisierten Spielern -- unzählige Freizeitsportler nicht gerechnet -- erreichen statistisch ähnliche Verbreitung wie das Tennis mit 50 Millionen Aktiven. Aber der Fußball beginnt sich erst in Nordamerika zu verwurzeln, im Basketball fehlt es an weltweit bekannten Figuren...
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Keine der weit verbreiteten Sportarten eröffnet auch der Zubehörindustrie so hoffnungsvolle Profitaussichten wie das Tennis. Die vielen Fußball- und Basketballspieler benötigen keine kostspielige Ausrüstung. Ein Tennisspieler muß wenigstens 200 Mark, er kann aber auch leicht das Zehnfache für eine Grundausstattung anlegen.
Klubbeitrag oder Platzmiete auf kommerziellen Anlagen kosten im Jahr gut 500 Mark. Zusammen mit etwa 700 Mark, die bundesdeutsche Tenniseleven jährlich im Schnitt für ihre Ausrüstung erübrigen, summiert sich das bei 1,6 Millionen Tennis-Aktiven allein in der Bundesrepublik zu einem Umsatz von nahezu zwei Milliarden Mark...
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Doch die Entwicklung zum Preis- und Profitennis verlief gleichzeitig zum allgemeinen Tennis-Boom, der zuerst in den USA ausgebrochen war und Europa angesteckt hat. Tennis-Schau und Tennis-Geschäft bedingen sich und schaukeln einander hoch.
In den USA nahm die Zahl der Spieler in den letzten fünf Jahren um fünf Millionen auf 34 Millionen zu. Sie S.87 teilen sich in 160 000 Plätze. "Plötzlich hoben wir ab", freute sich in Frankreich Gerard Clerc, Direktor einer Firma, die Tennisplätze erstellt. 1800 Plätze baute sie 1979, ihr Auftragsvolumen wuchs gleichzeitig um 30 Prozent.
Tennis habe Europas "Mittelklasse von Stockholm bis Sizilien, von Bonn bis Bordeaux gewonnen", schrieb "Newsweek". In zehn Jahren verdreifachte sich die Zahl der französischen Tennis-Aktiven auf 1,3 Millionen. 2,5 Millionen schmettern und lobben in Italien (1970: 400 000).
Gleichzeitig weitete sich der Markt für Tennisartikel und Spielplätze aus und wuchs die Nachfrage für Weltklasse-Tennis. Clevere Tennis-Unternehmer liefern die Topspieler zu inflationierenden Höchstpreisen. McEnroe nahm für das New Yorker Mai-Turnier allein als Startgeld etwa 150 000 Mark. Der Siegpreis betrug 200 000 Mark. Bei den Internationalen Deutschen Meisterschaften in Hamburg warteten auf den Sieger 55 000 Mark. Dafür fehlten die Weltstars...
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Die werbenden Unternehmen zeigen sich sogar zufrieden. Fila meldete eine Umsatzsteigerung von 25 auf 53 Millionen Dollar während der ersten drei Jahre mit Borg. Donnay will in fünf Vertragsjahren den Schlägerverkauf vervierfacht haben. Sogar der Hersteller der VS-Schlägersaiten glaubt Borg 15 Prozent Mehrverkauf zu verdanken.
Auch Deutschland wurde zum Borg-Land. 1976, als Borg zum erstenmal in Wimbledon siegte, nahm die Zahl der Tennisspieler in der Bundesrepublik um 15 Prozent zu. Plötzlich spielten fast 1,5 Millionen Deutsche eigenhändig Tennis. Bald werden es zwei Millionen sein.
Gäbe es noch mehr Plätze als etwa 80 000, dann würden womöglich 6,3 Millionen Deutsche, die laut Allensbach S.88 Lust auf Tennis haben, das Rackett anfassen...
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-14343052.html
Das waren die Bedingungen unter denen Becker Profi wurde. Das man den ersten Deutschen seit dieser Sport populär wurde und vom Snobsport zum Breitensport wurde entsprechend feiert war doch klar oder nicht? Da lag Gold auf der Straße für den ersten wirklich erfolgreichen wenn er sich halbwegs benehmen würde und kein komplettes Ar....... ist. Ob es jetzt nen tick mehr war weil Becker Emotionen gezeigt hat oder ob ein deutscher Borg noch viel mehr gezogen hätte, darüber kann man streiten. Ich glaube egal wie die erste Figur ausgesehen hätte, man hätte mit ihr mitgefiebert und behauptet man fiebert mit weil der genau so ist wie er ist. Nur den sportlichen Boom alleine an Becker festmachen zu wollen ist für mich Legendenbildung. Auch wenn ich nicht alle überzeugen werde.
Mich ärgert es wirklich was für Fehler die Funktionäre in diesem Sport gemacht haben. Besonders in Deutschland, aber sicherlich auch in anderen Ländern. Man hat nicht wirklich damit gerechnet, dass der ewige Weg nach oben, der mehr oder weniger stetig nach dem 2. Weltkrieg, plötzlich nach unten gehen kann.
Es geht für mich bei großen Fehlinvestiitionen wie den Stadien von Hamburg und Berlin los. Das waren Gelder die man in die Jugend und Innovation hätte stecken müssen, damit noch mehr Menschen die Leidenschaft für diesen Sport entdecken. Es geht aber weiter über Turnierveranstalter, die weiße Kleidung verlangt haben. Wenn es zu wenig weiß war musste man sich umziehen gehen. Sowas gab es noch zu Zeiten wo Agassi im bunten Outfit über die Plätze jagte. Es geht um Vereinsvorstände die keine Kinder wollten oder hunderte von Mark als Aufnahmegebühren verlangten damit bloß nicht jeder bei ihnen mitspielen kann. Es geht um die Trainer die bei Talentförderung meinten, du siehst in den ersten 5 Minuten ob was aus dem Kind werden kann. Schritt 2 schau aus welchem Auto es steigt und Schritt 2 schau dir den Armzug an. Ist es ein Mercedes dann kann sich Papa auch die dritte und vierte Trainingsstunde die Woche leisten und bis auf Schnellkraft kann man im Tennis alles erlernen. Kondition, Balance, Ballgefühl usw geht alles mit Training. Natürlich ist das ein überspitztes Bild, aber leider gab es dieses Beispiele nicht gerade in geringer Zahl.
Im Fussball hat man ehrenamtliche gesucht, damit ehemalige Spieler den Kindern kostenloses Training anbieten. Im Tennis musste der Trainer mindestens den C Schein haben und das ganze am besten Hauptberuflich machen, sonst ist er bestimmt nicht gut. Noch besser ist natürlich Trainer beim B Trainer. So ein bullshit im Kindesalter.
Im Fussball gab es in den 80ern schon kleine Tore und kleinere Spielfelder wo Kinder Serien gespielt haben und von klein an Erfolge feiern konnten. Beim Tennis gibt es eine vernünftige Medenrunde im Kleinfeld erst seit wenigen Jahren für Kinder unter 10. (Zumindest in Hessen) Die U 10 Medenrunde hätte man aber 20 Jahre früher einführen müssen und anstatt in Hamburg ein unnötiges Dach zu bauen hätte man jedem Verein in Deutschland die Kleinfeldnetze mit entsprechenden Bällen schenken sollen. Das wäre mal ein vernünftiger Ansatz für neue Mitglieder und eine neue Generation gewesen. Die meisten Probleme im Tennis sind imo hausgemacht und durch Beispiele wie oben von mir beschrieben entstanden.
Bei genug Mitgliedern pro Platz kann man mit 100€ Beitrag locker hinkommen (Ich kenne dörfliche Vereine wo es noch günstiger ist). Bei den Schlägern werden die Fortschritte immer geringer, da merken 99% der Aktiven imo nicht den Unterschied ob der Schläger für 40€ bei ebay geschossen ist oder ob es das neuste Modell von Djokovic ist. Eine neue Saite bekommt man für 7 € wenn es keine Darmsaite sein muss, aber da merken die meisten auch keinen Unterschied. Wenn man sich die halbe Stunde gönnt und selbst bespannt, dann darf die Saite auch mal reichen. Aus meiner Sicht muss Tennis nicht teurer sein als der monatliche Beitrag im Fitnesstudio. Hobbys kosten nun mal Geld.
Sicherlich kann man im Fussball schneller einige Euros bei den Amateuren verdienen. Ich selbst war auch mal mit einem Amateurvertrag ausgestattet. Vielleicht hätte Tennis, bei einer Stärkung der heimischen Ligen sogar ähnliches erreichen können. Leider gab es auch da keine innovative Ideen. Aber ganz abgesehen davon krankt Tennis nicht an dem Geld was die Amateurspieler im Fussball verdienen. Wenn ein Kind mit 12 Jahren feststellt das Tennis ein geiler Sport ist und will täglich auf den Platz, dann wird er sich nicht davon abhalten lassen, weil im Fussball die Wahrscheinlichkeit später etwas Taschengeld zu verdienen größer ist.