Ich habs mittlerweile auch durch. Vielleicht ist es für den ein oder anderen hier ja ganz interessant, wie es auf einen weitestgehend uninformierten Nicht-Fan wirkte.
Ich bin nicht besonders basketballinteressiert. Ich kenne einige Spieler, kann manche sogar ihren Teams zuordnen und weiß in der Regel, wer amtierenden NBA-Champ ist. Ganz selten mal habe ich mir PO-Spiele angesehen; 2011 hab ich wohl mal reingeguckt und mit der Re-Live Funktion bei DAZN dann auch hin und wieder mal im letzten Jahr. Das Draft, Trade und Salary-Cap System habe ich aber bspw. immer noch nicht wirklich verstanden. Nowitzki fand ich naturgemäß unglaublich sympathisch, das hat zumindest für eine rudimentäre Beschäftigung mit der Materie gesorgt. Hin und wieder habe ich hier im Forum mal ein wenig mitgelesen.
Natürlich kannte ich - als Jahrgang 91 - Jordan, die 90er Bulls, und Dennis Rodman. Letzteren aber weniger als Spieler, denn als Kuriosum und in den letzten Jahren als Nordkorea-Experten. Scott Pippen kannte zumindest dem Namen nach, aber ich hätte nicht gewusst, wie er aussieht. Der hier genannte Charles Barkley: keinen Schimmer! Magic Johnson kannte ich wegen HIV (dessen Bekanntheitsgrad würde ich deshalb übrigens nicht unterschätzen - der dürfte sehr vielen Menschen ein Begriff sein, nur halt eher nicht als Basketballer).
In meiner BravoSport-Phase war MJ bei den Wizards, die Stars hießen Kobe, Shaq, Iverson und Duncan. Auch LeBron und die Veränderung des Spiels unter Curry und Co in den letzten Jahren hatte ich - dann nicht mehr Dank der BravoSport aber Dank Sportforen und DAZN - so halbwegs, freilich sehr laienhaft, mitverfolgt. Bei MJ aber eben nicht, da war ich zu jung: Insofern versprach ich mir sehr viel Neues von der Doku, weil mir der popkulturelle Einfluss Jordans natürlich nicht verborgen geblieben war. Mein Bild von MJ als Sportler und Mensch konnte also durchaus noch geprägt werden.
Die Serie ist gut, wenn sie mich jetzt auch nicht total vom Hocker gerissen hat. Aber Spaß macht sie. Folgendes blieb bei mir hängen:
1. Ich bin ein Freund von Statistiken, Fakten, Rankings etc. Das ist ja durchaus charakteristisch für den US-Sport, insofern dürften viele, welche die NBA jede Woche verfolgen, davon mittlerweile eher gelangweilt sein. Gerade die natürliche Zielgruppe der Doku, die ja will, dass es sich von der normalen Sportberichterstattung abhebt, braucht kein Zahlenfeuerwerk. Für mich hätte es davon aber etwas mehr an harten Fakten sein können: Am Ende hatte ich den Eindruck, dass MJs Größe vor allem mittels persönlich gefärbter Darstellungen seiner ehemaligen Rivalen und Teamkollegen bewiesen werden sollte (die natürlich auch ein Interesse daran hatten, MJ auf ein Podest zu stellen, um selbst besser dazustehen) und mit eher anekdotischer Beschränkung auf einige wenige Spiele. Das ist aber keine Kritik an der Doku an sich, sondern hängt eher mit meinem beschränkten Wissen über die Zeit zusammen. Mitunter war es mir vielleicht etwas zu amerikanisch pathetisch-überhöht. Das hätte ich aber im Vorfeld eher noch deutlich schlimmer erwartet.
2. Die Erzählstruktur mit der Saison 1998 als Baseline ist sehr gelungen.
3. Die einzelnen Erzählstränge sind unterhaltsam aber teilweise sehr redundant. Immer das Gleiche: MJ hat einen Rückschlag, nimmt irgendwas persönlich, MJ gewinnt. Hier im Thread wurde ja schon ein großartiges Schaubild dazu gepostet
. Das lässt sich bei jemandem, der alles gewonnen hat, wahrscheinlich auch nicht wirklich anders darstellen. Man braucht ja irgendeinen Spannungsbogen und muss dann auch Rückschläge herbeireden, die vielleicht in der Realität nicht ganz so gravierend waren, wie sie dargestellt wurden. Im Hinblick auf das sportliche wäre aber ggf. eine Doku über jemanden, der häufiger auch mal krachend gescheitert ist, einfacher zu erzählen. Vielleicht wären 8 statt 10 Folgen besser gewesen, um das Gefühl der steten Wiederholung nicht aufkommen zu lassen. Interessanter wurde es dann, wenn die Doku auf andere Sportler wie Rodman, Pippen, Kerr, Thomas einging. Vor allem Rodman mit dieser Symbiose aus überbordender Männlichkeit und Frauenklamotten - großartig.
4. Die Bilder aus den 1990ern sind toll, man fühlt sich einerseits der Zeit sehr nahe (gerade weil sich im Gegensatz zum Fußball in der NBA scheinbar gar nicht so viel optisch verändert hat, was Trikots etc. angeht) und sieht andererseits gravierende Unterschiede. Das ständige Rauchen von Zigarren wäre heute eher undenkbar. Zugleich tragen alle Sneaker und Kleidungsstücke, die auch heute wieder ohne Ende zu sehen und modern sind. Vor allem diese Form der Zeitreise in popkultureller Hinsicht ist es, welche die Doku absolut sehenswert macht.
5. Wie kritisch ist das Ganze? Ich finde ausreichend. Ich habe durchaus das Bild von einem eher unsympathischen Bully-Jordan gewonnen, wobei die Doku nicht so sehr dem Menschen MJ, sondern eher dem Siegeswillen und Ehrgeiz von MJ ein Denkmal setzen wollte. Natürlich kommt MJ sehr viel zu Wort. Natürlich ist er nicht selbstkritisch. Eigentlich ist kaum jemand in der ganzen Doku selbstkritisch. Aber das führt ja durchaus dazu, dass man sich am Ende des Tages sein eigenes Bild macht, weil man schon ahnt, dass nicht jeder im schonungslos ehrlich ist. Das MJ sein eigenes Team im Prinzip gemobbt hat und sicherlich gerade bei den Rollenspielern nicht unbedingt beliebt war, kann man bei Kerr (der i.Ü. sehr sympathisch wirkt) außerordentlich deutlich raushören. Und wenn man dann MJ dazu hört, der sich seiner eigenen Rolle als Ausnahmespieler sehr bewusst ist und sich dieser in den 1990ern auch schon sehr bewusst war, dann weiß man auch warum er wohl nicht besonders angenehm als Mitspieler war. Ich denke ehrlich gesagt, das hätte man deutlich "unkritischer" darstellen können. Auch wenn es sein mag, das einzelne Anekdoten zu Jordans Gunsten sehr großzügig interpretiert wurden und dass man auch deutlich kritischere Stimmen zu der ein oder anderen Sache finden dürfte. Im Fazit bleibt für mich als Außenstehenden und im Hinblick auf Jordan noch nicht wirklich mit einer Meinung ausgestatteten Zuschauer, dass MJ ein ganz Großer seines Sports ist, dass er absolut vom Ehrgeiz zerfressen ist und dass er den Sport in seiner Ära in nicht da gewesener Weise dominiert hat. Und das ist ja auch mehr oder weniger ein Fakt, der auch von denen, welche die Doku hier kritisch sehen, nicht bestritten wird.