Kein Neuanfang nach Sepp Blatter
Und wie sieht es bei den Fußballverbänden aus? Sie haben sich jahrelang als verantwortungsvolle Regelwächter und transparente Sportregierungen inszeniert. Die Uefa hat den Vereinen strenge Regeln auferlegt, um eine finanzielle Wettbewerbsfähigkeit zwischen kleineren und größeren Vereinen wiederherzustellen. Und der Weltverband Fifa? Der hat nach den Skandalen um den früheren Präsidenten Sepp Blatter einen Neuanfang verspochen. Er wollte sich reformieren und die Zeiten von Korruption und Günstlingswirtschaft endgültig abstreifen.
Alles Fassade. Die Recherchen fördern zutage, wie der mächtigste Mann im Fußball, der Fifa-Präsident Gianni Infantino, insgeheim die Arbeit seiner Regelhüter behindert und torpediert hat.
Die Football-Leaks-Dokumente belegen, wie er
einen befreundeten Oberstaatsanwalt begünstigte, der potentiell gegen ihn ermitteln könnte,
das Statut der Ethikkommission frisierte und jenen in die Arbeit reinregiert, die ihn kontrollieren sollen,
mit dem Projekt "Trophy" Fifa-Vermögen verschleudert,
intern Druck ausübte, so dass Geld regelwidrig im Voraus an Verbände ausgezahlt wurde,
gefügige Untergebene protegiert und Kritiker schasst.
Geldspritzen an allen Regeln vorbei
Minutiös zeichnen der SPIEGEL und das EIC zudem nach, wie Infantino noch als Uefa-Generalsekretär die Ermittler seines eigenen Verbands hinterging, um sich auf die Seite der Scheich-Klubs Manchester City (ManCity) und Paris Saint-Germain (PSG) zu schlagen.
Die beiden Vereine werden unverhohlen von autoritären Regierungen steinreicher Golfstaaten gesteuert. Unterlagen aus der Football-Leaks-Datensammlung beweisen auf mehreren Tausend Seiten,
wie ManCity und PSG jahrelang systematisch die Financial-Fair-Play-Regeln der Uefa gebrochen haben,
dass Infantino als Uefa-Generalsekretär vor der Übermacht aus Abu Dhabi und Katar einknickte und Manchester und Paris praktisch unbehelligt davonkommen ließ,
dass die Uefa eine Bestrafung unterließ und die beiden Klubs nicht aus der Champions League ausschloss, so wie sie es mit kleineren Vereinen getan hat,
dass er sich - eigentlich zu strenger Neutralität verpflichtet - zu Geheimgesprächen mit den Clubbossen aus Paris und Manchester traf,
dass er den Vereinen verbandsinterne Informationen übergab und den Weg für "Settlements" bahnte, wozu er nicht befugt war,
dass er damit die eigenen Uefa-Kontrolleure systematisch hinterhing.
Man kann auch sagen: Infantino hat die Werte des Sports mit Füßen getreten, wie hier im ausführlichen Text auf SPIEGEL+ nachzulesen ist.
Die Enthüllungen, die der SPIEGEL und das Recherchenetzwerk European Investigative Collaborations nun veröffentlichen, gehen darum jeden an, der diese Branche mit Geld füttert, ob mit monatlich 5 Euro für Eurosport-Übertragungen, 10 für Dazn, 30 für Sky, 50 für ein Sitzplatzticket im Stadion oder 90 Euro für ein Trikot seiner Lieblingsmannschaft. Das Geld aus Marketingdeals und TV-Übertragungen, aber auch staatliche Geldspritzen haben zwielichtige Gestalten angelockt, die für sich selbst im Schatten vertraulicher Verträge horrende Provisionen aushandeln. Football Leaks wird einige von ihnen in die Öffentlichkeit zerren.
Doping, Rassismus, Spekulation
Ebenso zeigen die Enthüllungen der kommenden Wochen das ungeschminkte Gesicht des Fußballkapitalismus, der in weiten Teilen wie bei einer Spekulationsblase auf Pump funktioniert. Er breitet sich bis in Entwicklungsländeraus, um die Kontrolle über minderjährige Talente zu sichern und auf ihre Karriere wie am Aktienmarkt zu wetten.
Die Berichte der kommenden Wochen werden zudem den fragwürdigen Umgang mit dem positiven Dopingtest eines Weltstars offenlegen und die Steuervermeidungsmodelle von Premier-League-Größen.
Steuerhinterziehung hatten die Recherchepartner von SPIEGEL und EIC bereits bei der ersten Football-Leaks-Serie im Dezember 2016 offengelegt. Seitdem haben sich einige der größten Fußballstars der Geschichte zu ihrer Schuld bekannt, allein Cristiano Ronaldo muss nach den Enthüllungen 19 Millionen Euro an den spanischen Staat zahlen und hat zudem eine Haftstrafe von zwei Jahren auf Bewährung akzeptiert. Die bisherigen Football-Leaks-Veröffentlichungen haben Polizei-Razzien ausgelöst und die skrupellose Arbeit vieler Spielerberater deutlich erschwert.
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Damals hatten es die europäischen Investigativjournalisten mit einem 1,9 Terabyte großen Datensatz und 18,6 Millionen Dokumenten zu tun. Mittlerweile ist der Bestand auf 3,4 Terabyte und über 70 Millionen Dateien angewachsen. Monatelang haben Rechercheure die Dokumente durchkämmt und nach Themen gesucht, Hinweise gesammelt und Indizien verknüpft. Sie haben sich auf einer verschlüsselten Online-Plattform und bei Konferenzen in Hamburg, Brüssel und Mechelen ausgetauscht. Die Rechercheergebnisse wurden mit Informationen vertraulicher Quellen ergänzt, und durch Reisen nach Ghana, Katar oder in die Schweiz geprüft. Wir Journalisten haben Experten und Betroffene interviewt, haben Beiträge geschrieben, gefilmt und animiert.
Jetzt zeigen wir Ihnen, wie es hinter der glänzenden Fußballfassade aussieht. Wenn Sie am Samstag ins Fußballstadion gehen oder die Bundesliga im Fernsehen schauen, dann vielleicht mit anderen Augen.