ZEIT: Nervt es Sie auch, wie im bundesweiten Diskurs über Ostdeutschland gesprochen wird?
Zingler: Nein. Dieser Diskurs findet in meiner Wahrnehmung vor allem zwischen Medien untereinander beziehungsweise zwischen Medien und Politik statt. Er ist für unser wirkliches Leben nicht sehr relevant. Diese Wahrnehmung verstärkt sich, wenn bei schwierigen Themen die Positionen zwischen Journalisten und Politik kaum noch zu unterscheiden sind.
ZEIT: Was genau meinen Sie damit?
Zingler: Das war bei der Schuldenkrise in Griechenland so. Unter Corona ging es weiter. Und jetzt ist es schon wieder so. Das finde ich bedauerlich. Die Menschen, die in der DDR groß geworden sind, haben ein sehr feines Gespür für fehlende Meinungsvielfalt, weil sie diese wirklich erlebt haben. Wir haben erfahren, wie sich vorauseilender Gehorsam insbesondere in den Eliten einer Gesellschaft schleichend entwickelt. Und viele befürchten, dass sich dieser Prozess gerade wiederholt.
ZEIT: In der DDR war der Journalismus staatlich gesteuert. Dass das auch heute so sein soll, behaupten sogenannte Querdenker. Wir hoffen, Sie verstehen unsere Deutlichkeit: Das ist in Deutschland definitiv nicht der Fall. Kein seriöses Medium verdrängt unterschiedliche Meinungen.
Zingler: Ich spreche auch nicht von staatlicher Steuerung. Sehen Sie, ein gutes Beispiel ist die Berichterstattung während Corona. Am Anfang stand – vollkommen verständlich – der Schutz vor Infektionen über allem. Niemand wollte Maßnahmen infrage stellen, es fühlte sich falsch an, wenn man das tat. Vielmehr wollte man den Staat bei seinen Maßnahmen unterstützen. Daraus entwickelte sich allmählich eine Situation, in der kaum noch jemand die Handlungen des Staates hinterfragt hat. Und wer es getan hat, wurde nahezu geächtet. Aber gerade in Krisen und bei besonders schwierigen Themen brauchen wir unterschiedliche Meinungsbilder im Journalismus und Raum für einen respektvollen gesellschaftlichen Diskurs, in dem um möglichst gute Lösungen gerungen wird. Der Umgang mit den Menschen, die in dieser Zeit keine Mehrheitsmeinungen vertraten, ist für mich immer noch ein journalistischer und politischer Tiefpunkt in unserem Land.
ZEIT: Welche Haltung vermissen Sie konkret?
Zingler: Wieso Haltung? Ich denke, es geht im Journalismus um Objektivität, auch um die Suche nach Wahrheit. Viel zu oft finden Positionen ihre Experten und Quellen und nicht andersrum. Und wenn Wahrheiten sich mit der Position des Gegners decken, werden sie auch gerne mal weggelassen. Man will ja nicht deren Narrativ bedienen. Ich persönlich lese die Welt und die Berliner Zeitung. Da gibt es erfreulicherweise oft gut aufbereitete unterschiedliche Positionen. Die sollte man darstellen, wenn es schwer ist mit der einen Wahrheit. Ich möchte mir meine Meinung nämlich selbst bilden.