Die bescheidensten Fans
Im Schlagschatten der großen Ruhrgebietsklubs sind die Anhänger des VfL Bochum bescheiden geworden. Denn sie wissen: Der VfL ist im Ruhrgebiet die Alternative zu Größenwahn, Herzlosigkeit und Verschwendungssucht.
Als Herbert Grönemeyer am Anfang dieses nassen Sommers das Bochumer Ruhrstadion verließ, ohne das Konzert mit einem erneuten Anstimmen seines »Bochum«-Songs zu beschließen, kochte die Volksseele für einen Moment über. Wütende Proteste, laute Pfiffe und zornvoll enttäuschte Gesichter waren die Folge. Der Abend, der vorher von der städtischen Sparkasse so pathetisch gehaltvoll als »Heimspiel« in »Herberts Wohnzimmer« verkauft worden war, hatte nicht wenige Zuschauer angelockt, die offensichtlich nur dem Konzert beiwohnten, weil man hier als »Bochumer« unbedingt dabei sein müsse.
Ein Gefühl, das die geschätzten 17?000 Dauer-Stadiongäste des heimischen VfL Bochum nur zu gut kennen. Denn wer Fan dieses Vereins ist, ist zugleich, wie eine Umfrage aus dem Jahr 2006 zeigt, zu fast 80 Prozent auch Bürger dieser Stadt. Das, so könnte man meinen, ist in Zeiten des »modernen Fußballs« ein echtes Problem. Ohne überregionalen Rückhalt müssen die Fans mit ansehen, wie sich bei den Vereinen gleich in der direkten Nachbarschaft Woche für Woche Autokarawanen aus ganz Deutschland in Bewegung setzen, um riesige Arenen zu füllen. Das Ruhrstadion dagegen ist eigentlich immer nur ganz voll gewesen, wenn die Gastmannschaft genug Auswärtsfahrer mit im Gepäck hatte.
Die Liebe des VfL-Fans braucht unerschütterliche Treue
Eigentlich also ein Grund, wie beim Schalker Nachbarn beständig am Fußballgott herum zu nörgeln. Doch der VfL-Fan ist anders. Er ist bescheiden geworden. Vielleicht sogar ein wenig vernünftiger. Das Donnerhallen und die Enttäuschung des gleichzeitigen Abstiegs nach dem Rausch des Einzugs in den UEFA-Cup unter »Peter dem Großen« waren ein Einschnitt. Hatte Neururer nicht noch versprochen, man werde Dortmund und Schalke schon bald »auf Augenhöhe« begegnen?
Doch die Liebe des VfL-Fans braucht – in aller Bescheidenheit – im grauen Ligaalltag ein bisschen mehr als die unerschütterliche Treue zu seiner Stadt und die Erinnerungen an die Helden der unvergesslichen Epoche der »Unabsteigbaren«. Etwas, das den »sympathischen Gegenentwurf« VfL Bochum sinnbildlich nach Außen verkörpert. Wie das aussehen kann, hat bereits sehr schön der Bochumer Fanbeauftragte Dirk »Moppel« Michalowski formuliert: »Warum sollen wir nicht dieses kleine Gallien sein wie bei Asterix und Obelix? Ein kleines aufständisches Dorf, das plötzlich für Furore sorgt. Das mit diesem kleinen, familiären Charme gegen die Großen aufmotzt und dabei sagt, wir sind auch noch da, und egal wie groß ihr seid, wir bleiben auch noch da.« Wie Recht Moppel Michalowski mit seinem nicht originellen aber einprägsamen Vorschlag hat, wurde anschaulich, als zum Ende der letzten Spielzeit die Schalker Fans und Offiziellen im Stile einer »Besatzungsmacht« (O-Ton des VfL-Fans und Autors Frank Goosen) in weißen T-Shirts mit der Aufschrift »Nordkurve in deiner Stadt« in Bochum »einfielen«. Die anschließende Niederlage für eine im Stile der römischen Comicfiguren überheblich aufspielende Schalker Mannschaft trug maßgeblich zur Bewusstseinsfindung der traumatisierten Bochumer bei.
Dieses besondere Vereinsgefühl inmitten der zwei »Großmächte« rechts und links vom Ruhrstadion hat die Bochumer Radiolegende Günther Pohl zu einem in Stein gemeißelten Satz verleitet: »Der VfL ist im Ruhrgebiet die Alternative zu Größenwahn, die Alternative zu Herzlosigkeit, die Alternative zu Verschwendungssucht.« Besser, findet vornehmlich der VfL-Fan, kann man die Zustände im Revier nicht beim Namen benennen.
Und da die neue Bescheidenheit und die daraus resultierende deutliche Abgrenzung zu den Nachbarn im Pott anscheinend auch dem Wirtschaftsunternehmen VfL Bochum gefällt, hat dies zu einem spürbaren Umdenken im Stadioncenter an der Castroper Straße geführt. Die in der letzten Zeit auffällig spitzfindige und ironische Auseinandersetzung der Bochumer Marketingabteilung mit der neu gefundenen Klub-Identität (»Ruhrpottmeister 2006/07«-Plakate hingen auch in Dortmund und Gelsenkirchen) dürfte nur die Vorhut einer spannenden Entwicklung sein. Der VfL Bochum, den die Fans übrigens (»Drei Mal ist Bochumer Recht«) am 19. April 2008 nach 1968 und ’88 im Berliner Pokalfinale erwarten, könnte in seiner bescheiden anmutenden Rückbesinnung auf traditionelle Werte tatsächlich zu einem sympathischen Gegenentwurf heranwachsen. Und wer weiß, was noch alles passiert. Schließlich hat es in den längst vergessenen 70er Jahren schon einmal ein Underdog geschafft, die Fußballwelt auf eine verblüffende Art und Weise meisterlich zu ärgern. Und damals hatten sie in Gladbach nicht einmal eine so schöne Hymne wie Herberts »Bochum«.