Bestimmt habt ihr es schon gelesen aber für die die es nicht kennen die beste biografie von mike tyson
Be real Mike! - Ein Blick zurück und nach vorn
von Peter Selzer
Am 08.06.2002 beendete ein krachender rechter Haken in Memphis, Tennesee, eine einzigartige Karriere. Der unbestritten beste Schwergewichtsboxer der Gegenwart, Lennox Lewis, besiegte Michael Gerard Tyson, den vielleicht bekanntesten Boxer nach Muhammad Ali.
Dieses Ereignis soll Grund genug sein, das Leben und insbesondere die sportliche Laufbahn von "Iron" Mike noch einmal zu würdigen und auch einen Ausblick in die Zukunft zu wagen.
Mike Tyson wurde am 30.06.1966 in Brooklyn, dem Arbeiterviertel New York's geboren. Man kann die Jugend Tysons nicht gerade als glücklich bezeichnen. Er lebte das Leben, das den Mitteleuropäern sehr oft in amerikanischen Filmproduktionen gezeigt wird: Ein Jugendlicher schwarzer Hautfarbe, der sein Leben mehr in Straßengangs und Jugendarrestzellen verbringt als in der Schule, und dessen Leben ausweglos erscheint, zwangsläufig im Gefängnis oder der Gosse endet.
Mike Tyson hat jedoch das Glück, das den meisten dieser Jugendlichen verwehrt bleibt, er besitzt ein außergewöhnliches Talent, das Talent eines Boxers. Dieses Talent bleibt auch dem legendären Boxtrainer Cus D´Amato nicht verborgen. Er fördert dieses einzigartige Talent, als Mike Tyson im Alter von 13 Jahren in das Boxcamp in Catskills (NY) aufgenommen wird.
Mike Tysons Amateurrekord liest sich 24-3, wahrlich nicht schlecht für einen Boxer, dem Kritiker vorwerfen, lediglich über Schlägerqualitäten zu verfügen. Ein Vorwurf, der völlig haltlos ist, betrachtet man insbesondere die frühen Kämpfe Tysons. Tyson verfügte über eine beachtenswerte Technik, die ihm, gepaart mit seiner phänomenalen Schlagkraft, in den späten 80er Jahren den Nimbus der Unbesiegbarkeit einbrachte.
Am 06.03.1985 kehrte Mike Tyson dem Amateur-Dasein den Rücken zu und besiegte in seinem ersten Profikampf Hector Mercedes durch KO in der ersten Runde. Das Schicksal von Mercedes, die Niederlage durch Knockout in der ersten Runde, teilten in den nächsten 17 Jahren 21 Gegner, darunter bekannte Boxer wie Michael Spinks, Carl Williams, Henry Tillman oder Alex Stewart, die sicher nicht in die Kategorie "Fallobst" einzustufen sind, mit denen sich die heutigen Talente einen oberflächlich beeindruckenden Kampfrekord erschaffen.
In seinem ersten Lehrjahr 1985 schickte Tyson in 15 Kämpfen alle seine Gegner vorzeitig in die Kabine.
1986 steigerte sich die Qualität der Gegner ungemein. Das Management Tysons beschloss, dass das Ausnahmetalent nun schon bereit sei, zu einem Titelkampf geführt zu werden. Der Weg zum WM-Gürtel wurde Tyson jedoch nicht einfach gemacht, er musste hoch eingestufte Gegner wie Jesse Ferguson, James Tillis oder Lorenzo Boyd besiegen, um schließlich am 22.11.1986 die Chance zu erhalten, den Thron des Boxens zu besteigen.
Tyson blieb auch in seinem ersten WM-Kampf seiner Linie treu, er besiegte Trevor Berbick, der zuvor Muhammad Ali's Laufbahn beendet hatte, in Runde zwei vorzeitig und wurde Weltmeister der WBC, gleichzeitig jüngster Schwergewichtsweltmeister aller Zeiten. Nur 3 Monate später gewann Tyson mit einem Sieg über James "Bonecrusher" Smith auch den Gürtel nach Version der WBA, wobei er zum ersten Mal über die komplette Distanz von 12 Runden gehen musste.
Nach einer Titelverteidigung gegen Pinklon Thomas (KO-Sieg in Runde 6) wurde Tyson am 01.08.1987 schließlich "Undisputed Champion of the World" als er Tony Tucker nach Punkten bezwang und somit auch den Gürtel der IBF eroberte.
Spätestens ab diesem Zeitpunkt galt Mike Tyson als unbesiegbar. Er stellte sich in der Folge auch jeder Herausforderung und besiegte großartige Boxer wie Altstar Larry Holmes, Weltmeister Michael Spinks oder den Olympiasieger Tyrell Biggs überzeugend. Den Gegnern war nun der Respekt vor den Fähigkeiten Tysons schon beim Walk-In anzusehen, viele hatten schlicht Angst vor den bevorstehenden Schlägen und gaben sich schon vor dem ersten Gong selbst auf, fanden sich mit ihrer Niederlage ab, noch bevor der Kampf überhaupt begonnen hatte.
Am 11.02.1990 sollte im Tokio-Dom in Japan der 40:1-Außenseiter James "Buster" Douglas das nächste Opfer des Unbesiegbaren sein, doch es kam zu einer der größten Überraschungen der Sportgeschichte. Die Querelen um seine gescheiterte Ehe mit der Schauspielerin Robin Givens, die nachlassende Einstellung zu seinem Sport und anhaltende Probleme mit Geschlechtskrankheiten hatten den "Eisernen Mike" aufgeweicht. Tyson kam so schwer wie noch nie in den Ring und war in der Vorbereitung von Sparringspartner Greg Page ausgeknockt worden. Der absolute Außenseiter Douglas besiegte Tyson vorzeitig in Runde 10.
Der Schock saß tief. Manager Don King versuchte, Protest gegen den Sieg von Douglas einzulegen, da der Ringrichter angeblich zu langsam zählte, als Tyson Douglas in der achten Runde niederschlug. Die WBC gab diesem Einspruch zunächst statt, um 24 Stunden später doch Douglas als Sieger zu akzeptieren. Zurecht, denn die Verzögerung kam primär dadurch zustande, weil der Ringrichter Tyson zunächst in die neutrale Ecke schickte und dann erst zu zählen begann, eine Vorgehensweise, die durchaus als üblich bezeichnet werden kann.
Man suchte nach Gründen für die Niederlage. Unstreitig war das Tyson-Camp sehr schlecht vorbereitet, so verfügte der Cutman nicht über genügend Eis und auch ein kaltes Eisen fehlte, um die Schwellungen zu behandeln. Eine weitere Theorie lautete, dass Tyson von den Medien angewiesen wurde, den Kampf künstlich lange zu gestalten. Das Medieninteresse sank, weil die Öffentlichkeit an den schnellen KO-Siegen Tyson's das Interesse verloren hatte. Dass Tyson dann versehentlich durch einen "Lucky Punch" in der zehnten Runde verlor, ist eine Theorie, die nach Betrachtung des Kampfverlaufs wohl unhaltbar ist, denn Douglas setzte Tyson fortwährend enorm unter Druck.
Der wahre Grund ist, wie bereits erwähnt, wohl eher in der Persönlichkeit des Menschen Mike Tyson zu suchen, denn das Privatleben des Boxers geriet zunehmend aus den Fugen. Nach dem Tod des väterlichen Cus D´Amato verlor Mike Tyson seinen sozialen Halt, die Zusammenarbeit mit seinem Amateurtrainer Teddy Atlas scheiterte ebenso wie unzählige Affären. Zudem versuchte der neue Manager Don King seinem neuen Schützling Mike Tyson das Image des bösen schwarzen Mannes anzuheften, um somit den Marktwert noch zu steigern.
Tyson wurde zum Spielball fremder Interessen, seine eigene Persönlichkeit ging völlig unter, er nahm die Rolle des "bösen schwarzen Mannes" an, obwohl er dies vermeintlich nie wollte. Tyson suchte ständig nach familiärem Halt, seine sensiblen Gefühlsausbrüche sind ebenso bekannt, wie seine verzweifelte Bitte nach Respekt.
Vielleicht sehnte er sich nach einer Niederlage, um zu zeigen, dass er auch nur ein Mensch sei, vielleicht fand er aber auch nur seinen Meister, wenn auch nur für diesen einen Tag.
Nach der Niederlage besann sich Tyson auf seine boxerischen Qualitäten, er plante eine Rückkehr auf den Boxthron. Er besiegte Henry Tillman, Alex Stewart und zweimal Donovan Ruddock und ein Duell gegen Evander Holyfield stand unmittelbar bevor.
Kurz vor dem geplanten Kampf kam Tyson jedoch mit dem Gesetz in Konflikt. Eine Tänzerin beschuldigte Tyson, sie vergewaltigt zu haben und der damals 25-Jährige musste ins Gefängnis. Tyson bestreitet die Tat noch heute, selbst die Möglichkeit einer vorzeitigen Entlassung ließ er verstreichen, weil er sich weigerte, sich bei dem Opfer zu entschuldigen. Tyson sah nicht ein, sich für etwas zu entschuldigen, was er nach eigener Aussage gar nicht getan hat. Die wahren Umstände der Tat werden wohl nie geklärt werden, leise Zweifel an dem Wahrheitsgehalt der Aussage des Opfers dürfen aber dennoch geäußert werden.
Im Gefängnis konvertierte Tyson zum Islam und gab zu, er habe ständig Angst um sein Leben gehabt, so ging er alleine unter die Dusche, weil er Angst vor einer Vergewaltigung hatte und bekam sein Essen von einem externen Restaurant - diese Privilegien wurden ihm auch gewährt.
Am 19.08.1995 feierte Tyson einige Monate nach seiner Entlassung sein Comeback. Den völlig überforderten Peter McNeeley schlug er in der Eröffnungsrunde gleich zweimal zu Boden, bevor der McNeeley's Manager in den Ring stürmte, um seinen Schützling vor weiterer Prügel zu bewahren.
Nach einem weiteren Aufbaukampf gegen den übergewichtigen, aber zuvor ungeschlagenen Buster Mathis Jr. forderte Tyson am 16.03.1996 den WBC-Weltmeister Frank Bruno heraus. Nach einer sehenswerten Leistung wurde Tyson durch einen TKO-Sieg in Runde drei erneut Weltmeister, seine Aura hatte durch den Gefängnisaufenthalt nicht gelitten. Bruno war die Angst ins Gesicht geschrieben, während des Walk-In bekreuzigte sich der Engländer in der Erwartung der kommenden Minuten mehrmals.
Kurze Zeit später besiegte Tyson auch den Weltmeister Bruce Seldon. Den Kampf gegen diesen unwürdigen Träger des Weltmeisterschaftsgürtels darf man getrost als Farce bezeichnen, denn Seldon ging schon in der ersten Runde nach einem Phantomschlag zu Boden. Bei diesem Kampf stand jedoch nur Seldons WBA-Titel auf dem Spiel, der WBC-Gürtel wurde zwischenzeitlich vakant, da sich Tyson weigerte, diesen gegen den Nr.1-Herausforderer Lennox Lewis zu verteidigen. Diese Tatsache ist insbesondere nach dem 08.06.2002 bemerkenswert!
Am 09.11.1996 kam es dann zu einer legendären Ringschlacht zwischen Mike Tyson und Evander Holyfield. Holyfield, der nach seinen Niederlagen gegen Riddick Bowe und einer angeblichen Herzkrankheit als krasser Underdog eingestuft wurde, kämpfte die Schlacht seines Lebens. Er ließ sich nicht zurückdrängen, sondern unterband fast jeden Angriff Tysons und war selbst fast ständig im Vorwärtsgang. In der 11. Runde war Tyson dem Schlaghagel Holyfields beinahe wehrlos ausgeliefert, Ringrichter Mitch Halpern brach den Kampf zurecht ab.
Schon auf der anschließenden Pressekonferenz wurde man sich über einen Rückkampf einig, der dann am 28.06.1997 stattfand. Die Öffentlichkeit erwartete erneut eine Ringschlacht, doch fand dieser Kampf aus einem anderen Grund seinen Eintrag in die Geschichtsbücher. In Runde drei biss Tyson seinem Gegner ins Ohr. Tyson war in dieser Situation völlig überfordert, er selbst wollte seinen Biss mit den unzähligen Kopfstößen Holyfields rechtfertigen. Tatsache war jedoch, dass sich ein ähnlicher Kampfverlauf wie sieben Monate zuvor abzeichnete.
Unabhängig davon, dass Holyfield bis heute vorgeworfen wird, mit unfairen Mitteln zu boxen, ist der Ohrbiss nicht zu rechtfertigen und wurde erwartungsgemäß mit einer Sperre geahndet. Anzumerken ist jedoch, dass dieser Biss die erste Unsportlichkeit von Tyson innerhalb des Ringes war.
Nach der ausgesprochenen Sperre kehrte Tyson erneut in den Ring zurück, fand jedoch nie zu seiner alten Form. Nur im Kampf gegen den psychisch labilen Andrew Golota blitzte das Können des Ex-Champ noch einmal auf, leider war dies nur ein Strohfeuer. Um so mehr häuften sich nun die Skandale im Ring. Im Kampf gegen Frans Botha versuchte Tyson, seinem Gegner während eines Clinches den Arm zu brechen. Orlin Norris schlug er nach dem Gong zu Boden. Im Kampf gegen Lou Savarese stieß er den Ringrichter weg, um weiterhin auf seinen Gegner einzuprügeln. Der bereits erwähnte Kampf gegen Golota wird heute als "No-Contest" gewertet, weil Tyson der Konsum von Marihuana nachgewiesen wurde.
Nach einem mäßigen Kampf gegen den übergewichtigen Dänen Brian Nielsen, einigten sich die Manager und Fernsehstationen nach langen Verhandlungen endlich und das Unmögliche wurde Wirklichkeit, ein Duell zwischen Lennox Lewis und Mike Tyson.
Der Kampf brach alle Rekorde. Nie wurde ein Kampf spektakulärer promotet - unvergessen die Pressekonferenz, in der Tyson und Lewis eine Prügelei begannen - nie war die Kampfbörse so exorbitant hoch, nie die Einschaltquoten besser.
Das Ergebnis ist jedem Sportfan bekannt, Lennox Lewis war der klar bessere Boxer, Tyson besann sich zu keiner Zeit auf seine früher vorhandene Technik, er versuchte lediglich, Einzeltreffer anzubringen. Er scheiterte an einem zu diesem Zeitpunkt klar besseren Boxer.
Das Duell endete nicht mit einem Happy-End für den Mann aus Brooklyn. Auch sein Leben steuert nicht auf ein Happy-End zu - gescheiterte Ehen, Depressionen, Steuerschulden. Mike Tyson lebt ständig in der Gefahr, den sozialen Halt zu verlieren.
Es stellt sich die Frage, wie es mit Tyson weitergeht. Es ist mehr als zweifelhaft, ob er je in den Ring zurückkehren wird. Er ist 36 Jahre alt. Es ist zwar bekannt, dass Schwergewichtsboxer auch noch in diesem Alter außergewöhnliche Leistungen vollbringen können, dazu bedarf es jedoch eiserner Disziplin und dem Willen nach sportlichem Erfolg. Beides dürfte bei Mike Tyson kaum noch vorhanden sein, sein ständiges Übergewicht zeugt nicht gerade von der geforderten Disziplin und ein Grund, erneut in den Ring zu steigen, wäre in seinem Fall lediglich das Geld. In einem Interview nach dem Kampf sprach Tyson davon, dass er zurückkehren würde, wenn man ihn entsprechend bezahlen würde.
Es bleibt zu hoffen, dass Mike Tyson seine einzigartige Karriere nun beenden wird. In den Köpfen der echten Boxfans wird er als einer der besten Boxer der Geschichte bleiben, ein Sportler mit dessen Namen Maßstäbe der Vermarktung gesetzt wurden, ein Boxer, der immer die Leistung der Gegners würdigte. Vielleicht sollte man öfter ein Bild des lachenden Vaters oder des Taubenzüchters Mike Tyson abbilden und nicht jenes des Knockout-Monsters mit dem Stahlgebiss. Selbstverständlich ist und war Tyson ein Sportler der polarisierte, doch es ist und bleibt eine Frage des Respekts, ihn nicht nur als Boxer in Erinnerung halten, der seinem Gegner ein Stück des Ohrs abbiss. Respekt, den Mike Tyson (fast) immer im Ring bewies.