Mich regt an der "Diskussion" auf, wenn aus der Sicht von Captain Hindsight argumentiert wird. Als das erste Mal alles geschlossen wurde, wussten selbst Fachleute kaum etwas über das Virus.
Das vergessen viele einfach auch gerne. Da wird so getan, als ob das Bauchgefühl einer Person plötzlich frühzeitiges Wissen gewesen sei, oder Dinge werden einfach aus unterschiedlichen Zeitpunkten zusammengewürfelt.
Ich habe anno 2020 an einem Erstentwurf für ein Paper mitgewirkt, was die Effektivität diverser Maßnahmen untersuchen wollte. Dabei hatte ich die Idee, Modelle zur Mutationsrate zu inkludieren, um auch abschätzen zu können, wie stark sich die Gefahr einer Mutation, die sich leichter verbreitet, durch entsprechende Infektionshäufigkeit abbilden lässt. Das war letztendlich zu kompliziert und für die Kernaussage des Papers unerheblich. Aber gerade weil das Virus relativ unbekannt war, war die Bandbreite der Ergebnisse der Modellrechnungen auch erheblich und hat teilweise die Effekte, die wir eigentlich ermitteln wollten, überdeckt. Heute weiß man mehr dazu, und teilweise entsprechen die Ergebnisse dem, was ich in meiner Modellierung als "most likely" etablierte. Aber die Wahrheit ist, damals konnte ich auf Frage dazu keine zufriedenstellende Antwort geben, daher flog das und meine Co-Autorenschaft halt aus dem Paper. Heute so zu tun, als ob ich Recht hatte, weil ich irgendwo in den Ergebnissen noch das heute "richtige" finde, wäre schlichtweg unredlich.