Viereinhalb Minuten und vier Treffer – mehr nicht!
13.03.2007
Wladimir Klitschko verteidigte seinen WM-Titel, ohne dass er sich als Champion präsentieren durfte
Von Fred Sellin
Oh, war der sauer! Saß da auf seinem Platz, rührte sich nicht, starrte nur vor sich hin und gab minutenlang keinen Ton von sich. Dabei war er vorher so aufgeregt gewesen wie ein Kind vor der weihnachtlichen Bescherung. Hatte mich in ein Gespräch verwickelt, obwohl wir uns gar nicht kannten. Hatte mir erzählt, wie er im letzten Moment noch eine Karte ergattern konnte, bei ebay, für 198 Euro. Und wie er sich darüber gefreut hatte, wo doch die Mannheimer SAP-Arena seit Wochen ausverkauft gewesen war, bis auf den letzten Platz. Dass er extra aus einem kleinen Kaff bei München angereist sei, vierhundert Kilometer mit dem Auto. Und dass ihm das Geld und der ganze Aufwand egal gewesen sei, weil er sich zum ersten Mal einen Boxkampf live ansehen wolle. Der Klitschko, hatte er gemeint, scheine ja gut in Form zu sein. Das hätte er gelesen. Alle Zeitungen hätten darüber berichtet, dass er sich so hart wie nie auf diesen Kampf vorbereitet habe. Das Fernsehen ja auch, vor allem die von RTL.
Wladimir Klitschko beim Einmarsch in die SAP-Arena (Foto: Sumio Yamada)
Und dann das!
Viereinhalb Minuten!
Das Spektakel vorbei, bevor es überhaupt begonnen hatte!
Mir tat der Mann auf dem Sitz neben mir leid. Ich dachte: Wenn er doch wenigstens sein Geld an der Kasse zurückbekäme. Irgendwie wirkte er mindestens so niedergeschlagen wie Ray Austin, dieser talentfreie Rummelboxer, der auf wundersame Weise zum Herausforderer von Wladimir Klitschko ernannt worden war. Den sein Promoter Don King, dieser einflussreiche Zirkusdirektor des Profiboxens, in den Ring von Mannheim befohlen hatte, damit er sich vom IBF-Champion eine Tracht Prügel abholt. Aber nicht einmal dazu ist es gekommen.
Schon in der zweiten Runde war Austin am Boden (Foto: Sumio Yamada)
Es gab dann auch genügend Pfiffe in der Halle. So richtig schienen sich nur wenige zu freuen, als Klitschko nacheinander in den Ecken des Ringgevierts auf die Seile kletterte, um in Siegerpose, mit nach oben gereckten Armen, den (nicht gerade überwältigenden) Jubel in Empfang zu nehmen. Der Unmut hatte allerdings wenig mit ihm, dem strahlenden Weltmeister, zu tun. Dieser Amerikaner aus Cleveland/Ohio war auch nicht sein Wunschgegner gewesen. Er hätte lieber gegen einen Namhafteren geboxt, gegen Lamon Brewster zum Beispiel, mit dem er noch eine Rechnung zu begleichen hat. Vor allem hätte er gern ein bisschen mehr von seinem Können gezeigt.
Austin hatte vor dem Ende linke Haken kassiert (Foto: Sumio Yamada)
Wenn man ehrlich ist, begann der Ärger schon viel früher. Austin war kein Gegner für Wladimir Klitschko. Seine körperliche Verfassung verriet selbst Boxsport-Laien, dass sich der Ukrainer nicht vor ihm fürchten musste. Gegen wie viele hochklassige Boxer hatte Austin denn geboxt, bevor er auf den Herausforderer-Thron gehievt wurde? Gegen wen hatte er seine vermeintliche Klasse bisher unter Beweis gestellt? Mir fällt keiner ein. Daher ist es – gelinde formuliert – bedauerlich, dass es überhaupt zu diesem Kampf gekommen ist. Wobei das Wort "Kampf" im Zusammenhang mit dem, was am Samstagabend 13 Millionen RTL-Zuschauer und die knapp 15.000 in der Arena sahen, so unpassend ist, wie es die leicht bekleideten Mädchen im VIP-Bereich waren, die wie bei Rockkonzerten in den achtziger Jahren Zigaretten verschenkten. Und so fühlten sich am Ende vermutlich alle ein bisschen betrogen: Mein Sitznachbar und viele andere in er Halle, das Fernsehpublikum zu Hause, ja selbst Klitschko im Ring, der in der kurzen Zeit nicht einmal auf Betriebstemperatur gekommen war, gerade einmal vier Linke schlagen durfte. Er hätte eine bessere Vorstellung verdient. Nur Austin wird sich insgeheim eins gefeixt haben: Schneller kann man eine Million Dollar schwerlich verdienen.
Nach dem Sieg: Klitschko freut sich über den Erfolg (Foto: Sumio Yamada)
Das Boxgeschäft ist so undurchsichtig wie Morgennebel in den Bergen. Und echte Boxfans verzeihen vieles. Fragt sich nur, ob sie nach solchen Ring-Spielchen wie in Mannheim nicht irgendwann die Lust verlieren, den Fernseher einzuschalten. Zugegeben, das Schwergewichtsboxen steckt in einem Dilemma: Einerseits wollen die Zuschauer hochkarätige Kämpfe sehen. Andererseits gibt es kaum noch jemanden, der ihnen diese liefern kann. Im Grunde gibt es für Wladimir Klitschko zurzeit nur einen Gegner, der eine echte Herausforderung darstellen würde: Nikolai Valuev. Und der nicht einmal, weil er ein brillanter Boxer ist. Er gilt allein dank seiner überaus robusten Bauweise als Kampfmaschine, die schwer zu eliminieren ist. Naja, und dann gäbe es natürlich noch Wladimirs Bruder Vitali, der zurückgetretene Ex-Champ, den es wieder in den Ring drängt. Doch dieses Duell wird es bekanntlich niemals geben.
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