Hamburger Schwergewichtsboxer Denis Boytsov dachte schon an das Karriereende
23.01.13
Aus dem seelischen Tief zurück in den Ring
Hamburg. Als er nachts nicht mehr schlafen konnte, als ihn die Sorgen um seine Zukunft aufzufressen drohten, stand Denis Boytsov kurz davor, eine der hoffnungsvollsten Karrieren im Schwergewichtsboxen zu beenden. Es war der Herbst 2012, und das ständige Ringen um die Zukunft und der Streit mit seinem Promoter Waldemar Kluch hatten den Russen zermürbt. "Ich hätte am liebsten mit dem Boxen aufgehört", erzählt er.
Denis Boytsov, 26 Jahre alt, in 31 Profikämpfen unbesiegt, war im Herbst 2004 nach Hamburg zum Universum-Stall gekommen. Mit seinem brachialen Stil wurde er schnell zum Knock-out-Spezialisten mit dem Image einer Kampfmaschine. Im vergangenen Jahr wurde er als Gegner für Wladimir Klitschko gehandelt.
Boytsovs Niedergang begann im Juli 2012, als der Streit zwischen dem früheren Universum-Chef Klaus-Peter Kohl und seinem Nachfolger Kluch um die Modalitäten der Geschäftsübernahme eskalierte. Der Russe wurde zum Streitobjekt, weil Kluch in ihm den "Motor" des Unternehmens sah und befürchtete, Kohl wolle ihm sein letztes Faustpfand nehmen. Einen von Kohls Schwiegersohn Dietmar Poszwa im Namen Universums ausgehandelten neuen Vertrag, den Boytsov und sein Berater Gagik Khachatryan unterschrieben hatten, focht Kluch an - so lange, bis Khachatryan um Vertragsauflösung bat.
Die Probleme fingen damit erst an, denn einen Vertrag mit Kluch wollte Boytsov nicht unterschreiben. Er weigerte sich, im Universum-Gym in Lohbrügge zu trainieren. Einen für 12. Oktober angesetzten Kampf musste Boytsov absagen; offiziell wegen einer Nebenhöhlenvereiterung. Wie es ihm wirklich ging, sollte niemand wissen. Das Alkoholproblem, das ihm die Szene unterstellte, dementiert er zwar so vehement wie glaubhaft, doch die Psyche brachte auch die Physis durcheinander. Der Muskelberg, der rund 102 Kilo Kampfgewicht auf 1,85 Meter verteilt, magerte auf 94 Kilo ab und fühlte sich, als könne er nicht einmal mehr eine Falte in ein Kopfkissen schlagen.
Heute, rund drei Monate später, kann Boytsov darüber reden, er wirkt befreit, wenn er es tut. Der Zuspruch seiner Familie, die er im Dezember in seiner Heimatstadt Orjol nahe Moskau besuchte, hat ihm ebenso geholfen wie der fachliche Rat des Berliner Rechtsanwalts Johannes Eisenberg. Und so hat sich Boytsov nicht nur entschlossen, die Karriere fortzusetzen, er glaubt jetzt mehr denn je daran, dass er sie zum erträumten Ende bringen wird. "2013 wird mein Jahr, spätestens 2014 werde ich Weltmeister sein", sagt er.
Die Folgen der Operationen an Schlaghand und rechtem Ellenbogen sind ausgestanden. Michael Ehnert, lange Jahre Vertrauensarzt des Universum-Stalls und bis heute Boytsovs behandelnder Mediziner, sagt: "Denis ist wieder voll funktionstüchtig." Er brauche noch einen systematischen Athletikaufbau. Am 17. Februar soll er einen Aufbaukampf in Schwerin bestreiten. Wie der Streit mit Kluch ausgeht, ist offen. "Er wird sich freikaufen müssen oder bis 2016 nicht mehr kämpfen", hatte Kluch gesagt. Khachatryan will das Duell am 17. Februar durchziehen. "Denis braucht Kämpfe, um sich die Sicherheit zu holen, dass er es noch kann", sagt er. Derzeit übt Boytsov im alten Universum-Gym an der Walddörferstraße mit Owen Reece. Er wünscht sich einen Trainer aus Übersee: "Ich würde gern die US-Schule lernen, beweglicher und unbequemer werden."
Das Interesse ist trotz der neunmonatigen Ringabstinenz nicht geschwunden. US-Promoter Golden Boy hat angefragt, das Berliner Sauerland-Team würde ihn gern unter Vertrag nehmen. Felix Sturm hat mit ihm verhandelt, es gab auch Avancen der Klitschkos. "Bei denen hätte ich nie unterschrieben", sagt Boytsov. "Sie sind meine Gegner." Khachatryan will "momentan mit niemandem einen Vertrag abschließen".
Boytsovs größter Wunsch für 2013: "Ich möchte einfach nur ein gutes Comeback. Alles andere kommt von allein." Das vergangene Jahr hat ihn demütig gemacht. Aber es hat nicht seinen Willen gebrochen. Denis Boytsov kann wieder ruhig schlafen.
Abendblatt