Ich sehe das eher in unterschiedlichen Äras - alles vor der EM 1980 lasse ich jetzt mal weg (die Mannschaften der Mittsechziger bis Mittsiebziger hatten sehr viel Talent. Sicher nicht so viel wie die Niederländer, aber dass man es sich z.B. erlauben konnte, Netzer oft gar nicht einsetzen zu müssen, weil man Overath hatte, sagt schon viel aus, und dann gab es ja auch noch Beckenbauer als weiteren Lenker).
In den kompletten 80ern konnte man noch körperlich überlegen, mit überragender Disziplin und ohne Nerven in Elfmeterschießen gegen die meisten Teams gegenhalten und so spielerisch besseren Mannschaften wie z.B. Frankreich ('82 und '86) oft ein Bein stellen. Das ging einzig bei der EM 1984 schief, aber ansonsten war man recht zufrieden damit, dass man 1982 und 1986 ins WM-Finale kam, und 1988 nur knapp gegen die damals beste Mannschaft Europas im Halbfinale verlor (das bei der Heim-EM tat wirklich weh, aber es wurde nie als Schande angesehen), und 1990 kam die Bestätigung, dass man mit deutschen Tugenden alleine immer noch gewinnen kann (etwas übertrieben gesagt, denn da hatte man so einige spielerische Klasse mit Loddar, Möller, Litti, Hässler und Bein sowie einem überraschend aufspielenden Buchwald), und auch das EM-Turnier 1992 liess die Leute noch nicht aufhorchen - man war ja ins Finale gekommen.
Danach wurde es richtig offensichtlich, dass spielerische Klasse fehlte, bis Vogts, der wirklich noch das beste aus der Mannschaft holte, was möglich war, oft nur noch ein Mittel hatte, das einige Male nicht mehr ausreichte: "Räume zustellen" und den Gegner müdespielen, hohe Flanken von Hässler in den Strafraum und hoffen, dass ein starker Kopfballspieler wie Bierhoff den reinmacht. 1996 hatte man nochmal ein Team, bei dem man genug Talent hatte, aber sonst? Dass man spielerisch abgefallen war (im Vergleich zu den besten Mannschaften der Welt sowieso, aber auch zur den nachrückenden, siehe Niederlagen gegen Rumänien, Kroatien etc.), machte sich viel deutlicher bemerkbar als im Jahrzehnt zuvor. In den 80ern war es schon schlimm genug, dass der beste deutsche Spielmacher der damaligen Zeit (Bernd Schuster) seinen Rücktritt erklärt hatte, aber jetzt schlug das umso mehr durch: Sammer nach '96 verletzt, ein aufstrebender Scholl Ende der 90er verletzungsgeplagt, Effenberg durch seinen Finger weg, und Ende der 90er gab es dann nur noch Hässler, Möller (der aber nie ein herausragender Führungsspieler in der Nationalmannschaft war) und ein uralter zurückgeholter Loddar, der obwohl er nochmal eine bombige BL-Saison hingelegt hatte, bei der EM 2000 gar kein Faktor war.
Wie das letzte Jahrzehnt dann ablief, haben die meisten hier im Forum ja selbst miterlebt: Ballack - eigentlich ein typischer Sechser - als spielerisches Zentrum und ansonsten die alte Hässlerflanke-Bierhoffkopfball-Variante, jetzt nur ausgeführt von Bernd Schneider und Miro Klose. Mit guter Verteidigung, Kahn und Glück fing man sich wenig Gegentore und musste vorne hoffen, dass ein Fernschuss reinging oder besagte Flanke saß. Die WM 2002 sehe ich da wirklich als Ausrutscher nach oben, denn sonst wurden dem deutschen Team weiter von spielerisch besseren Mannschaften (Portugal, Tschechien) des öfteren die Grenzen aufgezeigt. Zumal sich der Trend verstärkte, dass man die Gegner nicht mehr müde spielen konnte, denn die arbeiteten jetzt auch alle verstärkt an ihrer Fitness.
Man muss es Vogts (und im Zuge dessen auch Völler, der zumindest von seinen Aussagen her oft in die gleiche Richtung ging) hoch anrechnen, dass er immer wieder anmahnte, dass man die Jugendarbeit verstärken müsste, und dessen Früchte ernteten dann Klinsmann und Löw bzw. besonders der Nationaltrainer der nächsten Jahre, denn endlich kommt spielerisches Talent nach. Die deutschen Tugenden kann man ihnen trotzdem antrainieren - muss ja kein Widerspruch sein.