Joan Baez: I Am a Noise (2023)
Besprechung der obgenannten Dokumentation, bei welcher Miri Navasky, Maeve´O Boyle und Karen O`Connor für die Regie verantwortlich zeichneten.
Gleich zu Beginn werden wir mit einer Line von Gabriel Garcia Marquez konfrontiert: Das Publike, das Private und das Geheimnisvolle.
Damit ist recht gut beschrieben, was uns in dieser mit Inhalt prall gefüllten Dokumentation über die Songwriterin, Friedensaktivistin, Sängerin, Malerin, Mutter und Familienmitglied, über den Menschen Joan Chandos Baez, erwartet.
Joans Familie bestand aus dem Vater, Albert, einem Forscher und Akademiker, der Mutter Joan und den beiden Schwestern Mimi und Pauline. Die Familie zählte zu den Quäkern. Der Vater hatte Joan soziales Bewusstsein vermittelt, während dessen die Mutter eine wahrhafte Pazifistin war und nicht viel auf Gesetze gab. Joan war Halbmexikanerin und mit eher dunklem Teint gesegnet. Wegen beidem wurde sie schon früh gehänselt.
Die Familie reiste viel in der Welt umher, wobei Joan die Eindrücke in sich aufsog. Sie hätte mit den Armen gefühlt, mit den Schmerzenden gelitten und sich Gedanken um Tiere gemacht. Ihr sei bewusst geworden, dass andere Leute viel grössere Sorgen als sie hatten.
Schon mit um die 13 notierte Joan in ihr Büchlein, dass sie sehr launisch sei, über Leben, Tod, Religion nachdenke. Ob sie so werde, wie es ihre Eltern wünschten oder ob sie sie enttäuschen werde? Sie litt daran, dass ihre Hautfarbe besonders im Sommer sehr dunkel wurde und fühlte sich in Bezug auf die weissen und reichen Kids minderwertig.
Joan litt schon früh an Angststörungen und Panikattacken.
Musikalisch hätte sie ihre Gitarre genommen und alle kopiert. Der Club 47 diente ihr als Lehrplatz. Bekannt wurde Joan Baez, als sie 1959 beim Newport Folkfestival durchstartete und im Time Magazine ein Artikel über sie erschien.
Joans Schwester Pauline entfernte sich von ihr, konnte mit dem Erfolg nicht umgehen. Mimi sah sich mit Joan in Konkurrenz, da auch sie musizierte.
Joan selber wollte nicht privilegiert sein. Sie mochte den Ruhm nicht besonders, sah viele, welche nicht privilegiert waren und dies löste bei ihr einen Konflikt aus. Sie litt unter Schlaflosigkeit und fühlte sich mental erschöpft. Joan war nicht besonders gut in 1:1 Beziehungen, 1:2000 handelte sie besser.
Mit 22 Jahren nahm sich Joan 1 Jahr Auszeit, um nicht von der Unterhaltungsindustrie aufgefressen und um eine bessere Person zu werden.
Joan traf Kimmie, welche an der Küste jeden unter den Tisch saufen konnte, 7 Stunden am Stück surfte und wilder als Joan war. Joan ging mit Kim eine Beziehung ein und lernte Liebe und Sex mit einer Frau kennen.
Am Marsch nach Washington 1963 nahm Joan teil, war von Martin Luther Kings Rede "I have a dream" fasziniert. Für sie gehörten Politik und Musik zusammen. Allerdings fehlten ihr dazu Lieder und dann trat Bob Dylan in ihr Leben, dessen Texte Sinn für sie machten. Sie traf ihn in Gerd s Folk City, wo Dylan gerade hard rain geschrieben hatte und es mit ein paar Leuten sang. Joan merkte schnell, dass Dylan aussergewöhnlich begabt war und war hin und weg. Joan war es, welche Bob auf die Bühne bittete und mit ihm "it ain`t me babe" sang. Einen Song, den ich persönlich nie mit jemandem singen würde, den ich liebe. Bob schrieb schon damals unglaublich viele Lieder. Die Schreibmaschine spuckte sie nur so raus. Joan sagt, Bob hätte eine Mutter gebraucht, jemand, der ihm ein Bad gab und seine Lieder sang. Sie selber hätte jemanden gebraucht, den sie mütterlich umsorgen konnte und hätte seine Musik nötig gehabt. All das sei damals stimmig gewesen.
Joan schrieb damals in ihr Büchlein: "I have been healthy for so many days in a row that i feel like a normal person in love."
Politisch engagierte sich Joan weiterhin für die Bürgerrechtsbewegung. Sie war beeindruckt von der Tapferkeit der Jungs. Sie nahm auch am Montgomery Protest teil. Joan hielt viel von Gandhi und wollte so sein wie er.
Joan reiste mit Bob Dylan nach England, wo es zum Bruch der Beiden kam. Baez gibt an, dass sie im Gegensatz zu den Jungs keine Drogen konsumieren wollte und andernorts war zu lesen, dass es sie schmerzte, dass Bob sie nicht mit auf die Bühne holte. Jedenfalls empfand Joan England als Alptraum und reiste nach Paris weiter, wo sie sich in die Stadt, aber auch in viele Jungs verliebte.
Danach ging ihr bald der Sprit aus und sie wurde krank. Die Achterbahn und ihre Dämonen hatten sie eingeholt und die Erwachsene brach zusammen und das Kind in ihr übernahm.
Vietnam geriet in den Fokus und Baez positionierte sich klar und tapfer. Sie vertrat die Ueberzeugung, dass sich die USA aus Vietnam zurückziehen musste. Joan Baez war kompromisslos in ihren Ansichten zu Vietnam und ging dafür auch ins Gefängnis. Dort wurde sie vom Aktivisten David Harris besucht, der ein Anführer der Bewegung war. Harris trug einen Cowboy-Hut und besass Charisma und Flair. Er hätte gesprochen und sie gesungen. Backflashes zu Dylan inklusive.
Harris und Baez wurden ein Paar, wobei Harris für 20 Monate ins Gefängnis musste, währenddessen Joan schwanger war. Die Tagebuchnotizen und Zeichnungen zeigen eine Joan Baez, welche um diese Ehe kämpfte, aber schliesslich desillusioniert und ihrer fehlenden Gesundheit bewusst, das Handtuch warf. In der Doku meint Joan, dass David sie nicht hätte heiraten sollen. Er wäre noch sehr jung gewesen und sie zu verrückt.
Sohn Gabriel, der aus der Ehe mit David hervorging, spielt auch auf Joans Abschiedstour. Es wären in seiner Kindheit immer viele Leute gewesen, welche sich um ihn gekümmert hätten, aber halt nicht so wie Eltern. Er hätte viel Zeit alleine verbracht. Joan hätte viele Sorgen gehabt, welche er für die Doku nicht teilen möchte.
Jedenfalls hätten diese Sorgen Joan nicht genug Zeit gelassen, um ganz für ihn da zu sein. Joan wäre damit beschäftigt gewesen, die Welt zu retten und kein Kind könne das verstehen.
Joan hält Diamonds & Rust für ihr bestes Album. Es hätte ihr auch viel Geld eingespielt und sie zurück ins Lampenlicht gebracht. Joan spielt ihren Methaqualon-Missbrauch an. Er hätte 8 Jahre lang angedauert und ihre Karriere ging den Bach runter.
In der Folge dreht sich die Doku um tatsächliche oder vermeintliche Uebergriffe des Vaters auf die inzwischen verstorbene Mimi und Joan selber. Das Ganze bleibt nebulös und schwammig. Joan beruft sich auf Hypnose-Sitzungen und auf Aussagen von Mimi. Der Vater und auch die Mutter wiesen diese Anschuldigungen nachweislich zurück. Vater Albert erklärte die Vorwürfe mit dem False Memory Syndrome. Schwester Pauline glaubte Mimi und Joans Anschuldigungen nie und hielt zu ihren Eltern.
Joan vergab der Mutter, auch weil sie so zerbrechlich und ihr nahe war. Bilder zeigen zärtliche (imo zu intime) Momente mit der schwer betagten Mutter. Joan liegt im gleichen Bett mit der todkranken Mutter, streichelt sie.
Sowohl Mimi als auch Pauline starben an Krebs. Pauline wurde 77, Mimi nur 50 oder so.
So bleibt nur noch Joan einsam zurück. Sie denkt an die Traurigkeit des Vaters, der im Rest seiner späten Jahre allein war. Warum hätten sie sich nicht um ihn gekümmert, wie es bei der Mutter möglich war?
Joan wirkt etwas geerdeter. Die Dämonen kämen und gingen immer ein wenig. Die Phobien nämen ab, genauso wie die Panikattacken, gingen dorthin wo sie es wolle. Etwas, was sie sich nie hätte vorstellen können.
Auf die Frage, welche Dekade ihr am besten gefalle, sagt Joan ohne zu zögern: diese.
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Nun, natürlich ist die Doku eindrücklich. Insbesondere die Animation der Zeichnungen in Joans Tagebuch ist brilliant umgesetzt. Die tiefen seelischen Zerrüttungen des Menschen Joan Baez ist gut dokumentiert aber auch passabel erschreckend.
Hinter der lächelnden und sympathischen Fassade der Joan Baez tun sich Abgründe auf, welche ich so nicht erwartet hätte.
Unbestreitbar ist Joan Baez eine grosse Künstlerin, welche mit ihrem sozialen Engagement, ihren wunderschönen musikalischen Interpretationen, Vorbild und Ikone einer ganzen Generation war. Ihr Gitarrenspiel war für die damalige Zeit erstaunlich gut (imo steckt sie was Gitarrenkunst anbelangt Woody Guthrie, Bob Dylan, Pete Seeger, Phil Ochs u. a. locker in die Tasche), ihre Stimme war und ist unverwechselbar.
Was mir schade erscheint ist, dass Joan Baez einfach viel zu wenig eigene Lieder schrieb, zu wenig ihren eigenen Weg suchte und sich musikalisch kaum weiter entwickelte. Joan ist sprachlich hochtalentiert, zeichnet atemberaubend schön, hat einen tollen Sinn für soziale Ungerechtigkeiten.
Sie war eine hervorragende Interpretin von Liedern, welche andere schrieben und hat diese nicht selten besser als die Originale gesungen.
Ich hätte sie gerne gefragt, wie sie ihr Engagement für die ganze Welt in Relation zu ihrer Beziehung mit ihrem Sohn sieht. Ich hätte sie gerne gefragt, ob das richtig und angemessen war, die zerbrechliche und dem Tode nahe Mutter so intim zu zeigen. Ich hätte sie gerne gefragt, ob es richtig war, die auf sehr wackligen Beinen daherkommenden Anschuldigungen gegen ihren Vater publik zu machen? Ich hätte sie auch gerne gefragt, wie ihre neusten Anmerkungen zum Ukraine-Krieg und Joans seltsamer Bailout Option mit dem Hinweis auf Gandhi pazifistisch zu verstehen ist.
Insgesamt war die Dokumentation zweifellos interessant. Ich selber hatte bis anhin offenbar einen absurd falschen Eindruck von Joan Baez. Nach Ansicht der Doku zeigen sich jedenfalls deutlich mehr Fragezeichen am Horizont als vorher.