Jeden Morgen das gleiche Trauerspiel am Frühstückstisch: das benutzte Geschirr meiner Mitbewohnerin Merle, die bereits vor einer Stunde ordnungsgemäß die Wohnung verlassen hat, um die erste S-Bahn zur Uni zu nehmen, erinnert mich unumgänglich an die ernüchternde Tatsache, dass die zweite trübe Tasse gleich ebenfalls geschäftig aufspringen und mir dabei das Gefühl, ein Orchideendasein in dieser WG zu führen, bestätigen wird.
Während ich routinemäßig den bereits zerknitterten Beipackzettel aus meiner Gute-Laune-Pillensammlung ziehe, um darin vergeblich nach einem Farbklecks, einer Art Handlungsanweisung in dieser sozialen Einöde zu suchen, wünschte ich, es gäbe immerhin jemanden, der die Unerträglichkeit dieses Nebeneinander-her-Lebens hier mit seiner Kamera filmisch festhalten und diesem jämmerlichen Zustand wenigstens den Nutzen eines mahnenden Beispiels für die Nachwelt abgewinnen könnte.
Aber nein, mir gegenüber sitzt nur Amelie, die mit grauen Nähgarn eine Weste strickt, von der ich nicht sagen könnte, ob diese für ihre Oma gedacht ist oder demnächst doch ihren eigenen Kleiderschrank zieren wird. Es Lebe das WG-Leben mit Leuten, die man anstandshalber „ganz nett“ fand.
Szenebezirk - Attraktivitätsmerkmal - vereisen - Windlicht - Amalgamfüllung - salutieren