Ich gehöre ja durchaus zu den Leuten, die beim Sport vor allem mit den eigenen Landsleuten mitfiebern - ob nun beim Skispringen, beim Tennis oder früher in der Formel 1. Das heißt aber nicht, dass ich die deutschen Sportler völlig unkritisch betrachte; es ist aber wohl schon so, dass ich ihnen einen Fehltritt eher verzeihe (mit dem „Fehltritt“ sind - um nicht missverstanden zu werden - ausdrücklich nicht die Vorwürfe seiner Ex-Partnerinnen gemeint, sondern eher ein Vorfall wie damals beim Tennisturnier von Acapulco (?) mit dem Schiedsrichter) oder etwas genauer nachfrage, um mich davon zu überzeugen, dass bestimmte Vorwürfe wahr sind.
Denn eines ist klar: Gewalt gegen Schwächere ist absolut zu verurteilen, und wenn die Anschuldigungen seiner Ex-Partnerinnen zutreffen sollten, dann wäre das schon sehr schwerwiegend.
Dass immer wieder der Vergleich zu Novak Djokovic gezogen wird, liegt meiner Ansicht daran, dass manche der größten Zverev-Kritiker eher Djokovic die Daumen drücken und umgekehrt - und daran, dass Djokovics Vergehen durchaus unterschiedlich gewichtet werden. Manche sagen etwas lapidar, er hat eben die Covid-Regeln nicht eingehalten; ich sehe es eher so, dass er durch sein Verhalten in der Pandemie Menschenleben gefährdet hat. Er besucht wissentlich ohne Not infiziert eine Veranstaltung mit vielen anderen Teilnehmern, nimmt in Kauf, dass diese sich anstecken und die Krankheit weitertragen - und dass irgendwo in der Kette doch jemand schwer erkrankt. Und wenn der serbische Nationalheld schlechthin ausgerechnet in einer Situation, in der es im Nordkosovo Unruhen gibt und Serbien Militär an der Grenze zusammenzieht, sinngemäß twittert, der Kosovo sei das Herz Serbiens, dann ist das für mich Kriegshetze und brandgefährlich. Deswegen spielen die Untaten Djokovics für mich durchaus mindestens in einer ähnlichen Liga wie die Vorwürfe gegen Zverev.
Hinzu kommen noch zwei Unterschiede zwischen Djokovic und Zverev. Djokovic ist zum Teil für seine Verstöße gegen die Covid-Regeln von manchen (selbstverständlich nicht von der Mehrheit) noch abgefeiert worden, was dann entsprechend wütende Gegenreaktionen erzeugt hat. Das passiert bei Zverev nicht, da dürften sich ja im Wesentlichen alle einig sein, dass die Taten, die ihm vorgeworfen werden, sehr schlimm sind, wenn sie zutreffen.
Aber treffen sie zu? Das ist eben der andere Unterschied: Bei Djokovic ist klar, dass er diese Untaten begangen hat; bei Zverev sind es immer noch Vorwürfe, die sich als unwahr oder deutlich übertrieben herausstellen können.
Deswegen bin ich durchaus auch froh, dass es zum Prozess kommen wird und dass er nicht stattdessen irgendein „Schweigegeld“ zahlt. Denn so ist zumindest die Chance am größten, dass am Schluss die Wahrheit ans Licht kommt. Auch wenn ich mir da nicht zu große Hoffnungen machen würde; denn ich denke nicht, dass der Prozess damit endet, dass Zverev zugibt, seine Partnerinnen misshandelt zu haben - aber auch nicht damit, dass die Anklägerin zugibt, dass ihre Vorwürfe frei erfunden sind. Ich halte es durchaus für nicht so unwahrscheinlich, dass am Ende sinngemäß ein Freispruch aus Mangel an Beweisen steht. Und dass die Geschichte dann kein Ende findet, weil die einen dann immer noch an seine Schuld und die anderen an seine Unschuld glauben.
Eines aber weiß ich: Wenn er am Ende schuldig gesprochen wird, dann werde ich ihm nicht mehr die Daumen drücken können.