Da ist sicher einiges dran, aber der Kern ist und bleibt ganz einfach: Boris Becker hatte im derzeitigen Alter von Zverev schon fünf seiner sechs GS gewonnen, Zverev bisher keinen. Das ist insofern überhaupt nicht vergleichbar. Wenn Zverev auch diesen extremen Erfolg schon in jungen Jahren gehabt hätte, wäre seine Populariät logischerweise ganz andere, und dann würden "Zugänglichkeit" und Fehltritte kaum jemanden interessieren, trotz social media und so weiter.
Natürlich spielt Erfolg eine Rolle, aber noch wichtiger ist imo der zeitliche Faktor. In den 80ern gab es ein paar Erfolge bei den Damen, aber man hätte ohne Becker auch mit einem 23 jährigen Zverev gegen einen Österreicher im Finale der US Open die Schlagzeilen gefüllt. Ein 17 jähriger in Wimbledon topt natürlich alles.
Tennis lag im Trend jedes Jahr gab es mehr Aktive, mehr Zuschauer bei den einheimischen Turnieren, mehr Bildmaterial, usw aber immer triumphierten nur andere. Dann kam derjenige der alles geändert hat. Ob der nun rote, braune oder schwarze Haare hatte, ob die Eltern aus Leimen oder Russland kamen, das war imo ziemlich egal.
In der nach Becker Ära, hätte man Beckers Werdegang noch viel kritischer beleuchtet.
Jein. Vor Becker war Tennis in Deutschland auch nicht sehr im Fokus. Es gab beginnend mit seinem ersten Wimbledon-Sieg den "Becker-Boom", der dann von Graf weiter befeuert wurde, aber eben auch Stich und dem Davis-Cup-Team, das zu dieser Zeit unglaubliches Interesse zog. Und Becker war halt auch erst 17 und hatte diese Wunderkind-Ding (jung, unbekannt, ungesetzt direkt zum Sieg), das medial gut funktioniert. Und er hat das dann auch unmittelbar bestätigt.
Über die Gründe warum das jetzt nicht so ist, kann man spekulieren. Ich denke vieles von dem was bereits genannt wurde, spielt da mit rein. Es kann auch noch kommen, falls Zverev mal einen (oder mehrere) GS gewinnt (v.a. Wimbledon dürfte vielen als ultimativer Titel ein Begriff sein) und ernsthaft um die Nr. 1 spielt. Aber er hat halt (boom-technisch betrachtet) einen relativ normalen Weg bisher. Dass er immer mal wieder quengelt, weil er sich nicht ausreichend wertgeschätzt fühlt, hilft vermutlich nicht, obwohl er in den ausführlicheren Interviews, die es während der GS bei Eurosport immer wieder gibt, eine gute Figur macht und von Stach/Becker auch ziemlich positiv sekundiert wird.
Was das Damentennis betrifft galt zu Kerbers GS-Siegen und ihrer Nr. 1 leider auch, dass es damals keine echten Spitzenduelle gab, sondern zu viele auf einem ähnlichen (und nicht immer Top-)Niveau (sorry!) gegen eine eigentlich darüber stehende Williams ihr Glück versuchten bzw. dann sehr viele schenlle wechsel an der Spitze erfolgten. Auch ihre eher introvertierte Art ist sicher weniger geeignet, um das mediale Interesse zu ziehen.
Ich denke nicht, dass wir in näherer Zukunft noch einmal einen vergleichbaren Boom kriegen werden wie in den 80ern, v.a. weil Zverev allein das nicht wird bedienen können (so wie vermutlich auch Becker allein das auf Dauer nicht hätte halten können - damals ist einfach vieles günstig zusammengelaufen).
Welcher Sport war denn groß im Fokus in 85 und davor?
Die Sportberichterstattung fand doch zum großen Teil als Zusammenfassung in der Sportschau und im Sportstudio statt. Live Bilder gab es von Olympia, von WM/EM in erster Linie beim Fussball oder auch mal, Leichtathletik, Schwimmen, Ski Alpin usw. Und eben Wimbledon Finale, FO, Hamburg im Tennis.
Ende der 80er ist der TV Markt explodiert durch den Einstieg der privaten Sender. Auch vor Becker gab es nicht viele Sportarten über die bedeutend mehr berichtet wurde. Und genau das ist heute ganz anders. König Fussball nimmt noch mehr Raum ein, Wintersport wird von den ÖR Sendern gepusht ohne Ende, Formel 1, usw. Das ist eine komplett andere Ausgangslage.
Erfolge spielen eine Rolle und wäre Federer deutscher oder würden aktuell Becker, Graf und Stich von Titel zu Titel fahren würde es natürlich besser aussehen, aber eben nicht wie Ende der 80er/Anfang der 90er.