Ach ja, sicher war das nicht unverdient. Wobei Wellbrocks Leistung, der ja gerade erst auch Weltrekord über die von ihm ungeliebte 1500 m Strecke im noch ungeliebteren 25m Becken geschwommen ist, sicher sportlich wertvoller ist. Und Timo Boll hätte nach 5 x Podium natürlich allein für sein sportliches Lebenswerk mal den Titel verdient gehabt. Obwohl ich Zverev ja durchaus positiv gegenüberstehe, hätte ich da als Sportfan anders gewählt.
Aber letztlich ist es natürlich eine Aufmerksamkeitswahl und Zverev ist als Preisträger ja auch keine krasse Fehlentscheidung. Für das deutsche Tennis ist diese Aufmerksamkeit super. Bei unseren dramatischen Nachwuchsproblemen sind wir auf "Gesichter" und Titel angewiesen wie nie. Allein deshalb kann ich die Häme mancher User gegenüber Zverev und auch Kerber nullkommanull nachvollziehen.
Wenn man sich anschaut, dass wir im Nachwuchsbereich maximal dritt-, eher fünftklassig unterwegs sind und sowohl bei Herren, wie auch Damen einfach wirklich niemanden haben, der international in seiner/ihrer Altersklasse auch nur im Ansatz (also U18 Top 100) mithalten kann, dann sind in Bezug darauf, Kinder und Jugendliche für den Sport zu begeistern, Zverev und Kerber praktisch out of the blue komplette Lottogewinne.
Wenn einem auch nur ein bisschen was an der Zukunft des deutschen Tennis liegt, ist da zumindest Respekt mehr als angebracht. Man muss die beiden ja nicht mögen, auch nicht ihren Spielstil. Aber wenigstens sollte man anerkennen, dass sie sich um das deutsche Tennis extrem verdient machen.
Und wenn jetzt wieder jemand mit Deutsch-Russe, Deutsch-Polin oder Wahl-Monegasse um die Ecke kommt und sich dabei "witzig" oder unangepasst-dickpimmelig findet , gibt es echt was an die Backen.
Die Nachwuchsförderung im DTB ist unter aller Kanone. Die Einstellung der paar Talente, die wir haben, auch. Wir brauchen Gesichter und Galionsfiguren mehr als vielleicht je zuvor, wenn der Tennisstandort Deutschland wenigstens mittel- oder langfristig wettbewerbsfähig werden soll. Denn die Lage im Jugend- und ITF-Bereich ist nicht schlecht, sie ist schlicht komplett katastrophal.
Ich kann die Einschätzung nicht teilen, dass Wellbrocks Leistungen
sicher sportlich wertvoller als die von Zverev sein sollen. Zverev ist Olympiasieger, Weltmeister, zweifacher Grand Slam-Halbfinalist, Nummer 3 der Welt, hat viele Turniersiege errungen und das in einer der kompetitivsten Sportarten auf dieser Welt . Man kann Wellbrocks Leistungen höher einschätzen, ich persönlich sehe Zverev recht klar vorne.
Auch kann ich deine Einschätzung zum DTB-Nachwuchs und der Nachwuchsförderung überhaupt nicht teilen. Wenn wir auf den U18-Bereich schauen, hatte der DTB dieses Jahr 2 Spieler bei den Junioren-Grand Slams vertreten, einer dieser Spieler stand bei den Wimbledon Juniors im Achtelfinale. Ich denke nicht, dass man das ernsthaft als drittklassig bezeichnen kann.
Man muss in Betracht ziehen, dass mittlerweile mehr Länder Tennisförderung betreiben und demzufolge die Leistungsdichte in der Breite zugenommen hat, während der DTB über wenig Ressourcen verfügt und die Talent-Akquise sich heute viel schwieriger gestaltet. Es ist doch schon recht frech, was du hier dem DTB und pauschal allen Nachwuchsspielern unterstellst oder hast du permanente Live-Eindrücke vom Training?
Zumal es ja auch schlicht nicht stimmt. Man hat Maßnahmen ergriffen, Talenteams gegründet, zieht die besten Nachwuchsspieler an zentralen Stützpunkten zusammen, betreibt finanzielle Förderung, verteilt Wildcards (leider auf Challenger-Ebene auch mal sehr kurios).
Dass alles optimal läuft und der DTB im Nachwuchsbereich sehr gut da steht, sagt keiner, aber Attribute wie "katastrophal" und "unter aller Kanone" kann man nicht mit der Realität in Verbindung bringen.
Wir können die Jahrgänge bei den Jungs zusammenfassen:
2003: Zuletzt 2 Spieler in den in den Top 50-60 und bei den Junioren-Grand Slams im Hauptfeld (U18)
2004: 1 Spieler bald in den Top 25 (U18)
2005: 1 Spieler in den Top 50 im selben Jahrgang, 2 weitere können es vielleicht zu den Junioren Grand Slams schaffen (U18)
2006: 1 Spieler in den Top 20, 1 Spieler in den Top 30 im selben Jahrgang (U18)
2007: 2 Spieler auf den Plätzen 4 und 5 in der U14-Europarangliste, die zuletzt auch das Masters-Finale bestritten haben, ein weiterer in den Top 20, der anscheinend verletzt war und auch in den Top 10 stehen könnte (U14)
2008: 1 Spieler bald in den Top 5 in der U14-Europarangliste (U14)
Das ist sicher weit entfernt von dem, was Länder wie Frankreich oder Italien abliefern und erfüllt auch nicht komplett unsere Ansprüche, aber mit den begrenzten Mitteln des DTB und unter Berücksichtigung der hohen Leistungsdichte kann sich bei den Junioren schon einigermaßen sehen lassen. Am Ende ist Tennis einfach auch eine Einzelsport und man ist abhängig vom Aufwand des Einzeln. Dazu haben Länder wie Frankreich viel mehr Ressourcen, die sie einsetzen können, aufgrund der ungleichen Verteilung der Gelder (Stichwort Grand Slams) und des Status der Sportart Tennis im jeweiligen Land.
Bei den Männern sieht es hinter Zverev auch nicht so katastrophal aus. Hinter ihm hat der DTB mit Struff eine solide Nummer 2, Altmaier hat sich nach vielen Verletzungen auf Platz 84 vorgekämpft und der ist mit 23 nach heutigen Maßstäben immer noch ziemlich jung, dazu insgesamt 5 in den Top 100, Otte ist verdammt nah dran und das Davis Cup-Halbfinale mit einem Weltklasse-Doppel erreicht.
Da könnte in der Spitze und Breite sicher auch noch mehr gehen, aber unter den Voraussetzungen würde ich das immer noch als recht positiv bewerten. Dass es beim DTB auch das ein oder andere Talent gibt, dass es mit dem Trainingsfleiß nicht immer so genau genommen hat, ist keine Geheimnis. Allerdings kann man das keinesfalls pauschalieren und auf alle Talente beziehen. Diese Märchen zur angeblich desolaten Talente-Förderung des DTB geistern schon mal durch die Medien, nur man sollte da schon genauer hinschauen und sehen, dass es viele Top-Talente gibt, auch in den anderen Ländern, nicht in die Top 100 schaffen.