Analyse des großen Weicheis aus Expertensicht!
"Was Vitali hat, lässt Wladimir schmerzlich vermissen"
Autor Bertram Job sieht unterschiedliche Perspektiven für die Klitschko-Brüder
Bertram Job ist ein guter Kenner der Boxszene. Bei ZDFonline schätzt er die Entwicklungsmöglichkeiten der Klitschko-Brüder ein. Obwohl er Vitali für den stabileren Boxer hält, ein Sieg gegen Corrie Sanders am 25. April (ab 2.40 live im ZDF, Kampfbeginn um 3.30 Uhr), ist für ihn keineswegs sicher.
ZDFonline: Herr Job, wie schätzen Sie die Perspektive der Klitschko-Brüder ein?
Bertram Job: Früher hat man angenommen, dass Wladimir der begabtere Boxer ist, da er die besseren Anlangen mitbringt. Er hat sich schöner und eleganter bewegt. Vitali war der Kickboxer, der umgeschult hatte. Damals sind viele davon ausgegangen, dass Vitali nicht weit kommen würde. Vor etwa vier Jahren hatte Vitali wegen einer Schulterverletzung einen Kampf verloren, dann kam ein Kreuzbandriss und eine Bandscheibenoperation hinzu. Da haben viele Kollegen gesagt, Vitali soll sich einfach in die Ecke stellen und dann ist es gut. Wie sich Vitali dann durchgekämpft und an sich selbst geglaubt hat, das ist sehr imponierend. Jetzt sind es die umgekehrten Vorzeichen. Jetzt sagen vor allem die Amerikaner, Vitali hat das Sieger-Gen und Wladimir ist zu empfindlich und muss sich erst mal wieder hinten anstellen.
Die Niederlage im Kopf
ZDFonline: Glauben Sie an ein Comeback von Wladimir Klitschko? Oder wird die Niederlage gegen Sanders noch lange nachwirken?
Job: Für lange Zeit wird das bei Wladimir noch Wirkung zeigen. Fälle in der Vergangenheit haben gezeigt, dass Boxer, die Schwierigkeiten mit ihrer mentalen Härte haben, auf Weltniveau nie wirklich überzeugend zurückgekommen sind. Ein Beispiel hierfür wäre Thorsten May. Vitali und Wladimir Klitschko sind wunderbare Menschen und jeder würde sich freuen, wenn es funktionieren würde, aber ich halte es für sehr unwahrscheinlich.
ZDFonline: Das heißt, die Weltelite ist für Wladimir auf lange Zeit kein Thema mehr?
Job: Er müsste seine Persönlichkeit weiter entwickeln. Die Fehler, die ihm als Athleten widerfahren, weisen vielleicht auf Mängel hin, die in seiner Persönlichkeit liegen. Vitali wirkt im Vergleich dazu wesentlich gesetzter, reifer. Wenn Wladimir das noch beheben kann, ist es gut. Er hat die Anlagen, zu einem der besten Schwergewichtler der Welt werden zu können. Nur im Moment ist er das Paradebeispiel eines so genannten "Underarchievers", der aus einem immensen Potenzial viel zu wenig macht und dann gegen Boxer verliert, die ihm eigentlich gar nicht das Wasser reichen können, wie diesen mittelprächtigen Lamon Brewster.
Schlechte Gegner
ZDFonline: War es ein Fehler, dass nach der Niederlage gegen Sanders, mit dem singenden Argentinier Fabio Moli ein Gegner ausgesucht wurde, an dem man sich nicht aufbauen kann?
Job: Das Problem hierbei ist sicherlich, dass er nach dem furchtbaren Debakel gegen Corrie Sanders zwei Muster ohne Wert erlebt hat. Dieser Wanderboxer Moli hat nicht das Zeug gehabt, ihn zu testen. Dannell Nicholson aus den USA, der Olympiateilnehmer war, war ein hervorragender Amateur und ist ein passabler Profi. Er hätte die boxerischen Möglichkeiten gehabt, scheint aber vor Wladimirs Größe und Kampfrekord eingeknickt zu sein. Das heißt, nach diesen zwei Kämpfen wusste man nicht viel mehr. Nach dem Kampf in Kiel wurde gesagt, Wladimir sei nun wieder in der Lage, gegen jeden Schwergewichtsboxer in der Welt antreten zu können. Da habe ich und viele Kollegen gesagt: "Mit Verlaub, daran glauben wir nicht."
ZDFonline: Zumal es in Kiel in der vierten Runde eine Szene gab, in der Nicholson Klitschko leicht am Kinn traf, und dieser sofort verängstigt schien...
Job: Ja, man hat das Gefühl, sobald Wladimir Klitschko erwischt wird, ist er konsterniert, nahezu paralysiert, er verlässt sein Konzept und vergisst alles um ihn herum. Er wirkte ausgesprochen ängstlich und nervös. Er war sehr angespannt, diese Anspannung hat sich dann sogar noch auf die Ecke übertragen. Daher haben sich dort schon einige Box-Experten gefragt, ob Wladimir Klitschko überhaupt noch einmal kommen kann. Jetzt kam diese Niederlage gegen Brewster hinzu. Ich sage das alles ohne Häme, wir hätten uns alle gefreut, wenn es geklappt hätte.
Vitalis Vorteile
ZDFonline: Wurde Vitali Klitschko durch seinen Kampf gegen Lennox Lewis zum Siegertyp?
Job: Es hat wohl ihm selbst einen gehörigen Schub gegeben. Er ist sicher derjenige von Beiden, der fest an sich glaubt und davon auch nicht abzubringen ist. Aber in dem angesprochenen Kampf gegen den nachweislich besten Schwergewichtler der letzen zehn bis fünfzehn Jahre, hat er gemerkt, dass er annähernd mithalten kann. Er war nie der Superstilist oder -techniker, aber er hatte Lennox Lewis am Rande einer Niederlage gehabt. Das hat ihm sicherlich einen Schub gegeben, und auch der letzte Kampf im Dezember gegen Johnson war sehr eindrucksvoll. Da hat man gesehen, dass er nicht mehr der "Ringroboter" ist, als den ihn die Amerikaner und Engländer geschmäht haben. Er hat seinen Bewegungsablauf enorm verbessert und verbreitet eine nicht greifbare Form der Autorität im Ring. Ein Kampf verläuft nach seinem Drehbuch. Was Vitali hat, lässt Wladimir schmerzlich vermissen.
ZDFonline: Bedeutet das, dass Corrie Sanders ein mittelschweres Problem für Vitali Klitschko darstellt?
Job: Sanders könnte mit seiner Schnelligkeit Vitali vor Probleme stellen, weil Vitali Probleme mit Gegnern hat, die sich gerne entziehen, die schnell auf den Beinen sind, die ausweichen und dann kontern. Diese Probleme hat er immer wieder auch in der Vergangenheit gehabt. Aber ich glaube auch, dass er von seinem Trainer, Fritz Sdunek, nicht zu offensiv eingestellt wird. Auf mittlere und lange Sicht sehe ich Vitali Klitschko klar vorne, weil er die bessere Kondition und vielleicht den stärkeren Willen hat. Der Ältere wird sich hüten, die Dummheiten des kleineren Bruders zu imitieren und zu offen in den Kampf zu gehen.
ZDFonline: Vitali Klitschko soll nun die Familienehre retten. Wie hoch ist der psychische Druck?
Job: Ehre ist ein Begriff, den Journalisten gerne verwenden, aber es geht um viel handfestere Dinge. Die beiden Brüder wollen sich als Marke in den USA etablieren. Sie wollen sich mittelfristig als Veranstalter mit ihrer Firma "K2" auf dem amerikanischen Markt festsetzen. Das hängt alles davon ab, dass sie sportlich überzeugen. Das ist schon zur Hälfte misslungen. Es kann nur noch zu 50 Prozent gelingen. Das ist keine gute Ausgangsposition für den Kampf Vitali Klitschko gegen Corrie Sanders. Es lastet also ein hoher Druck auf Vitali, aber ich denke, dass er damit umgehen kann.