13 Tage bis zum Start der Tour de France es wird mal Zeit für ein kleines Power-Ranking vor Start der Tour:
Aufgrund der massiven Aufrüstung der Top-Teams mit Edel-Helfern, die teilweise in den letzten Jahren noch auf eigene Kappe fuhren, werde ich auf diese Fahrer nicht im Ranking eingehen und nur die vermeintlichen Kapitäne betrachten sowie im letzten Abschnitt einen Einblick geben wo und wie sich die Helfer platzieren könnten:
Tier 1: Gesamtsieg-Favoriten:
1. Tadej Pogacar:
Stand jetzt muss man Pogacar als den Top-Favoriten auf den Gesamtsieg sehen. Den Giro hat er mehr oder weniger komplett dominiert und musste auch nicht wirklich (zumindest nicht ersichtlich) an seine Grenzen gehen, sondern konnte teilweise gezielt sich testen wenn er wollte. Zudem konnte er, unabhängig der Qualität der Konkurrenz beim Giro, etwaige (wenn überhaupt noch vorhandene) Restzweifel hinsichtlich seiner Leistungsstärke > 2.000 Höhenmeter ausräumen, wo er am Passo di Foscagno & Livigino der Konkurrenz mal auf gut 10 Kilometer mehr als 3:00 Minuten abnahm.
Pogacar wird von Beginn an da sein und analog zu letztem Jahr bereits auf den ersten welligen Etappen in Italien drauf aus sein Bonussekunden und Abstände in der Gesamtwertung zu realisieren. Die letzten beiden Jahre sahen wir nicht konstant den besten Pogacar bei der Tour: 2022 lag es am nicht vorhandenem Team und 2023 an der Verletzung in der Vorbereitung, so dass irgendwann die Müdigkeit kam, aber ein Pogacar in Top-Verfassung ist einem Vingegaard aus 2022 & 2023 mindestens ebenbürtig. Die Chancen stehen gut auf das Giro-Tour Double.
2. Jonas Vingegaard:
Da er Teil der Jumbo-Delegation ist, die sich momentan im Höhentrainingslager auf die Tour vorbereitet und er auch auf der provisorischen Start-Liste steht gehe ich davon aus, dass er die Tour in Angriff nehmen wird.
Der Sturz bei der Baskenland-Rundfahrt mit anschließender Pause war deutlich gravierender als der Sturz von Pogacar 2023, so dass man durchaus berechtigt Zweifel an den Tag legen kann, wie er Pogacar herausfordern kann.
Der Kursverlauf könnte dafür sorgen, dass Vingegaard zumindest die ersten zwei Wochen gut "Rennpraxis sammlen" kann um dann am Ende in Form zu sein, sofern das bei einer Tour de France überhaupt möglich ist, da auch jede Flachetappe Vollgas gefahren wird. Vingegaard hat das hügelige Auftaktwochenende sowie die Etappe nach Valloire über den Galibier, wo aber die flachere Seite gefahren wird, zu überstehen. Pogacar wird hier sicherlich keine Gelegenheit auslassen um ihn zu testen. Danach noch das kurze Flache EZF und die Gravel-Etappe in Troyes, ehe die Pyrenäen am Ende der zweiten Woche auf dem Programm stehen.
Kommt er die ersten zwei Wochen gut durch und ist in Schlagdistanz zu Pogacar könnte es ggf. sehr spannend werden in den Seealpen und dem Finalwochenende. Ich denke jedoch eher, dass sich die fehlenden Kilometer in der Vorbereitung machen sich irgendwann bemerkbar in Woche drei und das ganze kippt dann zu Gunsten von Pogacar.
Tier 2 Kampf um den letzten Platz am Podium:
3. Primoz Roglic:
Nachdem Roglic 2020 der Sieg quasi auf der Ziellinie weggeschnappt wurde kam in den letzten Jahren leider nicht mehr viel von ihm bei der Tour was auch an schlechter Form und Stürzen lag, sowie der Tatsache, dass Vingegaard ihm den Rang als Nummer 1 bei Jumbo streitig gemacht hat.
Nun der Neustart von Roglic bei Bora.
Die Generalprobe bei der Dauphine verlief schonmal vielversprechend.
Natürlich ist es für Roglic eminent wichtig, dass seine Helfer (Vlasov und Hindley) möglichst lange an seiner Seite sind und er nicht isoliert wird. Aber mit seinem Punch auf dem letzten Kilometer kann er es durchaus mit Pogacar aufnehmen im Zielsprint, wie er in Vergangenheit ja auch des öfteren schon bewiesen hat.
Auch Pogacar wird Roglic auf keinen Fall unterschätzen, da er weiß welchen Punch er vor allem auf dem letzten Kilometer entwicklen kann.
Natürlich muss ein Roglic die ersten Etappen auch erstmal unfallfrei überstehen, was auch eine Herausforderung für ihn und das Team darstellen wird..
Schafft er dass, sehe ich Ihn in diesem Tier mit den größten Chancen auf Platz 3.
4. Carlos Rodriguez:
Wurde 2023 bei seinem Tourdebüt gleich mal 5. und zeigte vor allem auf der Etappe nach Morzine, über welches Potenzial er verfügt.
Gewann in Vorbereitung dieses Jahr die Romandie-Rundfahrt und wurde 5.ter bei der Dauphine, gewann aber die letzte Etappe.
Rodriguez verfügt über enormes Leistungspotenzial und wird bei entsprechender Entwicklung ein dauerhafter Kandidat für das Podium bei der Tour werden. Natürlich gibt es noch kleine Fragezeichen ob Ineos nicht doch auf Pidcock setzt, aber die gezeigten Leistungen sprechen eigentlich für Rodriguez.
Meiner Meinung nach wird er der Hauptkonkurrent zu Roglic im Kampf um Platz 3. Da Roglic (noch) im Zeitfahren stärker ist, sehe ich Roglic zumindest dieses Jahr hier noch vorne.
5.Remco Evenepoel:
Zugegeben für mich etwas wie die große Unbekannte im Kampf um das Podium.
Sein Track-Record bei Grandtours Platz 1 und 12 bei der Vuelta, 2x DNF beim Giro.
Bei all seinen GrandTours hatte er teilweise auch enorme Formschwankungen innerhalb der Rundfahrt. Bei seinem Vuelta-Sieg 2022 hat er am Anfang das restliche Peloton komplett dominiert, zu Mitte der Rundfahrt eine Schwächephase gehabt um am Ende wieder Souverän zu agieren.
Zudem konnte Evenepoel noch nicht nachhaltig beweisen, dass er das Hochgebirge (>2.000 Meter) auch wirklich kann, ebenso wie Roglic nicht immer gänzlich von Stürzen gefreit.
Auch er war im Baskenland in den Vingegaard-Sturz involviert, aber nicht so gravierend. War bei der Dauphine noch nicht ganz vorne mit dabei, aber mit klarer Steigerung innerhalb der Rundfahrt.
Sein Chef Patrick Lefevre hat natürlich trotzdem kein Blatt vor dem Mund genommen und ihm noch ein zu hohes Gewicht attestiert...
Meine Prognose: Die Form ist nicht so schlecht aber auch noch nicht ideal. Man wird schauen wie Evenepoel sich von Beginn an schlägt, fällt er irgendwann ab (was nicht ganz unrealistisch ist) geht er in die Ausreisergruppen und wird er Lefevre's Lebensversicherung, dass Soudal-Quickstep nicht gänzlich ohne Etappensieg nach Hause fährt.
6.& 7. Simon Yates und Ricard Carapaz:
Beide sind für mich Fahrer die in Top-Form auch Kandidaten fürs Podium darstellen, wenn auch mit geringerer Wahrscheinlichkeit als der Rest.
Beide Fahrer haben dieses Jahr noch nicht viel gezeigt, es bestehen Zweifel ob Sie in Top-Form bei der Tour am Start stehen.
Kommen Sie in Form, beide mit Außenseiterchancen im Kampf um Platz 3.
Tier 3: Best of the Rest (Top 10 als Ziel):
Hier sehe ich Fahrer wie Felix Gall, der teilweise am Ende der Tour 2023 wie ein Top 5/Podiumfahrer gefahren ist. Dieses Jahr noch nicht ganz die Form da, zudem setzt AG2R dieses Jahr voll auf ihn, Bestätigung der Top 10 sollte daher ein realistisches Ziel sein.
David Gaudu wird natürlich wieder versuchen bester Franzose zu werden, Formaufbau klar auf die Tour und Platz 8-10 ausgerichtet, mehr geht hier leider nicht.
Enric Mas nach letztjährigem vorzeitigem Ausscheiden noch mit solider Vuelta und auch dieses Jahr waren die Ergebnisse bisher solide aber noch nicht herausragend. Passt die Form ebenfalls ein Kandidat für Platz 6-10 in der Gesamtwertung.
Die Helferlein:
Zunächst einmal ist es bei den Helfern nicht eindeutig wie sie sich verhalten dürfen, wenn die Arbeit für die Kapitäne erledigt ist.
Bei Jumbo war die Maßgabe für Kuss und van Aert die letzten Jahre klar definiert: komplett rausnehmen und sich schonen für die nächsten Aufgaben. Daher glaube ich auch, dass Kuss, wenn Vingegaard die Beine hat, auch dieses Jahr diese Regel befolgt und irgendwo zwischen 10-15 am Ende landet.
Bei Adam Yates, letztes Jahr dritter, wird es auch interessant werden ob er nach getaner Arbeit auf eigene Kappe fahren darf. Letztes Jahr konnte er sicherlich davon profitieren, dass das Leistungsgefälle nach Pogacar und Vingegaard so groß war, dass er der letzte Fahrer an der Seite der beiden Fahrer war. Ob er das nochmals schafft weiß ich nicht, die Form an sich stimmt. Wenn er sich nicht schonen muss und dann auf eigene Rechnung fahren darf, könnte es wieder Richtung Top 5 gehen.
Bei Diesel Almeida ist die Frage wann er als Helfer von Roglic seinen Einsatz hat, zudem erste Tour, sehe ihn maximal in den Top 15. Ayuso gleiches Szenario und ebenfalls erste Tour.
Bei Bora Vlasov und Hindley, wenn Sie Roglic pilotiert haben und nicht komplett rausnehmen müssen, sehe ich beide als legitime Kandidaten im Bereich 6-10.
Bei Ineos: Thomas hatte seinen Einsatz beim Giro als Kapitän, bei seiner wahrscheinlichen Abschiedstour klarer Helfer, vielleicht darf er am Ende in der Nähe seiner Wahlheimat Monaco mal auf eigene Rechnung in die Gruppe des Tages gehen.
Pidcock ähnlich wie Evenepoel, er dürfte wohl sobald er keine GC-Ambitionen mehr hat auf Etappenjagd gehen, als Helfer nur bedingt geeignet (siehe aktuelle Staffel der Netflix-Doku).
Interessant könnte die Personalie Egan Bernal sein, nach Horrorsturz 2022 und letztjähriger Konsolidierung im Peloton, hat er das Jahr über solide Leistungen gezeigt, unlängst auch 4. bei der Tour de Suisse. Falls er nicht zu viel für Rodriguez fahren muss könnte hier ein Top 10 Platz durchaus auch drin sein evtl. sogar mehr.