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(Keystone/AP Photo)
Auch eine Ausnahmeathletin hat ein Ablaufdatum
Serena Williams ist beim Versuch, den Grand-Slam-Rekord einzustellen, einmal mehr gescheitert. Obwohl ihr viele die Daumen drücken, wird es für sie schwer.
Adrian Ruch / Publiziert: 18.02.2021, 19:50
Der Applaus ist warm wie das Wetter in Melbourne. Serena Williams winkt in der Rod-Laver-Arena ins Publikum, dreht sich um die eigene Achse, legt kurz die Hand aufs Herz – und verschwindet dann im Tunnel. Die Szene im Anschluss an die 3:6, 4:6-Niederlage gegen Naomi Osaka hat etwas Endgültiges.
War es zumindest am Australian Open der letzte Auftritt der 39-Jährigen? An der Pressekonferenz weicht sie aus, indem sie antwortet: «Wenn ich jemals Abschied nähme, würde ich es niemandem sagen.» Doch schon nach der nächsten Frage füllen sich die Augen mit Tränen; Williams steht auf, sagt, «das wars», und geht. Es ist, als wäre ihr in diesem Moment ihre Endlichkeit als Spitzensportlerin bewusst geworden.
Die bessere Botschafterin als Margaret Court
Seit ihrem Comeback im Frühjahr 2018 jagt die jüngere Schwester von Venus Williams den Rekord von Margaret Court, die in den 1960er- und 1970-Jahren insgesamt 24 Einzel-Grand-Slam-Titel gewonnen hatte. Fast alle drücken Serena die Daumen, denn Court ist hinsichtlich des Images, gelinde ausgedrückt, nicht die geeignetste Inhaberin des wichtigsten Rekords im Frauentennis. Die 79-jährige Australierin ist immer wieder durch homophobe Äusserungen aufgefallen; einmal bezeichnete sie Transgender-Kinder als «Werk des Teufels».
Da macht sich Serena Williams als Kämpferin für die Anliegen der Frauen und Minderheiten in der modernen Tenniswelt als Leaderin deutlich besser. Dabei ist die Kalifornierin selber eine kontroverse Figur. Und das aus zwei Hauptgründen, wobei sie für den einen nichts kann. Venus und Serena, in einem berüchtigten Stadtteil von Los Angeles aufgewachsen, nahmen kaum an Turnieren für Juniorinnen teil und wurden von Vater Richard quasi im Geheimen zu Champions gedrillt. Sie waren aufgrund ihrer Herkunft von Anfang an Aussenseiterinnen. Und dann standen sie den Etablierten mit ihrem Powertennis oft vor der Sonne. Neid ist da nicht zu vermeiden.
Immer wieder unschöne Episoden
Auf der anderen Seite eckt Serena Williams immer wieder mit ihrem Verhalten an. Der Drang, um jeden Preis aufzufallen, und das zuweilen martialische Gehabe auf dem Platz lassen sie – ähnlich wie Novak Djokovic – für viele unsympathisch wirken. Dazu kamen diverse unschöne Episoden, von denen hier nur drei erwähnt seien. Im US-Open-Halbfinal 2009 gegen Kim Clijsters drohte sie einer Linienrichterin, die in einem entscheidenden Moment einen Fussfehler ausgesprochen hatte, massive körperliche Gewalt an. Der Strafpunkt war gleichbedeutend mit dem Matchverlust. Reue zeigte Williams in der Folge keine.
Im French-Open-Halbfinal 2015 mimte sie gegen Timea Bacsinszky andauernd die Schwerkranke, wendete das Blatt aber im zweiten Satz mit einer Parforceleistung. Das Siegerinterview brach sie dann ab, weil sie sich ach so schlecht fühlte. Die Hollywood-reife Vorstellung wurde zwar nicht mit einem Oscar, zwei Tage später aber mit dem Roland-Garros-Titel belohnt. Noch in Erinnerung ist wohl den meisten der US-Open-Final 2018 gegen Osaka. Die Favoritin tickte aus, nachdem sie Schiedsrichter Carlos Ramos wegen eines Verstosses gegen das Coaching-Verbot verwarnt hatte. In der Folge wurde gegen Williams ein Strafpunkt und später ein Strafgame ausgesprochen.
Seither benimmt sich die Amerikanerin tadellos. In Melbourne umarmt sie nach dem Matchball ihre japanische Bezwingerin herzlich. Doch gerade das jüngste Duell mit Osaka zeigt auf, dass die Uhr auch für eine Ausnahmeathletin wie Serena Williams unerbittlich tickt. Obwohl sie ihn Australien läuferisch so stark war wie nie seit der schwierigen Geburt von Tochter Alexis Olympia, die sie fast das Leben gekostet hatte, dominierte ihre 23-jährige Widersacherin das Geschehen. Und vom Einschüchterungsfaktor profitiert Serena zumindest gegen die Besten der Generation U-25 auch nicht mehr. Nachdem sie im zweiten Satz mit einem Break auf 4:4 aufgeholt hatte, brach Osaka nicht ein. Nein, sie steigerte ihr Niveau massiv und überliess der lebenden Legende bis zum Ende keinen Punkt mehr.
Einfluss neben des Platzes
Serena Williams ist immer noch sehr gut; immerhin hat sie seit ihrem Mutterschaftsurlaub viermal das Endspiel und zweimal den Halbfinal eines Grand-Slam-Turniers erreicht, doch richtig nahe ist sie dem 24. Titel nie gekommen. Die Gegnerinnen werden immer stärker – und ihre körperlichen Beeinträchtigungen auch. So schwillt ihr rechter Fuss zum Beispiel immer wieder an.
«Ich möchte, dass sie ewig weiterspielt», sagt Naomi Osaka beim Platzinterview. Das wird Serena Williams nicht tun können, vielleicht spielt sie nicht einmal mehr lange und gut genug, um Margaret Courts Bestmarke einzustellen. Doch unabhängig vom Rekord: Williams, die in den sozialen Medien über 30 Millionen Follower hat, wird als vielleicht grösste Sportlerin der Welt auch nach ihrer Karriere etwas bewirken. Sie gründete 2014 die Firma Serena Ventures, mit der sie Start-up-Unternehmen unterstützt, vorwiegend solche von farbigen Frauen. «Denn wenn schwarze Geschäftsgründerinnen mit Geldsammeln beginnen», so hat Williams mal in einem Gastbeitrag auf der CNN-Website geschrieben, «haben sie schon Matchball gegen sich.»
(Quelle: tagesanzeiger.ch)