Meiner Ansicht nach hat Flick drei Fehler bei der WM gemacht:
1. Das zuvor propagierte Leistungsprinzip nicht konsequent umgesetzt. Dass ein Thomas Müller drei mal starten durfte, obwohl er nachgewiesenermaßen die MS-Position nicht zuverlässig besetzen kann, sagt schon einiges aus. Hier gab es mit den echten Stürmern Füllkrug und Moukoko Alternativen, die in Topform waren. Dazu die Probleme in der Verteidigung, in welcher Süle drei Spiele rumstümpern durfte, obwohl offensichtlich war, dass er überhaupt nicht in Form ist. Generell gab es wilde Wechsel, welches insbesondere an der RV-Position deutlich wird. Erst Süle, dann Kehrer und dann sogar Kimmich dahingezogen, aber das auch nur für eine HZ. All diese Spieler interpretieren die Position deutlich unterschiedlich. Wie soll sich da überhaupt so etwas wie eine Eingespieltheit und gewisse Automatismen entwickeln, die gerade in der Verteidigung unerlässlich sind?
2. Es gab während des (kurzen) Turniers immer wieder Andeutungen, dass die Stimmung im Team nicht die beste war. Man muss jetzt nicht den Udo Latteck rausholen, der im Doppelpass am Sonntag von "Neid und Missgunst" und "da MUSS etwas vorgefallen sein" gesprochen hätte, aber das was im Argen war, dafür muss man kein Hellseher sein. Insofern hat offenbar das Teambuilding, welches zu den absoluten Kernaufgaben des Trainerteams zählt, nicht wirklich funktioniert. Ich spreche dabei nicht davon, dass es "11 Freunde" sein müssen, aber eine echte Mannschaft sollte schon auf dem Feld erkennbar sein. Vielmehr hatte man nie das Gefühl eine Einheit zu sehen, in welcher die Spieler Fehler der Mitspieler ausbügeln wollen.
3. Auch taktisch muss man Flick einiges vorwerfen. Die Strategie in der Verteidigung war viel zu riskant ausgelegt. Die Reihe war viel zu weit vorn positioniert. Das kann man vielleicht machen, wenn du Hummels/Boateng (prime!), Varane/Sergio Ramos oder Pique/Puyol in der Verteidigung hast, aber nicht wenn die Alternativen Rüdiger/Süle & Co heißen. Verstärkt wurde die Problematik noch, indem kein defensiv denkender (!) 6er in der Startelf war. Genau genommen wurde nicht mal einer nominiert. Diesbezüglich haben mich die defensiven Probleme auch vor allem am BVB erinnert und das liegt nicht daran, dass mit Süle und/oder Schlotterbeck BVB-Verteidiger in der 4er-Kette gespielt haben, sondern weil das Loch vor der Abwehr viel zu groß war und die gegnerischen Mannschaften bei den Kontern viel zu viel Platz hatten. Eine 2er-Kombo aus Gündogan/Kimmich/Goretzka kriegen allein die Räume nicht zugelaufen und die Zweikämpfe (erfolgreich) bestritten.
Wir kritisieren hier im Forum manchmal die Franzosen, weil sie mit dem krassen offensivpotenzial häufig sehr defensiv agieren, aber die Franzosen haben verstanden, dass man bei einer Glückssportart wie Fußball vor allem in der Verteidigung sicher stehen muss; dass es vor allem darum geht, Fehler zu minimieren, und dafür ist ein defensiv denkeder Mitteldfeldspieler unabdingbar; zumindest gilt dies dann, wenn hinten die Qualität nicht weltklasse ist. Hier hätte ich mir mehr Pragmatik gewünscht und einen defensiven Spieler als klassischen 6er vor der Abwehr gewünscht, selbst wenn der Spieler, der die Position einnehmen muss, weniger "Talent" als Gündogan/Kimmich/Goretzka hat. Vielleicht hätten wir dann weniger Chancen herausgespielt, aber deutlich weniger zugelassen. Aber einen solchen Spieler hat man nichtmal nominiert. Jeder Mittelfeldspieler bei den deutschen denkt zu allerers offensiv. Insofern waren auch die Nominierungen von Flick zu eindimensional gedacht. Aber selbst mit dem Roster hätte Flick Lösungen finden können, indem er jemanden wie Ginter oder einen anderen IV vor die Abwehr stellt.
Welche Deutschen defensiven Mittelfeldspieler haben wir eigentlich generell verfügbar? Früher hätten wir eine Mannschaft aus 11 sehr guten defensiven Mittelfeldspielern aufbieten können, doch wen gibt es jetzt?