Wenige Weltmeister in Sicht
Verbale Fouls und glatte Frechheiten: Kaum ein Experte oder Moderator überzeugt in der ersten Woche der WM
Von Jörn Lauterbach
Wir könnten es uns leicht machen. Alle Mist außer Bela Rethy und Marcel Reif, wäre so ein Satz, der in jeder Runde schnell die Meinungsmehrheit fände. Aber meistens steht dann doch der Gang in die Details an: Hier ein mißglückter Satz (Johannes B. Kerner am Donnerstag: "Jürgen Klinsmann ist trainermäßig eine Treppe hochgestiegen", Experte Urs Meier: "Vom Alter her ist er 38 Jahre alt"), dort eine Abseitsstellung auch in der dritten Zeitlupe nicht erkannt, dann eine plumpe Frechheit (Steffen Simon beim Spiel Deutschland gegen Polen: "Es steht mir ja nicht zu, die Kanzlerin zu kritisieren. Aber könnte sie nicht mal ihren Mann mitbringen?"). All' diese Sprüche und Ausfälle werden auf Internetseiten gesammelt und in Fanblogs belacht - aber das Problem bleibt davon unberührt.
Die WM-Kommentatoren und Studiomoderatoren der großen Sender stehen derzeit vor dem Dilemma, ihre journalistische Unabhängigkeit und die so noch nie dagewesene WM-Euphorie miteinander vereinbaren zu müssen. Viele der übertragenen Fußballspiele sind von durchschnittlicher Qualität; auch wenn sich die Favoriten zumeist durchgesetzt haben, erfüllten sie die Erwartungen nicht. Den Fans im Stadion - und mittlerweile auch denen vor den Fernsehern und Großbildleinwänden - ist das aber nicht mehr so wichtig, denn die Spiele haben verstärkt einen Eventcharakter, der mit den eingeübten sportjournalistischen Instrumenten nicht gänzlich erfaßt werden kann.
Die oft geäußerte Kritik an Simon - an dessen soft-plappernden Stil ansonsten durchaus viel auszusetzen ist -, er habe das zweite Deutschland-Spiel zu nörgelig kommentiert, greift deswegen zu kurz: Zwar erkannte oder nannte er nicht, wie kraftvoll und bissig das deutsche Team spielte; daß das aber trotz allen Jubels eine durchaus steigerungswürdige Leistung war, merkte er zu Recht an - nur hören will das momentan niemand.
Die ARD hat es ohnehin am schwersten, die Begeisterung im Land zu vermitteln. Günter Netzer und Gerhard Delling moderieren wie aus einem orange-blauen Raumschiff heraus, ohne jede Anbindung an die Partylaune der Außenwelt. Wenn die beiden wichtige Partien zu besprechen haben, sind Netzers Einschätzungen zwar noch immer hörenswerter als alles andere, was derzeit über die Sender geht. Hängen Spiel und Laune aber etwas durch, wirken ihre verbalen Gefechte und vor allem Dellings Satzakrobatik schnell manieriert. Weil es ihnen aber praktisch nie gelingt, Nähe zum WM-verliebten Deutschland herzustellen, hat sich die ARD Schalten zu Fan-Festen und in Bierzelte als Kompensation ausgedacht. Und so konnte eine Viertelstunde nach dem Schlußpfiff die Hebamme Michael Ballacks aus einem Görlitzer Vereinsheim heraus ihre Meinung zum Spiel kundtun - noch vor Jürgen Klinsmann. Das ist dann nicht einmal mehr Minderheitenprogramm.
Weit von der Bestform entfernt sind auch - mit Ausnahme des Neulings Gerhard Gottlob - die anderen ARD-Reporter. Reinhold Beckmann ist vom Spielgeschehen fast immer mehrere selbstverliebte und verwinkelte Gedanken weit entfernt, Monica Lierhaus kann mit ihrer Rolle als erste Gesprächspartnerin der Nationalkicker noch nicht viel anfangen und bleibt blasser, als man das von ihr kennt. Ihr Vorgänger Waldemar Hartmann wiederum hat seine Bestimmung offenbar gefunden und freut sich in seinem nächtlichen WM-Club vor allem darüber, daß er als erster über Harald Schmidts Pointen lachen darf.
Das ZDF hat mit dem Aufbau der Studio-Arena auf dem Potsdamer Platz die insgesamt frischere Variante gewählt. Viele internationale Fans im Publikum spiegeln das bunte Bild wider, das sich in Deutschland derzeit überall zeigt. Johannes B. Kerner versucht zwar zu oft, mit seinen Frotzeleien das Erfolgsmodell Netzer/Delling zu kopieren, was nicht nur Klopp demonstrativ langweilig findet. Er allein rettet die Runde mit seiner Mischung aus emotionaler Frische und Fachwissen.
Und würde sich Bela Rethy nicht häufig schon nach zehn Minuten darauf festlegen, welche Spieler er auch die restlichen 80 Minuten toll finden wird, wäre er der beste Kommentator aller Sender. So bleibt es Marcel Reif, dessen Problem es jedoch ist, daß "Premiere" nicht mehr als eine Randerscheinung ist.
Und RTL? So begrüßenswert es ist, daß das öffentlich-rechtliche Sendemonopol geknackt wurde - gemacht hat der Privatsender daraus wenig. Eine der schlechteren Ideen war die Nominierung von Pierre Littbarski als Co-Kommentator - da verbietet sich Kritik an Jürgen Klinsmann und seiner Berufung des WM-Kaders fast von selbst.
Aus der Berliner Morgenpost vom 17. Juni 2006