Ok, die Kritik habe ich damals nicht wahrgenommen. 1993 habe ich Tennis auch noch nicht verfolgt. Mein Eindruck war, dass Becker mit keinem großen Aufschrei in den Medien zu rechnen hatte, wenn er Davis Cup gespielt hat. Die Medienlandschaft war aber auch noch eine andere als heute. Mir war übrigens nicht klar, dass Becker den Wettbewerb kleinmachen wollte.
Mein Eindruck ist auch, dass Zverev für seine Absagen in Stuttgart und Hamburg schärfer kritistiert wird als Becker damals, der nur einmal nach Halle gegangen ist.
Es stimmt natürlich, dass sich die grundsätzliche Kritik und der Situation im Vergleich zu damals kaum verändert haben. Im Grunde kann ich deine Argumentation nur unterschreiben. Auch die Franzosen haben jetzt Widerstand gegen die Vorschläge der ITF angekündigt und deine Argumente angeführt. Auch dort ist der Davis Cup ein Publikumsmagnet und keiner will auf diese Heimspiele verzichten. Das Turnier am Ende der Saison mag kurzfristig viel Geld einbringen und einigen Spieler in den Kram passen, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass eine Euphorie entfacht wird, wenn auf neutralem Boden irgendwo in Asien von der langen Saison ermüdete Spieler ein heftiges Programm in kurzer Zeit abreißen. Das Publikum wird sicher eher zurückhaltend verhalten und dem Gewinner einen Höflichkeitsapplus spenden. Das braucht doch wirklich niemand.
Über die offensichtliche Probleme wird dabei wieder zu selten geredet. Es ist ein Witz, dass die Spieler beim Davis Cup und Olympia keine Weltranglistenpunkte bekommen. Hier sollte man ansetzen und Wettbewerbe wie den Laver Cup streichen. Aber darauf wollen die Spieler trotz der immensen Belastung dann nicht verzichten. Da kann es gar nicht genug Wettbewerbe geben.
Mitte der 90er war ich selbst noch ein kleines Kind, also habe ich da die Medien nicht überblickt. Kann nur die Meinung meiner Eltern und das was an den jeweiligen Tennishäusern gesprochen wurde wiedergegeben und da hielt sich die Begeisterung für Beckers Davis Cup absagen definitiv in Grenzen.
Über die Jahre wird sowas natürlich vergessen, auch weil genügend positive Ereignisse von Becker in Verbindung mit dem Davis Cup in Erinnerung geblieben sind. Diese positiven Erinnerungen muss Zverev noch schaffen. Mit einem GS Sieg und einem Davis Cup Sieg in der Tasche wird die Öffentlichkeit seine Absagen auch wohlwollender aufnehmen. Beckers Absagen an deutsche Turniere waren reichlich, egal ob Halle, München oder Köln/Frankfurt. Man hat damals einfach Turniere nach Deutschland geholt, die Becker besser in den Kram passten ATP WM, Grand Slam Cup und Stuttgart Indoor und damit hatte man seinen Held oft genug vor der Haustür. Ion Tiriac hat für Becker in dem Bereich auch einen sehr guten Job gemacht.
Weltranglistenpunkte sind sicherlich der einfachste Weg Davis Cup und Olympia aufzuwerten. Die Kritik die es damals gegen die Weltranglistenpunkte gab ist aber auch nicht von der Hand zu weisen. Jeder sollte die gleichen Chancen in der Weltrangliste haben. Wenn die Spanier oder früher die Amerikaner 8 oder 9 Leute hatten die den Cut für Olympia erfüllt haben und nur 3 oder 4 dürfen nach olympischen Reglement starten, dann fragen die anderen zu recht nach der Fairness, denn sie können sich keine Punkte für die Weltrangliste verdienen und müssen beim nächsten 1000er dadurch vielleicht in die Quali. Das gleiche gilt natürlich für den Davis Cup, wo nur 2 im Einzel eingesetzt werden können. Viele Spanier schauten in die Röhre, während z.B. ein Stepanek an der Seite von Berdych immer seinen festen Platz hatte und manchmal gut gepunktet hat. Gleichzeitig braucht man eine Regelung für die 2. Und 3. Liga. Thiem, Dimitrov oder Anderson würden momentan keine Chance auf Punkte haben nach dem alten System, selbst wenn sie Davis Cup spielen. Um die top 10 durch Weltranglistenpunkte zu ködern braucht es viele Punkte und je mehr Punkte es gibt, desto größer werden die Beschwerden der benachteiligten Spielern.
Unterm Strich würde ich eine Wiedereinführung der Punkte auch begrüßen. Deutlich wichtiger wäre mir aber die Abschaffung der Pflichtturniere. Diese wird es in absehbarer Zeit nicht geben. Wie der ATP Präsident sagt sind die 1000er ein Erfolg, weil alle Stars antreten müssen. Ist ja auch richtig, aber das alle anderen Turniere und der Davis Cup dadurch ein Stück weniger erfolgreich sind wird verschwiegen. Die Spieler würden ja nicht weniger spielen, sondern hin und wieder ein 1000er streichen für ein anderes Turnier, welches besser in den Plan passt. Mein Paradebeispiel ist ja immer Thiem, der in Toronto keine zusätzliche Karte verkauft, aber in Kitzbühel entscheidet allein sein antreten über den Erfolg des Turniers. Es macht einfach keinen Sinn die Spieler zu den 1000er zu zwingen. Die 1000er haben genug Vorteile um jeder Zeit ein tolles Feld zu stellen.