Man kennt Dominic Thiem als kompromisslosen Arbeiter und gnadenlosen Grundlinienpeitscher, der unermüdlich von Turnier zu Turnier hetzt. Der 27-jährige Österreicher hat aber auch eine andere, unbekannte Seite: die des verantwortungsbewussten und sensiblen Naturliebhabers, der sich um die Entwicklung des Planeten Erde sorgt und sich dafür einsetzt, dass die Tennistour nachhaltiger wird. Und das nicht nur, indem zum Beispiel darauf verzichtet wird, frisch bespannte Rackets in Wegwerfplastik einzupacken.
Entscheidenden Einfluss auf die Naturverbundenheit des US-Open-Siegers und Weltranglistendritten haben seine Kindheit und sein Elternhaus, insbesondere Mutter Karin, die sich noch immer vegan ernährt. «Domi», wie ihn seine Freunde nennen, wuchs in einem 3000 Einwohner zählenden Dorf namens Lichtenwörth etwa 50 Kilometer südlich von Wien auf. «Ich hatte immer Tiere um mich herum. Hunde, Katzen, Schweine und Hühner, um frische Eier zu haben», erzählte er
dem Magazin der französischen Zeitung «L’Equipe».
Er liebe Tiere sehr und könne es nicht ertragen, wenn sie gequält würden. Thiem und sein 20-jähriger Bruder Moritz, der ebenfalls Tennis spielt, assen in der Jugend selbst kaum Fleisch. «Als Sportler brauchen wir es aber ab und zu. Allerdings achten wir darauf, seine Herkunft genau zu verfolgen.»
Geprägt von seiner Mutter, die ein Ökologiestudium aufgenommen hatte, begann sich Thiem zunehmend mit Umweltthemen zu beschäftigen, je mehr er um die Erde reiste. «Und jetzt, da ich dank meinen Fans einen gewissen Einfluss habe, versuche ich, einige Dinge in Bewegung zu bringen.» So unterstützt er den WWF Austria beispielsweise beim Projekt, vom Aussterben bedrohte Seeadler zu schützen.
Mit dem gemeinnützigen Unternehmen 4Ocean, das sich gegen die Verschmutzung der Weltmeere starkmacht, kam er in Kontakt, nachdem er eines seiner Armbänder gekauft hatte, die aus rezyklierten Abfällen hergestellt werden. «Sie sahen, dass ich es trug, und kamen auf mich zu. Heute stehen wir in regem Kontakt, und ich unterstütze ihre Anliegen aktiv.»
Im Herzen ist der 17-fache Turniersieger und 4-fache Grand-Slam-Finalist ein Naturbursche. Am besten erhole er sich zu Hause, bei langen Spaziergängen in der Natur mit seinem Hund oder Ausflügen in die Berge. Auch in Grossstädten ziehe es ihn nach draussen, zum Beispiel an die Seine, wenn er gerade in Paris ist. Mit Wehmut erinnert er sich an die langen weissen Winter seiner Kindheit. «Jetzt haben wir kaum mehr Schnee. Man kann die Klimaveränderung mit eigenen Augen sehen.»
Thiem weiss, dass die weltweite Tennistour nicht sonderlich umweltfreundlich ist, im Gegenteil. Sein eigener ökologischer Fussabdruck – den er selbst noch nicht berechnete – wird geprägt durch die 60 bis 70 Flüge, die er in einem normalen Jahr absolviert. «Wir sind ein grosser Sport und produzieren noch viel zu viel Abfall, Plastik, Reisen. Aber viele Spieler wollen, dass sich etwas ändert, und dank unserem Einfluss können wir gewisse Initiativen lancieren.» Die Reisen zu minimieren, sei dabei allerdings die wohl am schwierigsten zu lösende Aufgabe.
Auf Initiative der Spieler war beispielsweise 2018 das ATP-Finale in London, das heute vor leeren Zuschauerrängen beginnt, plastikfrei; zum Schutz der Rackets wurde biologisch abbaubarer Plastik benutzt, statt PET- kamen Glasflaschen zum Einsatz. «Auch die Produzenten wissen, dass sie grüner werden müssen», sagt Thiem. Die Firma Babolat beispielsweise unterstützt ein Projekt, bei dem ausrangierte Tennisbälle rezykliert und für die Produktion neuer Tennisbeläge wiederverwertet werden.
Thiem versteht es als Mission, in Sachen Umwelt- und Klimaschutz eine Vorbildrolle einzunehmen. Er steht mit diesem Anliegen nicht allein auf der Tennistour. Etliche Spieler sind sehr engagiert und nicht nur die jungen wie etwa Andrej Rublew, der sich sehr für diese Dinge interessiert. Der Südafrikaner Kevin Anderson, Vizepräsident des ATP-Spielerrats, treibt die Bemühungen zur Reduzierung von Plastik schon seit Jahren aktiv voran.
«Der Sport und die Ökologie sind manchmal schwer zu kombinieren, speziell wegen der vielen Reisen», sagt Thiem. «Aber zu Hause kann jeder mit kleinen Sachen mithelfen. So versuche ich, meine Abfälle auf ein Minimum zu reduzieren, Strom zu sparen, nicht zu viel Fleisch zu essen und keine exotischen Früchte zu essen, die von weither kommen.» An einem Turnier wie dem heute beginnenden Saisonfinale in London, wo Thiem
2019 Federer, Djokovic und Zverev schlug und erst im Final knapp gegen Tsitsipas verlor, dürfte das alles allerdings nicht ganz so einfach sein wie im beschaulichen Lichtenwörth.
(SonntagsZeitung)