Ich war von Montag bis gestern in Schottland, größtenteils in Edinburgh und am Mittwoch dann noch in Glasgow. Ein bisschen Sightseeing natürlich, aber Fußball durfte selbstverständlich nicht fehlen
Am Montag war erstmal ankommen angesagt, die Stadt hat mir jedoch auf Anhieb gleich gut gefallen. Sind dann gegen Nachmittag noch auf den Arthur's Seat emporgeklettert, von dem man einen hervorragenden Blick auf die Stadt und die Nordsee hat. Abends nochmal am Edinburgh Castle entlanggeschlendert und schließlich in einem netten Pub eingekehrt.
Dienstags musste es natürlich standesgemäß ins Café "The Elephant House" gehen. Hier hat Joanne K. Rowling vor allem das erster Harry Potter-Buch geschrieben und Potter-Nerds wie mir kann ich nur wärmstens die Toiletten empfehlen, wo sich Fans aus der ganzen Welt an sämtlichen Wänden mit Sprüchen verewigt haben. Da hätte ich noch wesentlich länger bleiben können und auch die Damentoilette hätte ich ausnahmsweise mal gerne gesehen
Nach einem (sehr empfehlenswerten) Besuch im Nationalmuseum ging es für uns erstmal zum
Murrayfield-Stadium, das wir schon im Bus am Vortag passierten und nicht schlecht staunten. Es ist das größte Stadion Schottlands, hier wird allerdings nicht Fußball, sondern Rugby gespielt und es sieht von außen wirklich irrsinnig imposant aus, gerade angesichts seiner Länge. Weil die Vorbereitungen für das Six-Nations-Duell mit Frankreich am Sonntag liefen, durften wir leider nicht einmal komplett herum laufen, der Stewart ließ uns dann aber freundlicherweise doch noch ein paar Bilder schießen. Starkes Ding!
Kaum 500 Luftlinie weiter des Murrayfields liegt im Übrigen der Tynecastle Park, die Spielstätte von Heart of Midlothian, das am Abend zum Edinburgh Derby bei den Hibernians zu Gast sein sollte. Wenn schon mal in der Nähe, liefen wir auch dort einmal vorbei. An einem Seiteneingang sagte uns ein Ordner, dass man heute nicht rumlaufen (wohl wegen des Spiels am Abend) kann. Wir gingen dann Richtung Haupteingang in den Fanshop, als mein Kollege einfach mal dumm einen Mitarbeiter ansprach, ob es die Möglichkeit gibt, das Stadion vernünftig zu sehen. Keine zwei Minuten später standen wir plötzlich mit dem superfreundlichen Vereinsmitarbeiter im Inneren des Tynecastle Parks
Das war schon wirklich sensationell freundlich und auch das Stadion hat uns vollends überzeugt, ein richtig schickes Ding. Da sich danach mein Gewissen meldete, habe ich mir im Fanshop noch ne Hearts-Mütze gekauft, die ich dann aber sicher in der Jacke verstaute - es sollte ja schließlich zum Derby an die Easter Road gehen
Hibernian Edinburgh - Heart of Midlothian 1:3
Es dürfte in Schottland wenig bessere, emotionalere und geschichtsträchtigere Spiele geben, als das Edinburgh Derby zwischen Hibs und Hearts - sieht man natürlich vom Old Firm in Glasgow ab. Das Edinburgh Derby ist eines der ältesten Derbys der Welt, das Spiel am Dienstag war das 283. (!!) Aufeinandertreffen beider Mannschaften im schottischen Ligabetrieb, offiziell gab es bereits weit über 300 Spiele und natürlich auch noch etliche Freundschaftsspiele.
Viel zu früh waren wir am Stadion, eigentlich war der Plan, noch irgendwo in einem Pub ein Bier zu trinken. Wir fanden aber ehrlich gesagt nur einen und in dem steckte wohl die wirklich enge Fanszene der Hibs, das ließen wir deshalb einfach mal bleiben. So standen wir uns vor der Easter Road (die übrigens auch vom bereits angesprochenen Arthur's Seat toll zu erkennen ist!) die Beine in den Bauch. Die Tore wurden erst um 18.50 Uhr geöffnet, Anstoß war 19.45 Uhr.
Selbst eine halbe Stunde vor Spielbeginn war aber noch immer nicht erkennbar, dass hier gleich ein heißes Derby stattfindet. Die Ränge waren noch extrem leer, aber das ziemlich typisch britische Motto "spät kommen und früh gehen" sollte hier heute in beider Hinsicht zutreffen. Wenige Minuten nach Anstoß war das Stadion mit über 20.000 Zuschauern fast vollständig gefüllt. Und auf den Rängen ging es auch durchaus lautstark zur Sache, was im UK ja auch nicht immer der Fall ist. Da wir näher an den Hearts-Fans saßen, nahmen wir diese natürlich lauter wahr.
Sportlich waren die Hibs der Favorit als Tabellensiebter, während die Hearts - übrigens von Daniel Stendel trainiert - Schlusslicht der Liga waren. AM vergangenen Samstag gelang es aber die Rangers aus dem schottischen Pokal zu werfen, man hatte also Selbstvertrauen. Ex-Schalker Donis Avdijaj, der seit Winter in Edinburgh spielt, stand nicht im Kader - vermutlich verletzungsbedingt?
Nennenswerte Unterschiede waren sportlich aber kaum zu sehen. Die erste Hälfte war sehr ausgeglichen, die besseren Chancen hatten gar die Hearts. Und im zweiten Durchgang wurde das belohnt. Erst sorgte ein Strafstoß für das 0:1, kurz darauf ein sehenswerter Distanzschuss für das 0:2 - woraufhin sich die Hibs-Tribünen bereits merklich leerten. Wir hatten zunächst Plätze ganz rechts auf der Gegentribüne, wodurch wir die Hearts-Fans aufgrund der Mauer selbst schwer sehen konnte. In den letzten 20 Minuten konnten wir aber immer weiter mittig rücken, da mehr und mehr Plätze frei wurden. Spätestens beim 0:3 brachen alle Dämme und als das 1:3 in der 90. Minute fiel, waren die drei Hibs-Tribünen wirklich quasi komplett leer. Das habe ich in dem Ausmaß noch nie erlebt, wir saßen inzwischen quasi auf der Mittellinie und hatten einen fantastischen Blick auf die herausragende Party der Hearts-Fans. Das war ein ganz starker Auftritt, durch den die Hearts auch die Rote Laterne abgeben konnten. Vorerst.
Glasgow Rangers - Hamilton Academical 0:1
Während die Hearts auf Platz 11 vorrückten, fiel Hamilton Academical auf den letzten Platz zurück. So sahen wir am Mittwoch kurioserweise erneut das Schlusslicht der schottischen Liga, das schließlich für eine faustdicke Überraschung und eines der absurdesten Ergebnisse seit langer Zeit sorgte. Doch der Reihe nach.
Nach zwei Tagen in Edinburgh ging es für uns per Bus nach Glasgow, die Fahrt dauerte rund 75 Minuten. Glasgow ist zwar die größte Stadt des Landes, Edinburgh aber bekanntermaßen die Hauptstadt - und sicherlich auch eine ganze Ecke sehenswerter. Mir hat Glasgow nicht schlecht gefallen, aber Edinburgh spielt da doch in einer ganz anderen Liga. Wir sind dann tatsächlich relativ ziellos durch die Stadt gelaufen, ehe es wieder früh in Richtung Ibrox ging.
Hier waren die Stadiontore schon wesentlich früher geöffnet, sodass wir rund eineinhalb Stunden vor dem Anpfiff im Ibrox Stadium waren. Schon von außen machte das Ding mit seiner Fassade aus roten Backsteinmauern einiges her, im Inneren wurde man ebenfalls nicht enttäuscht. Schon ein richtig feines Stadion. Wie aber auch schon am Vortag: Die Zuschauer kamen quasi mit dem Anpfiff, sodass das Stadion dann doch noch recht gut gefüllt war - die angegebenen 48000 Zuschauer erscheinen mir aber dennoch etwas übertrieben.
Ich habe mich einem glasklaren Heimsieg gerechnet - und danach sah es eigentlich auch von Beginn an aus. Die Rangers waren haushoch überlegen, teilweise aber zu verspielt vor dem gegnerischen Tor. Der Treffer konnte aber eigentlich nur eine Frage der Zeit sein, gerade zu Beginn hatte mir Ianis Hagi - Sohn von Rumänien-Legende Gheorghe - hervorragend gefallen. Bereits das 0:0 zur Pause war absurd, es hätte locker 3:0 stehen können/müssen. Der Torwart aus Hamilton begann in der 31. Minute mit Zeitspiel. Anders als am Vortag beim Derby war es auf den Rängen aber wesentlich leiser. Es gab auf Rangers-Seite eine kleine Gruppe, die im Ultra-Style mit Fahnen und Trommel ausgestattet war und die auch durchaus regelmäßig zu hören war. Wirklich laut war das aber nicht. Ansonsten typisch englischer spielbezogener Support, bzw. phasenweise auch absolute Totenstille.
Das änderte sich dann nach der Pause. Bereits nach den ersten beiden weiteren Hochkarätern, die die Rangers liegen ließen, wurde der Unmut der Zuschauer auf den Tribünen deutlich lauter. Doch nach einem katastrophalen Abstimmungsfehler zwischen Torwart und Innenverteidiger der Rangers ging der Gast schließlich nach 55 Minuten sogar in Führung. Und jetzt kippte es völlig. Ich sehe ja wirklich viele Fußballspiele. Aber ein derartiges Gepöbel gegen die eigene Mannschaft habe auch ich noch nicht erlebt. Bei JEDEM Fehlpass, jeder misslungenen Aktion, jedem verlorenen Zweikampf ist das Stadion lautstark aus den Sitzen gegangen. So häufig wie während der 90 Minuten habe ich das Wort "****" wohl noch nie gehört. Dazu einige weitere Experten, die offenbar eine ganze Palette an Beleidigungen raushauen müssen
Und es war auch spürbar, dass das die eigene Mannschaft verunsicherte. Erstmal ging bei den Rangers nämlich erschreckend wenig nach vorne. In der Schlussphase gab es noch ein paar sehr gute Chancen, die der Torwart aber zumeist hielt. Glasgow hätte wohl noch drei Tage spielen können und kein Tor mehr geschossen. Und wie am Dienstag war das Stadion bereits bei Abpfiff wesentlich leerer als noch während des Spiels. Das Pfeifkonzert danach war dennoch gellend. Aber ich habe ungelogen selten ein absurderes Ergebnis gesehen, als das am Mittwoch. Es hätte locker 7:1 ausgehen können.
Durch den völlig überraschenden Sieg ist nicht mehr Hamilton Letzter, sondern die Hearts. Leider. Denn die sind mir irgendwie am Dienstag ordentlich ans Herz gewachsen und einen Ligaverbleib fände ich jetzt schon ganz cool. Fußballerisch hatten sie mich in jedem Fall auch deutlich mehr überzeugt als Hamilton (das aber natürlich auch den wesentlich stärkeren Gegner hatte).
Alles in allem aber ein sehr cooler Trip, der sich riesig gelohnt hat. Sorry, für den langen Text
PS: Beinahe wären unsere geplanten Spiele übrigens ins Wasser gefallen. Am Samstag war wie angesprochen schottischer Pokal zwischen Hearts und Rangers. Bei einem Unentschieden wäre das Wiederholungsspiel auf den Mittwoch gelegt worden, das Derby und das Rangers-Heimspiel dann verschoben. Davon wussten wir bis Samstag nichts und sind dann natürlich aus allen Wolken gefallen. Die Erleichterung war dann nach den 90 Minuten riesig, aber wie man so planen soll, muss mir mal jemand erklären.
PPS: Nicht ganz so pralle war der Rückflug. Von Edinburgh über Manchester sollte es mit Flybe nach Düsseldorf gehen. Doch wie eventuell der ein oder andere mitgekriegt hat, ist die bereits angeschlagene britische Airline am Mittwochabend - wohl auch wegen Corona - insolvent gegangen, der Flugbetrieb wurde eingestellt. Mussten dann nachts in Edinburgh am Airport irgendwie eine Alternative nach Manchester finden, sind schließlich dreieinhalb Stunden mit dem Zug dort hin geballert, um dort einen Eurowings-Flieger nach Düsseldorf zu nehmen.