Als Flug LH 2070 von München nach Hamburg landete, hatte Felix Magath die gefühlt ruhigste Stunde der vergangenen Tage hinter sich. „Ich konnte während des Flugs meine Gedanken sammeln, zur Ruhe kommen und bin mir der Absurdität des Ganzen bewusst geworden“, sagte der 60-Jährige wenig später, als er im Fischereihafen Restaurant saß und Steinbutt bestellte. Immer wieder klingelte während des Essens mit den Abendblatt-Reportern das Telefon des designierten HSV-Retters, er musste den Fisch warten lassen. Am späten Nachmittag aber, als er sich für zwei Stunden ins Hyatt-Hotel zurückzog, reifte – wieder einige Gespräche später – der Entschluss, den er dann um 18.25 Uhr dem Abendblatt mitteilte: „Ich habe eben in einem Telefonat mit dem Aufsichtsrat erklärt, dass ich nicht zur Verfügung stehe.“
Als Magath um 19.30 Uhr in der Springer-Passage über das Thema „Schach statt Mathe“ diskutierte, wirkte er gut gelaunt: „Ich fühle mich gut, wie befreit“, bestätigte er den Eindruck. „Ich bin überzeugt, dass ich die richtige Entscheidung getroffen habe.“ Dabei hätte er allen Grund gehabt, verärgert oder enttäuscht zu sein. Denn seit dem Hoffenheim-Spiel hatte der frühere Spieler, Trainer und Manager des HSV auf gepackten Koffern gesessen, um seinen Dienst anzutreten: „Ich habe mich für den HSV bereit gehalten.“
Denn: Schon nach dem Hoffenheim-Spiel (0:3) am 1. Februar hatte es die erste Kontaktaufnahme mit dem Aufsichtsrat gegeben. Am 5. Februar traf er sich in Hamburg mit dem Personalausschuss des HSV (Jens Meier, Eckart Westphalen, Katrin Sattelmair und Christian Strauß). Schnell wurde während des positiven Gesprächs klar, dass sich Magath eine Rückkehr zum HSV vorstellen kann.
Die finanziellen Bedingungen stellten kaum ein Problem dar: Bis Saisonende hätte er zum Nulltarif gearbeitet, aber eine Nichtabstiegsprämie erhalten (im Gespräch war eine Million Euro). Nur sein Team musste bezahlt werden. Magath stellte klar, notfalls auch mit dem Verein in der Zweiten Liga den Neuaufbau gestalten zu wollen und strebte einen längerfristigen Vertrag an. Der Europapokalheld von 1983 ging somit ein großes Risiko ein, dass sein Name nicht nur mit dem größten Triumph des Vereins, sondern auch womöglich mit der größtmöglichen Enttäuschung verbunden sein könnte.
Aber Magaths Erwartung, womöglich bereits beim Heimspiel gegen Hertha BSC auf der Bank zu sitzen, erfüllte sich nicht. Und trotz des bitteren 0:3 gegen die Berliner kam im Kontrollgremium am Sonntag bei der Mammutsitzung keine Zweidrittelmehrheit zustande. Ab diesem Zeitpunkt glaubte Magath schon nicht mehr daran, dass es zum Abschluss kommen würde. Er fing an, sich neu zu orientieren und begann wieder mit Lauftraining, das er tagelang vernachlässigt hatte.
Zudem waren zu diesem Zeitpunkt auch die Vertragsverhandlungen mit Magath längst nicht finalisiert. So sah ein erster Vertragsentwurf vor, dass nur Oliver Kreuzer als Sportchef entlassen und an dessen Stelle Magath in den Vorstand mit Carl Jarchow, Joachim Hilke und Oliver Scheel rückt. So hätte Magath quasi als erste Amtshandlung erst noch eine Mehrheit für eine Entlassung von Noch-Trainer Bert van Marwijk finden müssen. Dabei hatte der Vorstand erst am Sonnabend einstimmig beschlossen, dem Niederländer als letzte Bewährungschance das Spiel bei Eintracht Braunschweig zu geben. Doch diese Variante fiel bei Magath komplett durch – er wäre nicht mit den Entscheidungsbefugnissen ausgestattet worden, die ihm vorschwebten.
Als sich nach dem 0:5 im Pokalviertelfinale gegen den FC Bayern München am Mittwoch auch am Donnerstag abzeichnete, dass im Kontrollgremium die notwendige Mehrheit für Magath nicht zustande kommt, ergriff dieser die Initiative und sagte Aufsichtsrat Christian Strauß am Donnerstag ab, um die Hängepartie zu beenden: „Es hat sich nichts vorwärtsentwickelt, da war es sinnvoller, die Angelegenheit abzubrechen.“ Danach informierte er seinen Vertrauten Bernd Hollerbach, den er als Co-Trainer zum HSV holen wollte.
Es dauerte nicht lange, bis auch die Magath-Fans im Internet die Nachricht von der Absage erfuhren – und zwar von ihm selbst. „Es ging mir um Euch und den HSV, um den Klassenerhalt und einen gleichzeitigen Neuaufbau. Leider beharren im HSV zu viele der alten Kräfte auf ihren Positionen, sind an einem ehrlichen Neuanfang nicht interessiert“, schrieb Magath um 18.44 Uhr auf seine Facebook-Seite. „Teile des Aufsichtsrates, der Vorstand sowie die Initiatoren der Gruppe HSVplus haben sich gegen mich gestellt. Wie soll man mit solchen Voraussetzungen einen Verein erfolgreich durch den Abstiegskampf führen? Einigkeit im Verein hat aber oberste Priorität, ohne sie kann nichts gelingen. Diese notwendige Einigkeit herzustellen scheint bei diesen unüberschaubaren Gruppen und Einzelinteressen kaum machbar.“ Klare Worte, die verdeutlichten, wie enttäuscht Magath ist, dass es zu keiner Zusammenarbeit gekommen ist.
„Es tut mir sehr leid Euch keine bessere Nachricht zu übermitteln“, schloss Magath. „Mit Euch wäre ich den Weg wirklich gerne gegangen. Ihr jedenfalls seid bundesligatauglich, ihr seid Spitze. Euer gewaltiger Zuspruch, gerade in den letzten 48 Stunden, geht mir zu Herzen. Bedanken möchte ich mich auch bei Christian Strauß, Jens Meier und Jürgen Hunke, denen ich für ihr persönliches Engagement danke.“
Die Replik von HSVPlus nach diesen kritischen Sätzen Magaths ließ nur wenige Minuten auf sich warten: „Wir als eine Initiative von Mitgliedern haben keinen konkreten Einfluss auf die Entscheidungen des Aufsichtsrates oder des Vorstandes“, hieß es in einer Stellungnahme, „wir können uns daher weder gegen noch für eine Person aussprechen.“ Doch Magath legte während der Schachveranstaltung nach und stellte eine düstere Prognose für den HSV: „Es gibt zu viele Mandatsträger und Strömungen. Wenn das so bleibt, wird es ganz schwer.“ Er selbst werde, so kündigte er an, schon in Kürze eine neue Aufgabe übernehmen. Welche, ließ er offen. Aber etwas Wehmut kam dann doch auf, als er sagte: „Der HSV gehört zu mir, wie ich zum HSV gehöre. Es hätte wunderbar gepasst.“
Niemand glaubt, dass es nach dem Rückzug Magaths nun etwas ruhiger beim HSV wird, im Gegenteil. Der Druck auf van Marwijk vor dem Duell in Braunschweig bleibt immens, bei einer Niederlage wird der Vorstand den 61-Jährigen beurlauben, so kündigten es der Clubchef Carl Jarchow und Kreuzer im Aufsichtsrat an. Nach Abendblatt-Informationen hat die HSV-Führung nicht nur zu dem kürzlich in Hannover entlassenen Mirko Slomka den Kontakt gesucht, sondern auch mit einem alten Bekannten konkret über eine Rückkehr gesprochen: Martin Jol. Der 58-Jährige, der von 2008-09 in Hamburg arbeitete, war Anfang Dezember nach fünf Niederlagen in Folge beim Premier-League-Club Fulham entlassen worden.
Und auch der Aufsichtsrat könnte vor gravierenden personellen Veränderungen stehen: So sollen gleich mehrere Aufsichtsräte kurzfristig aus dem Elferrat zurücktreten wollen. Aber was sagt das Gremium selbst zu den jüngsten Entwicklungen? Jens Meier scheint offenbar kein fehlerhaftes Verhalten zu erkennen: „Profifußball ist ein knallhartes Geschäft, damit muss jeder klarkommen“, sagte der frisch dekorierte Vorsitzende des Kontrollgremiums. Dem ist nichts hinzuzufügen.
(Hamburger Abendblatt, 14. Februar 2014)