Hi!
Hat eigentlich schon mal jemand daran gedacht, dass der Psychologe garnicht so wichtig für das ist was im Ring passiert, sondern vielleicht eher für das was außerhalb des Ringes passiert?
Es mag ja sein, dass er dem Sportler helfen kann Agressionen zu kanalisieren und sich seiner Fähigkeiten, Stärken, Schwächen bewusst zu werden. Aber er wird aus einem Ring-Schäfchen keinen Killer machen, aus einem Angsthasen keinen Dangerseeker.
Die Arbeit des Psychologen muss doch sein, dem Boxer zu helfen seinen Alltag zu bewältigen. Mit den Erfolgen und Niederlagen muss der Boxer nicht im Ring zurecht kommen, sondern dann, wenn die Kameras aus sind, nicht mehr das Leben um ihn tobt, sondern er ganz auf sich selbst zurückgeworfen ist.
Da geht es dann wirklich los. Da muss der Boxer gelehrt werden, dass er nach einem Erfolg nicht Supermann, nach einer Niederlage nicht Al Bundy ist.
Tyson ist doch (auch wenn es angezweifelt wurde) ein wunderbares Beispiel. Den hätte ein Psychologe retten können, könnte ihm heute noch helfen seinen Frieden mit sich selbst zu machen.
Der Mann hatte ein großartiges Geschenk von Mutter Natur (oder dem Bärtigen in den Wolken) bekommen. In meiner Sicht, von den Anlagen und Fähigkeiten, der kompletteste und begnadetste Boxer aller Zeiten. Und was wurde daraus?
Hätte ihm jemand geholfen sein überragendes Talent zu nutzen, ihm Selbstwert vermittelt, ihm die Mitte gezeigt, dann wäre er heute (auch wieder völlig subjektiv), der undiskutiert "Größte aller Zeiten".
Da hat ein "Ghetto-Kid" um Anerkennung gekämpft, wurde von der Null zu Gott, musste (und konnte das nicht) echte von profitgeilen "Freunden" unterscheiden, konnte scheinbar jede Frau haben (Prominenz und Kohle, Macht, machen sexy), pendelte immer zwischen "Jeder will mit ihm gesehen werden" und "Keiner will ihn kennen".
Der Mann ist ein "Opfer" schlechter Berater, geldgeiler Ausbeuter, der Medien und unserer Sensationsgeilheit. Mir tut es fast weh, wenn ich sehe welches Potenzial da verschenkt wurde und, dass eine Ausnahmeerscheinung mehr und mehr zur Zirkusattraktion mutiert.
Was wäre, wenn diesem Menschen allgemeine Werte und Selbstert vermittelt worden wären?
Und jetzt zu Beyer. Der ist im Gegensatz zu Mike nicht begnadet, sondern "nur" begabt.
Er ist kein "Genie", aber ein solider Handwerker.
Und wenn dieser Handwerker jedes Werkzeug nutzt das ihm zur Verfügung steht, dann finde ich das anerkennenswert und nicht abwertend.
Der Psycho-Doc hat ihm sicher nur vermitteln können, dass er "Jemand" ist und das mag geholfen haben, dass er auch im Ring befreiter "aufspielen" kann.
Ist doch wie überall. Wenn alles was ich bin, was mich ausmacht, nur von einer einzigen Sache abhängt, dann ist der Verlust vorprogrammiert. Denn irgendwann, irgendwo, wird mich immer jemand übertreffen.
Wenn ich aber ein gefestigter, in mir ruhender Mensch bin, dann kann ich auch Niederlagen akzeptieren, kann meine "Fehler" in vernünftigem Rahmen werten und kann mich entwickeln.
Wenn es einem Menschen hilft Selbst-Sicherheit zu gewinnen, seinen Selbstwert zu erkennen, dann ist es mir egal, ob es Medizin, Religion, Esoterik, Vodoo, Psychologie, Akkupunktur, Comiclesen oder Steptanz ist. Was hilft ist gut!
Schlimmer ist es doch, wenn (im vergleichenden Rahmen) talentfreie, unbegabte, nur von der Physis lebende Menschen, zu Medien-Ikonen werden. Die steigen unverdient und fallen deshalb umso härter.
Therapie ist gut. Sie braucht aber nicht nur die Notwendigkeit, sondern die Bereitschaft.
Kurz und knapp, Beyer ist ein Boxer, den ich gerne boxen sehe. Er hat mehr menschliche Stärke gezeigt, indem er öffentlich zu seinen Schwächen stand, als manch anderer.
Und selbst wenn er gegen Kessler verlieren würde (was auch ich für wahrscheinlich hielte), ist er kein Verlierer. Er ist kein erkaufter, sondern erkämpfter Weltmeister.
Gruß
s.