Vorweg: bin jetzt kein Experte, was Kampfrichter-Regeln angeht, aber auf Trainerschulungen oder von Kampfrichtern kenne ich nur, dass ein 10:8 oder gar 10:7 äusserst selten gegeben wird bzw. da muss ein Boxer z.B. schon zweimal angezählt und völlig demontiert mit Wirkungstreffern oä. werden. Und ein Anzählen ist auch nicht zwangsläufig ein 10:8, sondern wird im Grunde nur als ein Treffer bewertet.
So zumindest mein Kenntnisstand, der Ende 2019 den Trainern geschult wurde. Ich versteh die Logik dahinter auch nicht wirklich, aber wie gesagt: kenne die Lehre und Richtlinien für die Kampfrichter nicht, sondern ist jetzt nur mein Wissen aus der Praxis aktuell. Vermisse da ja auch eher mal eine klare einheitliche und verständliche Regelung.
Ich möchte nicht beurteilen, was und wie das bei dir gelehrt wurde. Noch möchte ich es tiefer kommentieren.
Es ist auf jeden Fall nicht so, wie es von der AIBA und den einzelnen nationalen Verbänden intendiert ist.
Intendiert ist es wie im nachfolgenden Bild, welches aus eine offiziellen AIBA-Publikation zum Scoren stammt:
Die einzelnen Verbände, die sich natürlich an ihrem Dachverband orientieren, haben ähnliche Passagen in ihren offiziellen Publikationen:
Ein Beispiel:
Weiteres Beispiel:
Weiteres Beispiel:
Man sieht ja bei den Turnieren, dass einige Punktrichter das "neue" System gut beherrschen.
Auch bei den gerade stattfinden Weltmeisterschaften. Z.B. der Italiener aus dem Shahbakhsh-Kampf. In der zweiten Runde gaben noch weitere Punkrichter eine 10:8.
Ohne dass jemand angezählt wurde.
Nur man sieht eben leider auch viele Punktrichter, die entweder unzureichend geschult oder unfähig sind; oder andere Gründe haben, warum sie nicht den Vorgaben und Schulungen entsprechend scoren.
Es geht im Kern, um das Problem, dass beim Boxen, aber eigentlich bei fast allen Kampfsportarten, viele Runden sehr knapp sind und es manchmal einem Würfeln oder es als Ermessen und Auslegung verbrämte Richtermacht ist, die anfällig für Korruption macht, ähnelt.
Beim Profiboxen werte ich Runden, wo ich mir absolut nicht sicher bin, 10:10 und ermutige auch jeden Punktrichter, der evtl. Angst hat, es so zu tun, weil man sonst ja höre, dass man sich doch festlegen soll und 10:10 eine Ausnahme bleiben solle (+ähnliches Geschwalle), es so tun.
Es ist im Profiboxen nicht ausgeschlossen und das Rumreiten mancher Personen, dass man nicht 10:10 werten solle, hat andere Gründe als das Bestreben nach einem fairen Scoring.
Als die AIBA ihr "neues" System einführte, schloss man 10:10-Runden kategorisch aus. Es darf sie nicht geben.
Dafür hat das AIBA-System 2 Merkmale, um das Problem der sehr knappen Runden zu entschärfen.
Zum einen sind es bei unter AOB-Richtlinien stattfindenden Kämpfen 5 Punktrichter. Bei mehr Punktrichtern ist die Wahrscheinlichkeit - nach allem was man über Schwarmintelligenz weiß - höher, dass dann selbst bei 3 knappen Runden der Richtige gewonnen hat.
5 Punktrichter gibt es zugebenermaßen und, wie du sicher auch weißt, nicht immer.
Bei größeren Wettbewerben selbst auf nationaler Eben (oder gar Franchise-Wettbewerben wie den Golden Gloves -mit Ausnahme der Lokal- und Regionalentscheidungen) sind sie jedoch vorgeschrieben.
(Dafür kommt beim Amateurboxen die geringe Rundenzahl erschwerend dazu:
-weniger Runden aka Stichproben geben schon aus statistischen Gründen schlechtere Ergebnisse als 12 Runden/Stichproben.
-bei drei Runden geben bei Boxer Vollgas und aufgrund der hohen Aktivität ist schwerer den besseren Boxer zu erkennen, da der eigentlich schlechtere seine Unterlegenheit mit großer Aktivität evlt kaschieren kann)
Und dann das andere Merkmal, welches ebenso bewusst so eingeführt wurde: Das Scoringsystem, welches zum Geben von 10:8 oder 10:7 ermutigt.
(Ein 10:8 ist beim Profiboxen ohne Niederschlag zwar auch ermöglicht; es wird aber von keinem Verband oder keiner Commission bewusst ermutigt oder gelehrt, dies so zu tun.)
Mit den AIBA-Scoringvorgaben, wenn man sie konsequent angewendet werden, kann man z.b. nachfolgend skizzierten Verlauf entschärften.
Boxer A ist der eigentlich bessere Boxer und ein gutes System müsste selbst bei ungünstigeren Bedingungen ihn als Sieger erkennen.
1. Runde:
Beide geben Vollgas und haben ihre Aktionen. Eigentlich gewinnt sie Boxer A knapp, aber für die vielleicht schon etwas müden Richter ist es schwer zu erkennen, wer eigentlich die Runde gewonnen hat.
3 Punktrichter werten die Runde "fälscherlicherweise" für Boxer, nur 2 für Boxer A.
Boxer A : Boxer B
1. Runde:
9:10
10:9
9:10
9:10
10:9
2. Runde:
Hier ist die einzige Runde, wo man den Qualitätsunterschied erkennen kann und klar den Sieger feststellen kann.
Die Runde ist so klar, dass 4 Ringrichter den Rundengewinner ihrer Meinung nach klar feststellen können. 4 werten 10:8 für Boxer A. Einer kann es nicht, er hält die Runde weiterhin für knapp, er gibt nur eine 10:9 für Boxer A.
19:19
20:17
19:18
19:18
20:17
3. Runde:
Wieder eine sehr knappe Runde. Ein Sieger kann nicht klar bzw. nur unter Auslegungsgebrauch bestimmt werden. Die Runde ist noch knapper als die 1. Runde oder die Richter machen einen noch schlechteren Job als in Runde 1.
4 von ihnen geben die Runde "fälschlicherweise" Boxer B.
29:28
29:27
28:28
28:28
29:27
Der "richtige" Sieger, Boxer A, konnte durch das AOB-System/Kriterien ermittelt werden.
Ohne dass man die einzige klare Runde, die 2., 10:8 für Boxer A wertete, hätte er nicht gewonnen und es wäre jetzt bei Einzelmeisterschaften und internationalen Wettbewerben in eine Tiebreak-Entscheidung gegangen.