Wie sehr die Causa Djokovic polarisiert und auch mobilisiert hat, zeigt doch, dass seine, vornehmlich männliche, Fan-Base in Australien erstmal nichts besseres zu tun hat, als das Gerichtsurteil auf den Straßen Melbournes zu feiern, als seien sie gerade Fußball-Weltmeister geworden.
Dieser aus meiner Perspektive "übertriebene" Nationalstolz ist mir zutiefst suspekt, insbesondere dann, wenn man um die jüngere Geschichte des Landes weiß und wohin dies geführt hat. Mal eine Frage an die Jugo-Experten, gerne im anderen Thread, worin das begründet liegt? Das wirkt auf mich oft wie eine Art permanenter Minderwertigkeitskomplex.
Also ich probierst mal. Hoffe bin wach genug.
Das Ganze ist vielschichtig.
Zum einen wurde in Jugoslawien die nationale Identität quasi unterdrückt zwecks der grösseren „übergestülpten“ nationalen Identität als Jugoslawen. Ich würde es jetzt eher eine Art Kompensationsmechanismus nennen als einen Minderwertigkeitskomplex. Man kann sich endlich als „Kroate“, „Serbe“, „Nord-Montezuma“ (Copyright
@le freaque), etc. bezeichnen.
Dann würde ich beim Nationalstolz trennen bei den Leuten in Serbien (in diesem Fall, gilt aber stellvertretend auch für alle anderen Ex-Yu-Nationen) und im Ausland. Man darf hier nicht ausblenden, dass gerade Australien viele Migranten aus dieser Region hat. Ich weiss nicht, wie es in Down Under ist. Hier in der Schweiz wird man als Jugo aber doch oft und gern daran erinnert, dann man ja eigentlich nicht von hier ist. Wirklich Serbe, Kroate etc. ist man aber auch nicht. Man hat zwar dort Wurzeln, aber lebt nicht dort, fühlt sich quasi überall fremd. Es ist eine Art Identitätssuche. Hatte ich auch schon diese Phase. Mittlerweile ist mir das ziemlich egal. Ich bin Schweizer, ich bin Kroate, ich bin Aargauer, ich bin „Sarajlija“ (Leute aus Sarajevo), „I am Zlatan“ bzw. in meinem Fall halt einfach JL13. Ich kann nichts dafür, dass meine Identität an Orte geknüpft ist, die durch politische Grenzen getrennt sind. Viele Leute sind aber noch auf dieser Suche nach Identität.
In Serbien und den anderen Ländern selbst hat das auch viel mit der sozioökonomischen Lage zu tun. Viele Leute sind arm, arbeitslos und geben sich mit diesem übertriebenem Patriotismus einen Lebensinhalt, einen Sinn. Das hat der Balkan ja nicht exklusive, dass viele Hardcore-Rechte eher aus der Unterschicht kommen. Etwas anderes, was halt dem Leben bisschen mehr Sinn gibt, ist die Obsession mit Sport. Da würde ich jetzt allgemein behaupten, dass die „Jugos“ da im Schnitt temperamentvoller sind und fanatischer. Und als eher kleinere Länder hat man auch nicht regelmässig Erfolg, sondern kostet jeden aus, den man gegen die „grossen, reichen Nationen“ erringen konnte. Dazu kommt, dass die Balkan-Nationen ja oft in Teamsportarten gut sind. Wenn dann ein einzelner, wie Djokovic, so als Ausnahmeathlet auftaucht, entsteht schnell ein gewisser Personenkult. Vor allem, wenn es halt eine grössere Sportart ist, die international viel Aufmerksamkeit generiert. Auch hier ist das bei westlichen kleineren Ländern nicht anders. Federer hat auch einen besonderen Stellenwert in der Schweiz. Aber Schweizer sind halt aus diversen Gründen nicht so fanatisch.
Zu guter Letzt interessiert medial keine Sau, dass Tausende von Serben überall auf der Welt in den letzten Tagen normal ihren Alltag bestritten haben. Die Verhaltensauffälligen stechen aber halt heraus. Wäre bei Berichterstattung über Deutschland in Ausland ja nicht anders. Niemand wird berichten, dass
@Murphy heute normal zur Arbeit gegangen ist, Zeit mit Familie und Freunden verbracht hat und allgemein ein duftet Typ ist. Wenn paar sozial Andersbegabte aber wegen Corona Bambule mit der Polizei suchen, dann gibt das Klicks, Einschaltquote und Auflage. Der Unterschied ist, dass ein grösseres Land wie Deutschland vielschichtiger in den internationalen Medien auffällt, während es bei einem Serbien eben meist dann ist, wenn sportliche Erfolge vorhanden sind, oder paar „besondere Buben“ das Gefühl haben es sei wieder 1991. Und in diesem Fall ist es ein komischer Mix aus Sport und seltsamen Leuten.