Meine Eindrucke des Kampfs:
(1) Vorneweg: Einige User hier haben nach dem Kampf eine ziemlich hässliche Fratze gezeigt. Beleidigungen in Richtung Dirrell oder Familie müssen bei aller Liebe zu Abraham nicht sein. Das war noch 'ne Ecke niveauloser als das, was hier sonst nur bei Klitschko-Kämpfen aufwartet.
(2) Abraham wurde streckenweise richtig vorgeführt. Dirrell hat runde neun Durchgänge lang so geboxt, wie man einen Abraham halt boxen muss. Vom angeblichen Weggerenne habe ich lange Zeit auch nichts gesehen; der Amerikaner hat erst dann die Beine in die Hand genommen, als Abraham notgedrungen alles auf eine Waagschale gelegt hatte. Wer will es ihm denn verübeln? Ansonsten hat man den üblichen Abraham gesehen. Da war nichts besser und nichts schlechter als in seinen anderen Kämpfen. Dass er letztlich gefrustet war, lag schlichtweg an der Tatsache, dass Dirrell eine ganze Spur cleverer agierte als der zum Ringfuchs ausgerufene Deutsch-Armenier.
(3) Die Leistung des Ringrichters: Sicherlich, er hätte Dirrell für den ein oder anderen Tiefschlag durchaus noch ermahnen müssen und ihm vermutlich einen Punkt abziehen. Aber im Grunde beißt sich auch hier die Katze in den Schwanz: Abrahams Kollegen in Deutschland kriegen Unsauberkeiten ähnlicher Art ebenfalls nicht abgezogen. Bei der betreffenden Aktion in Runde 11 kann man ihm keinen Vorwurf machen. Er stand zwar weit weg, aber man darf man auch nicht erwarten, dass er sich an Dirrells Fersen heftet, der ja wie ein Irrer über die ganze Ringfläche galoppierte. Der einzig dicke Vorwurf, den sich der Mann machen lassen muss, ist das Verkennen eines klaren Niederschlags zu Gunsten Abrahams. Hätte aber so oder so nichts geändert.
(4) Die Disqualifikation: Absolut korrekt - ganz egal ob Dirrell noch einmal hochgekommen wäre oder nicht. Es wäre fahrlässig, einen regelwidrig angeklingelten Mann nochmal in den Kampf zu lassen. Der betreffende Schlag sieht mir dafür schwer nach einer Frustaktion aus. Die Behauptung, der Schlag sei nur die Folge eines bereits begonnenen Bewegungsablaufs gewesen, kann man getrost in die Tonne kloppen, da Abraham vor dem Schlag kurz innehält; also hätte er durchaus zurückziehen können. Zudem darf man von einem Profi auch in der Hitze des Gefechts und bei bedrohlich hohem Adrenalinspiegel erwarten, dass er sich mit dem Regelwerk auskennt und sich unter Kontrolle hält - und das heißt, dass man am Boden befindliche Gegner nicht mehr schlagen darf. Nichts mit Trennkommando und derartigen Ausflüchten. Übrigens ist das gar kein Vergleich zu Klitschko - Chambers, wie mehrfach angeklungen: Dort hat Chambers erst unmittelbar vorm zweiten Treffer mit der Hand den Boden berührt. Da kann man Klitschko in der Tat keine Vorwürfe machen.
(5) Die angebliche Schauspielerei: Ich finde es ziemlich schäbig, einem offensichtlich angeschossenen Mann derartiges zu unterstellen. In dieser Situation konnte Dirrell eigentlich nur verlieren. Was das angebliche Kalkül angeht: bigD hat bereits auf den Kampf zwischen Travis Walker und Banks hingewiesen. Da setzt Walker nach dem entscheidenden Treffer noch eine Aktion, macht einen Schritt und legt 'ne Pirouette hin. Ich glaube, man kann auch im Falle Dirrells von einer verzögerten Schlagwirkung sprechen - und das hört sich gegen den mutmaßlich härtesten Puncher im Radius mindestens zweier Gewichtsklassen mindestens genauso wahrscheinlich an wie die Schutzbehauptung, Dirrell hätte einen Hollywood-reifen Auftritt hingelegt. Die ist sicherlich alles andere als fair - und die Wahrheit trifft sich irgendwo in der Mitte. Übertreibung? Vielleicht. Schauspielerei: Nein. Die Wirkung war da und Dirrell noch zwanzig, dreißig Minuten nach dem Kampf irgendwie neben der Rille.
(6) Der angebliche KO, um den Abraham betrogen wurde: Will man jetzt ernsthaft Wahrscheinlichkeiten beziffern, wie der Kampf ohne die DQ ausgegangen wäre? Das ist hochgradig lächerlich (und dem Vernehmen nach in etwa so, als würde ich behaupten, dass Arreola noch 'ne Ko-Chance gehabt hätte, wenn man ihn gegen Vitali nicht aus dem Kampf genommen hätte). Fakt ist: Abraham lag nach Punkten meilenweit zurück, hat lange sehr schlecht ausgesehen und in den letzten Runden einen gewaltigen Druck entfacht. Aber daraus könnte man genauso schließen, dass er in der zwölften Runde konditionell eingebrochen und von Dirrell abgeschossen worden wäre.
Fazit: Tolle Leistung von Dirrell.