Wegners Verhalten fand ich ausgesprochen zweifelhaft. An den Kommentaren diverser Leute aus dem Sauerland-Umfeld konnte man auch merken, dass da Unstimmigkeit herrschte. Hat ja jeder versucht, ihn zu rechtfertigen. Natürlich gibt man so einen Gürtel nicht einfach auf und es ist gut möglich, dass Abraham sich später wünschen würde, durchgehalten zu haben. Aber dieses lapidare "mach den Mund zu" und "stell dich nicht so an" war schauderhaft. Das Abraham nicht weitermachen wollte, hat jeder mitbekommen.
Ich würde das Geschehen in drei separate Aspekte teilen, um jeden zu analysieren und mich nicht in pauschale Plattheiten und Betrugsvorwürfe zu ergehen. Sicher war nicht alles koscher, aber an dem Geschehen war eben nicht nur die Sauerland-Truppe beteiligt.
Zum einen das Boxen an sich: Mir hat Abraham wieder einmal nicht gefallen. Zu fest, zu inaktiv. Derart verkrampft zu boxen kostet Kraft und die fehlt Abraham nach hinten inzwischen grundsätzlich. Aber mit den überlangen Pausen um Kraft zu sparen tut er sich keinen Gefallen.
Das Miranda boxerisch nicht das Gelbe vom Ei ist, muss aber jeder erkannt haben, der von sich behauptet, vom Boxen Ahnung zu haben. Klare Treffer waren teilweise Mangelware trotz viel Aktion. Die Puste war ohne Beeinträchtigung durch Verletzung und trotz langer Kampfunterbrechungen ab Runde acht weg und er schob viele Schläge. Defensiv manchmal planlos und sehr anfällig für Konter. Wenn Abraham mal aktiv wurde, kamen reichlich Schläge durch. Dennoch habe ich meine Zweifel, ob Abraham den Kampf ohne die Punktabzüge über die Punkte hätte gewinnen können.
Allerdings ist die boxerische Leistung Abrahams aufgrund der Verletzung und der Tiefschläge, die ihn beeinträchtigt haben (Leute mit Augen im Kopf haben sehen können, dass dies schon Ende der zweiten Runde das erste Mal der Fall war) kaum bewertbar. Letztlich ist dies alles Spekulation und "hätte, wäre, wenn".
Nächster Punkt wäre der Kieferbruch: Ich habe keine unsaubere Aktion gesehen, die den Kieferbruch verursacht hätte haben können, weshalb ich davon ausgehe, dass es Schlagwirkung war. Vom Kopfstoss kam die Verletzung ganz sicher nicht. Die ganze Szene, die da an den Ringseilen ablief, fand ich äußerst zweifelhaft und erinnerte mich an Beyer-Green I. Aus gesundheitlich Gründen wäre der Abbruch wohl sinnvoll gewesen. Aber lagen die mit dem Punkteauszählen richtig?
Da das Schlagwirkung war und wir in Runde fünf waren, hätte es doch TKO Miranda lauten müssen!? Letztlich fand ich die Entscheidung des Supervisors den Kampf fortsetzen zu lassen richtig. Davon unabhängig bleibt die Möglichkeit der Sauerland-Ecke, den Kampf aufzugeben. So wie die Sache entschieden wurde, ist der Fall Kieferbruch halb so kontrovers und problematisch, wie er hier diskutiert wird. Viel bedenklicher finde ich da das Verhalten Wegners & Co.
Dritter Punkt sind die Fouls: Miranda hat ab Runde eins schon zu tief getroffen. Auch in der zweiten Runde setzte sich dies fort und ich fand Neumanns Toleranz mehr als übertrieben. Da muss man keinesfalls gleich mit Punktabzügen um sich werfen, aber ein deutliches Wort dazu verlieren, das muss man. Die drei Punktabzüge wegen Tiefschlagens waren definitiv berechtigt.
Auch der Kopfstoss war aufgrund der kurzen Ausholbewegung und des Bewegungsablaufes klar als Absicht erkennbar. Warum fliegt denn da bitte der Kopf zur Seite?
Und für die Absicht ist die Härte des Auftreffens unerheblich.
Jetzt kann man sich natürlich fragen, ob Neumann den Miranda da nicht hätte disqualifizieren müssen oder können. Ich bin froh, dass er es nicht getan hat, denn dann wäre der Kampf noch viel kontroverser geworden. Neumann hat sich bemüht, die Nummer noch in halbwegs normaler Form über die Bühne zu kriegen, was ich löblich finde. IMO in diesem Punkt eine gute Ringrichterleistung, an der man aber kritisieren kann, dass er Arthur wegen zu exzessiven Haltens hätte ermahnen müssen.
Übrigens: Wer die Fouls nicht gesehen hat, möchte sich bitte wahlweise dem Angelsport, Sackhüpfen oder professionellem Nasebohren zuwenden. Vom Boxen hat er jedenfalls zu wenig Ahnung, um darüber mitreden zu können.
Mit 5 Punkten Abzug kann man einen Boxkampf nur sehr schwer gewinnen, weshalb das Punkturteil IMO in Ordnung geht. Voraussetzung hierfür ist natürlich, dass der Kampf auch über die Runden geht. Da liegt wohl die Krux. Mich würde interessieren, wie Neumann über einen Abbruch denkt. Für mich ganz klar eine Parallele zu den Michalczewski-Hall Kämpfen, wo der Heimboxer blutüberströmt und entstellt weiterboxen darf, der Gastboxer bei einem ernsten aber lange nicht vergleichbar schlimmen Cut aus dem Kampf genommen wird.
Was man auch einmal lobend erwähnen sollte ist, dass beide Boxer sich nach dem Kampf professionell gegenüber verhalten haben. Miranda hat Abraham gratuliert und zumindest im Ring (soweit das im TV sichtbar war), nach dem Kampf kein Theater veranstaltet hat. Abraham ist, wie es sich gehört, in die gegnerische Ecke gekommen. Hat mir gefallen, weil ist sicher nach solchen Ereignissen auch nicht jedermanns Sache. :thumb:
Fazit: Großer Fight mit viel Drama und Kontroverse, aber kein tolles Boxen - von beiden nicht. Wie viele Kämpfe dieser Art Abraham noch "drin" hat, muss man abwarten. Aber lange kann das so nicht gehen. Wer jedoch schnell oben ist, ist oft auch früh fertig. Ich habe Abraham schon einmal mit Vargas verglichen (und zwar vor dem zweiten Mosley-Fight).