Wenn der Zuschauer Teil einer homogenen Masse wäre, könnte die Entwicklung so laufen. Aus der Sicht des Boxfans ist das aber leider nicht so. Es würde mich nicht wundern, wenn sich der Profiboxsport auf absehbare Zeit in seiner jetzigen Form gegenüber den Boxfans von selbst erledigt. Es hat aber den Anschein, dass das dem Profiboxsport zumindest in der finanziellen Spitze völlig wurscht sein kann, da der Eventfan viel wichtiger ist als der Boxfan. Dem Eventfan ist die Show und der Boxer als Person viel wichtiger als der sportliche Wert. Er möchte das Idol gewinnen sehen und dabei gut unterhalten werden und sei es durch das musikalische Rahmenprogramm und die Lichtshow. Wer da mit dem Idol im Ring steht ist völlig egal. Irgendwann darf das dann auch irgendein Zuschauer aus der ersten Reihe sein. Ob das Idol auch tatsächlich gewonnen hat, ist ebenfalls egal.
Das ist aber doch ein dezidiert europäisches, sprich: deutsches und englisches Phänomen, das sich zumindest in Deutschland irgendwann von selbst erledigen wird. Stars wie die Klitschkos, Sturm oder Abraham boxen nicht für immer, und ohne Sender wird es für die Zbiks und Sylvesters dieser Republik schwierig, sich im heimischen Wohnzimmer einzurichten. Soll heißen: Der "Eventfan" erscheint ja nicht nur bei Boxkämpfen, sondern gehört zum Zeitgeist, ob es nun das Public Viewing ist oder diese Web 2.0-Eventkultur, die sich etwa über Facebook-Partys oder Flashmobs Luft macht. Sobald es keine Boxevents mehr gibt und nur noch regionale Sportveranstaltungen, werden diese von interessierten Zuschauern besucht und nicht mehr von Groupies oder harten Fans.
Da das Geschäft im Mittelpunkt steht, wird es auch keine Selbstreinigung von innen heraus geben, da das Geschäft unabhängig vom sportlichen Wert läuft. Da sieht man schon daran, dass der sportliche Wert als Teilkomponente des Gesamtkonzepts eben notfalls einfach behauptet wird, auch wenn er nachweislich gar nicht besteht. Kratzt fast niemanden.
Das ist wieder eine eher eurozentrische Sichtweise. In den Staaten muss sich der Boxsport nach wie vor gegen andere Kampfsportarten behaupten. Dort werden seit Jahren schon Rückzugsgefechte geführt, oder der Sport kurzerhand einfach für tot erklärt. Dass die Selbstreinigungskräfte arbeiten, sieht man daran, dass von bestimmten Seiten eine Diskussion über grundsätzliche Änderungen angestoßen wird. Ob das nun Teddy Atlas ist, der zurecht gegen Promoter wütet (und noch viele gute Sachen mehr für den Sport macht), oder Mayweather, der mit seinen Forderungen eine Diskussion über Anti-Doping-Maßnahmen anleiert. Diese Gedanken werden von der Community aufgegriffen und diskutiert, und wenn der Sport überleben möchte, müssen die Funktionäre von innen heraus tätig werden. Ich würde jedenfalls nicht soweit gehen und den Leuten eine Heuschrecken-Mentalität anheften, denn die Gefahr, die etwa vom UFC abstrahlt, geht gewiss nicht spurlos an den Boxsportfunktionären vorbei. Ich bin da optimistisch und glaube, dass man über kurz oder lang die Flucht nach vorne wird antreten (müssen), um das ramponierte Image des Sports aufzubessern
In Deutschland, wo sich drei (und mehr) Ställe ein "halbes Monopol" an öffentlich-rechtlichen, teils privaten Geldmitteln sichern und bequem den Markt nebeneinander aufteilen können, ohne sich dabei in die Quere zu kommen, sieht das freilich anders aus, nämlich so, wie von dir beschrieben. Hinzu kommt, dass es anders als in den USA oder England kaum seriöse Informationsmöglichkeiten für Interessiere gibt (abseits des Internet). Noch dazu fehlt dem Sport hier jedwede Basis, was die Vermittlung von entsprechendem Wissen
noch schwieriger macht. Woanders z.B. werden Heimboxer, die durch Beschiss gewonnen haben, gerne mal vom heimischen Publikum ausgepfiffen.
Tot ist der Boxsport für mich erst, wenn Deutschland mit seiner "Klitschko"-Eventkultur wirklich und leibhaftig zum Mekka des Boxens geworden ist.