Unterm Strich war das Abschneiden Deutschlands (etwas) erfolgreicher als in Tokio. Und zwar auch dann, wenn man nicht bräsig Goldmedaillen zählt, sondern etwa für Gold drei Punkte, für Silber zwei Punkte und für Bronze einen Zähler vergeben würde.
In den Kreisen, die den Untergang des Sportstandortes Deutschland herbeireden wollen, wird natürlich geraunt werden, dass Ogunleye oder Varfolomeev (womöglich auch Neugebauer oder Mihambo) keine "echten" deutschen Medaillen waren - und dass der Deutsche an sich durch das woke Klimbim zu weich für kompetitiven Wettkampf gemacht worden sei.
Dass Menschen, die sonst bei vielen Gelegenheiten fragen, ob wir denn "keine anderen Probleme haben", dem internationalen Schwanzvergleich riesige Bedeutung beimessen, ist okay. Ich persönlich habe mich auch über sportliche Leistungen gefreut, die sich nicht im Medaillenspielgel wiederfinden. Der siebte Platz eines Max Heß beim Dreisprung etwa war für mich deutlich ergreifender als die ganzen Pferdemedaillen. In den Mannschaftssportarten hat Deutschland überwiegend gut performed. Auch dann, wenn kein Edelmetall herausgekommen ist. Die Volleyballer etwa, die Frankreich am Rande einer Niederlage hatten. Oder die Handballerinnen, die seit Ewigkeiten wieder bei Olympia dabei waren und die ebenfalls Frankreich in der K.o.-Runde einen großen Kampf geliefert haben. Dann gab's Sportlerinnen wie Ricarda Funk, die auf Nummer sicher hätte gehen und mit Silber nach Hause fahren können. Sie hat alles riskiert, weil sie Gold wollte - und am Ende wurde es gar nichts. Das bedeutet aber ja nicht, dass Funk nicht mehr zu den weltbesten Vertreterinnen ihrer Sportart zählt.
Insgesamt geht die reine Zahl der Medaillen seit Jahren nach unten. Auch wenn man mal erwähnen sollte, dass es schon 2000 in Sydney, 2004 in Athen (je 13 Mal Gold) oder 2012 in London (11 Mal Gold) kaum mehr - oder gar weniger Olympiasiege zu feiern gab. Vermeintlich kleinere Nationen haben strukturell aufgeholt und gewinnen mehr Medaillen als früher. Und die deutsche Sportförderung ist ein ziemlich konfuses Durcheinander. Auch wenn ich nicht wüsste, wie man in der Hinsicht am ganz großen Rad drehen sollte. Es ist ja nicht so, dass Deutschland einfach mal eben die USA kopieren könnte, weil dort Sport-und Bildungspolitik viel enger miteinander verzahnt sind und Collegesport eine ganz andere Bedeutung hat. Wie willst du das auf deutsche Universitäten überstülpen? China? Mal von der Dopingproblematik abgesehen: Was wird dort aus den Sportlern, die durchs Raster fallen, die nicht gut genug für den Olympia-Kader sind? Können die trotzdem von ihrem Sport leben? Hatten sie die Möglichkeit, nebenbei eine Ausbildung zu absolvieren? Oder haben die sich seit Kindesbeinen nur auf den Sport fokussiert und stehen vor dem Nichts, wenn es nicht klappt? Ich hab von der Materie nicht genug Ahnung, finde es aber gut, dass Athleten in Deutschland auch dann eine solide Zukunft vor sich haben können (Sportsoldat, Polizeisportgruppe, Studium dank Sportförderung), wenn die Karriere vorbei ist, wenn sie nicht in die absolute Spitze geführt hat - oder durch eine Verletzung abrupt beendet wird. Man könnte wohl argumentieren, dass manche Laufbahn noch erfolgreicher geworden wäre, wenn der Athlet sich stets zu 100 Prozent auf seinen Sport konzentriert hätte, finde es aber recht vermessen, wenn so etwas von Leuten verlangt wird, die nicht mit den potenziellen Konsequenzen leben müssen.
Als Enttäuschung empfand ich die Spiele in Paris für Deutschland überhaupt nicht. Ein Blick über den Tellerrand Richtung Niederlande, Australien oder Neuseeland würde aber sicher nicht schaden.