Selten hat es mich in den letzten Jahren kurz vor Saisonbeginn derart unter den Fingern gejuckt wie in diesem Jahr. Und warum auch nicht - die letzten Wochen und Monate haben mir klar und deutlich gezeigt, dass im Weltfußball gilt: selbst, wenn du glaubst, schon alles gesehen zu haben, kann dich dieses schöne Spiel noch immer überraschen. Selbst, wenn grad kein Ball über den Rasen rollt. Hätte mir vor ein paar Monaten jemand erzählt, dass in der kommenden Saison ein gewisser Jose Mourinho auf der United-Trainerbank sitzen und Spieler wie Paul Pogba, Zlatan Ibrahimovic und Henrikh Mkhitaryan trainieren würde, hätte ich ihn ausgelacht.
Zum Lachen war mir und den United-Fans generell in der letzten Saison aber eher selten zumute. Der bis dahin vermutlich beste Spieler des Teams zog sich im September eine sehr schwere Verletzung zu, in der Champions League schied man schon in der Gruppenphase sang- und klanglos aus. In der Liga brach man im Verlauf des Jahres mehrere klubinterne Negativrekorde, zeigte mitunter unfassbar blutleeren Fußball und verpasste schlussendlich knapp aber hochverdient die Champions League-Plätze. Nach all den Investitionen war das eine herbe Enttäuschung, vor allem, weil nicht nur die Ergebnisse, sondern auch die Leistungen mehr als zu wünschen übrig ließen: gerade einmal 19 Saisontore erzielte man im Laufe der Saison. Angesichts der Erwartungen der erfolgsverwöhnten Fans war es also kein Wunder, dass Louis van Gaal nach zwei langen Jahren seine Koffer packen musste, obwohl man zu Saisonende mit dem Gewinn des FA Cups wenigstens mal wieder Silverware in den Händen halten durfte.
Wirklich Freude bereitete den United-Fans nur die junge Garde. Der sündteure Neuzugang Anthony Martial (20) avancierte früh zum Schlüsselspieler und war mit 11 Saisontoren in der Liga der einzige United-Spieler, der zweistellig traf. Luke Shaw (20) war zu Saisonbeginn vermutlich der beste United-Akteur, ehe er sich Schien- und Wadenbein brach ... ihn in diesen Tagen wieder auf dem Feld zu sehen, ist als Fan eine große Freude. Jesse Lingard (23) schaffte endgültig den Durchbruch in der ersten Mannschaft, und die Jugendspieler Cameron Borthwick-Jackson (18) und Timothy Fosu-Mensah (18) hinterließen einen derart guten Eindruck, dass man sie vor kurzem bis 2020 an den Verein band. Die Entdeckung des Jahres aber natürlich Marcus Rashford (18), der im Januar praktisch aus dem Nichts kam, unter anderem Arsenal und Man City KO schoss und als drittjüngster England-Torschütze aller Zeiten sogar noch auf den EM-Zug aufsprang. Mit diesen jungen Spielern wird United hoffentlich noch sehr viel Freude haben.
Monatelang wurde Jose Mourinho mit United in Verbindung gebracht, ehe der 53-Jährige im Mai auch offiziell als neuer Trainer feststand. Auf den ersten Blick passt das auch wie die Faust aufs Auge: ein äußerst erfolgreicher Trainer mit großer Klappe, der wie der Verein selbst auf Wiedergutmachugn aus sein wird. Und auch, wenn einige Fans wie ich erst noch mit dem Portugiesen warm werden müssen, ist man in der aktuellen Situation vermutlich wirklich der beste Fit für einander. Mit Mourinho kehrt jedenfalls auch die Arroganz ins Old Trafford zurück, nachdem dieser Aspekt in den letzten Jahren etwas verloren ging: Mourinho setzt auch öffentlich hohe Ziele und kann damit bei den Fans auch schon mal erste Pluspunkte sammeln.
Das hat er zweifelsohne auch mit der Einkaufspolitik erreicht: für 170 Millionen Euro hat man sich alle vier Wunschspieler gegönnt, die Mourinho auf seinem Einkaufszettel hatte. Den Anfang machte Eric Bailly, ein 22-jähriger Innenverteidiger mit viel Potenzial, der aber noch etwas roh wirkt und definitiv noch Zeit braucht. Nimmt man die Testspiele als Maßstab, hat Bailly aber sicher das Zeug zum Publikumsliebling: technisch gut, aber auch körperlich robust und mit einer rustikalen Art, wie man sie seit Vidic nicht mehr hatte. Danach wurde mit Zlatan Ibrahimovic ein Stürmer von Weltformat ablösefrei verpflichtet, nachdem auch er wochenlang mit United in Verbindung gebracht wurde. Der 34-Jährige hat schon früher unter Mourinho fantastische Leistungen gezeigt und soll nun nicht nur als Goalgetter, sondern auch als Mentor für den 18-jährigen Shooting Star Marcus Rashford fungieren. Für die Offensive folgte mit Henrikh Mkhitaryan ein Kreativspieler, den United als Counterpart zu Anthony Martial dringend notwendig hatte. Der 27-jährige Armenier kann auf eine fantastische Saison bei Dortmund zurückblicken und sollte in der Lage sein, bei United sofort eine gewichtige Rolle zu spielen.
Und zu guter letzt tütete United noch den teuersten Transfer der Geschichte ein, was viele United-Fans auch noch aus einem anderen Grund sehr freut: denn der 105 Mio.-Mann Paul Pogba ist nicht nur sportlich eine enorme Bereicherung für das Mittelfeld, sondern darüber hinaus ja auch noch ein alter Bekannter. Vor vier Jahren musste man das Toptalent zähneknirschend ziehen lassen, nachdem es unter Ferguson kaum Chancen bekommen hatte und so gemeinsam mit Berater Mino Raiola den Abgang forcierte. Von Juventus kassierte man damals nur eine lachhafte Ausbildungsentschädigung, nun durchbricht man die 100 Mio. Euro-Schallmauer, um den Franzosen zurückzuholen. Von der Ablöse her ist das natürlich ein Wahnsinn, aber die Wahrheit ist, dass sich United das leisten kann - und neben den sportlichen Vorzügen auch in anderen Bereichen enorm profitieren kann, denn Pogba ist eine wahre Marketing-Goldgrube.
Dass man diese vier Spieler allesamt schon vor Saisonstart holen konnte, ist dem Verein definitiv hoch anzurechnen, und so kann man die Sache in den kommenden drei Wochen nun etwas entspannter angehen. In groben Zügen dürfte der Kader stehen - eine weitere Option in der Abwehr wäre ein netter Bonus, aber wenn vom Hauptkader niemand mehr einen Wechsel forciert, dürfte nicht mehr viel passieren. Nicht mehr zu diesem Hauptkader gehört bekanntlich Bastian Schweinsteiger: der Deutsche wurde von Mourinho eiskalt aufs Abstellgleis gestellt und darf sich nun einen neuen Verein suchen. Für gleich drei Spieler, die das schon getan haben, heißt dieser neue Verein Sunderland, darunter auch Adnan Januzaj per Leihe. Guillermo Varela wechselt derweil auf Leihbasis nach Frankfurt, der unter van Gaal ausgemusterte Victor Valdes heuerte bei Middlesbrough an.
Zugänge:
Paul Pogba (Juventus), Zlatan Ibrahimovic (Paris), Henrikh Mkhitaryan (Dortmund), Eric Bailly (Villareal)
Abgänge:
Guillermo Varela (Frankfurt/Leihe), Adnan Januzaj (Sunderland/Leihe), Paddy McNair (Sunderland), Donald Love (Sunderland), Ashley Fletcher (West Ham), Victor Valdes (Middlesbrough), Nick Powell (Wigan)
Manager: Jose Mourinho
Acht nationale Meistertitel, vier nationale Pokalsiege und zwei Champions League-Triumphe: Jose Mourinhos Karriere als erfolgreich zu bezeichnen, wäre eine Untertreibung. Der Portugiese ist vom Siegen regelrecht besessen und tut dafür so gut wie alles, und ich schätze mal, der Erfolg gibt ihm durchaus Recht. Natürlich hat der 53-Jährige aber auch einige Leichen im Keller: Mourinho ist für seine Arroganz und seine mitunter grenzwerigen Aussagen bekannt, viele seiner Engagements endeten in Tränen und seine Bilanz mit jungen Spielern ist durchaus fragwürdig. Trotzdem ist Mourinho zum jetzigen Zeitpunkt vermutlich genau das, was United nach drei miserablen Jahren braucht ... und seine Qualitäten sind absolut unbestritten. auch Mourinho hat nach dem ruhmlosen Abgang bei Chelsea ja einiges zu beweisen.
Player to watch: Wayne Rooney
Gerade einmal 8 Tore konnte der Kapitän in der letzten Saison erzielen ... van Gaal ließ ihn zwar lange im Mittelfeld rumturnen, aber für einen Spieler von seinem Kaliber war das dennoch eindeutig zu wenig, auch wenn die eigenen Fans natürlich am besten wissen, dass sich Rooney auf dem absteigenden Ast befindet. Die United-Anhänger sind bei Rooney aus verschiedenen Gründen fast schon überkritisch: sieht man sich in Internetforen die Wunschaufstellungen der Fans an, sucht man den 30-Jährigen in den meisten Grafiken jedenfalls vergebens. Auch, weil niemand weiß, wo er nun wirklich am besten aufgehoben ist ... und auch Mourinho scheint da noch nicht sicher zu sein. Fest steht, dass Rooney in der Offensive nun deutlich mehr Qualität rund um sich hat und es nun definitiv keine Ausreden mehr gibt.
Prognose: 3.
Mourinho hat die Mannschaft äußerst sinnvoll verstärkt - nun gilt es, die Mannschaft zu "ent-van Gaal-isieren" und das Potenzial, das zweifelsfrei in der Mannschaft steckt, auf den Rasen zu bringen. Dass dies mit vier Neuzugängen in der Startelf nicht von heute auf morgen geht, ist klar ... und bei Mourinho war es bislang ja meistens das zweite Jahr, in dem man die größten Erfolge feierte. Wenn man im ersten einen deutlichen Schritt nach vorne macht und um den Titel zumindest mitspielen könnte, wäre das schon zufriedenstellend. Auch, wenn Mourinho erfreulicherweise den Titel als Ziel ausgibt.