Was steht denn drin hinter der Bezahlschranke?
Kurzabriss:
- Tuchel glaubt nach dem ersten Schock der Entlassung, dass die Entscheidung lange vor dem Dinamo-Spiel gefallen ist. Das dürfte der Wahrheit entsprechen, Boehly und Eghbali scheinen schon länger eine andere Vision zu haben. Die Zusammenarbeit der drei soll von Anfang an schwierig gewesen sein.
- Aus Tuchels Sicht waren die letzten Monate unter den neuen Besitzern zeitintensiv, frustrierend und verwirrend. Nach dem Abgang von Granovskaia und Cech wurde er mehr in Personalentscheidungen eingebunden, worauf er aber gar nicht so scharf war. Einige Meetings mit den Besitzern hat er an seinen Agenten delegiert, was den Besitzern nicht geschmeckt hat ... die wollten noch mehr direkten Input von Tuchel haben, dieser wollte sich halt lieber aufs Coaching konzentrieren. Dazu die schwierige Konstellation, dass mit Boehly der vorübergehende Sportdirektor auch gleichzeitig Miteigentümer war.
- Laut Tuchels Camp war er letztlich an jeder Verpflichtung außer Zakaria involviert, laut Chelseas Quellen war sein Input bzgl. der Kaderpolitik eher widersprüchlich. Ein Beispiel: Chelsea war zu Beginn des Sommers an Gabriel Jesus interessiert, aber Tuchel hat mehrmals betont, keine Nr. 9 holen zu wollen. Später hat er seine Meinung geändert und war sauer, dass Jesus zu Arsenal wechselte. Im Mittelfeld liefs wohl ähnlich. Boehly hatte zudem Interesse an Ronaldo, das hat man dann nicht verfolgt, weil Tuchel dagegen war (auch, weil er mit Neymar und Mbappe bei PSG keine guten Erfahrungen gemacht hatte). Boehly soll Tuchel jedenfalls als "Alptraum" gesehen haben, was die Transferpolitik angeht, und Chelsea will, dass die Neuzugänge als "club signings" verstanden werden, nicht als Wunschspieler Tuchels.
- Tuchel war angepisst, dass er Eghbali über Team Meetings unterrichten sollte, und hatte deshalb schon in der Saisonvorbereitung Sorgen, dass er deshalb entlassen werden könnte. Boehly hat die Wogen dann geglättet, aber nach der Leeds-Niederlage war wohl Funkstille.
- laut Chelsea hat sich schon letzte Saison die Stimmung im Team gedreht: hatte Tuchel in seiner ersten Saison die Mannschaft noch geeint und mit vielen Gesprächen das Vertrauen der Spieler gewonnen, so war das letztes Jahr ganz anders. Viele Spieler waren unzufrieden mit Tuchels fehlendem Feedback, vor allem die Stürmer.
- Tuchel hat in der Saisonvorbereitung dann zwei Gruppen gebildet und eigene Team Meetings abgehalten: mit jenen, die bleiben und für den Verein kämpfen wollten, und mit jenen, die gehen wollten oder unschlüssig waren. Dass er dann aber in den ersten Spielen auch Spieler der zweiten Gruppe aufgestellt hat, hat das Vertrauen der Mannschaft in ihn untergraben.
- Bei der Übernahme der neuen Besitzer war man voll auf dem Tuchel-Zug und sah ihn als Schlüsselfigur für die Zukunft, aber nach den ersten Monaten der Zusammenarbeit hat sich ein ganz neues Bild ergeben. Man hat sich dabei auch Jugendarbeit auf die Fahne geschrieben, aber Tuchel hat letzte Saison in der Liga keinem einzigen Teenager Minuten gegeben.
- Was die Performances angeht, hat man in einer Amtszeit wohl quer durch die Bank Negativtrends beobachtet und in den letzten Monaten keine konstant guten Leistungen gesehen. Man hatte in Tuchel hier kein Vertrauen mehr, dass er die richtigen Antworten findet.
- Was den Schock für Tuchel noch verschlimmert hat, ist die Tatsache, dass er eigentlich davon ausging, zeitnah eine Vertragsverlängerung zu unterschreiben. Laut seinem Camp gab es dafür schon ein grobes Grundgerüst ... Chelseas Quellen widersprechen dieser Darstellung. Demnach wäre man von dem Plan, mit Tuchel zu verlängern, schon vor mehreren Wochen abgerückt.
- Tuchel hatte eine gute Beziehung zu Cech und sah auch den Abgang von Granovskaia als Fehler, gerade zu dem Zeitpunkt. Letztlich war vom "alten" Regime dann niemand mehr da, der ihm den Rücken deckte, und seine Erfolge zählten bei Boehly und Co. dann nicht mehr viel. Mit denen gab es wohl auch Slapstick-Momente, wie eben der 4-4-3 Episode
Chelsea bestreitet, dass das so passiert ist.
- Tuchels ursprüngliche Wunschliste für den Sommer bestand wohl aus de Ligt, Kimpembe, Raphinha und de Jong. Boehly und Eghbali vertrauten mehr auf Datenanalyse, dementsprechend gab es hier Reibungen. Tuchel hat ihnen neben Ronaldo wohl auch Kounde ausgeredet.
- für Tuchel ist der plötzliche Abgang bitter, weil er sich unterm Strich Chelsea mehr verbunden gefühlt hat als allen anderen Vereinen, die er bisher trainiert hat. Pause will er aber jedenfalls keine einlegen, sondern schnell wieder ins Geschäft einsteigen.