Roger Federer muss sich vorkommen wie König Midas. Alles, was er anfasst, wird zu Gold. Die neuen Uniqlo-Caps mit dem RF-Logo, das er von Nike übernommen hat, waren am Dienstag im Nu ausverkauft. Ein US-Blogger, der sie in allen acht Farben erwerben wollte, berichtete, wie er alle paar Minuten die Website besuchte, um die Caps ja nicht zu verpassen – und dann waren plötzlich doch alle weg.
Der Launch von Federers limitierten On-Sneakers sorgte im Sommer für die erhoffte Publizität und unzählige Kundenkontakte. Auch seine Barilla-Werbung, wie er auf einem Hausdach in Italien zwei tennisspielende Mädchen überraschte, ging um die Welt.
Alles Roger also? Nicht ganz. Denn die alles entscheidende Frage schwebt über allem wie eine dunkle Wolke: Wie steht es sportlich um ihn? In dieser Hinsicht war es verdächtig still. Es spricht einiges dafür, dass sein Comeback diesmal weitaus schwieriger wird.
Als sich Federer 2016 erstmals nach einer längeren Pause zurückarbeitete, gab er dem «Tages-Anzeiger» Ende Oktober anlässlich seines Besuchs bei der Eröffnung der Nadal-Akademie in Mallorca ausführlich Auskunft über sein Befinden und seine kurz- und langfristigen Pläne. Dabei verbreitete er Zuversicht:
«Mein letztes Hurra, das könnte Jahre dauern.» Auch sein Fitnesstrainer Pierre Paganini gab ein Interview, in dem er im Detail über das Trainingsprogramm und die Fortschritte seines Schützlings sprach.
Diesmal vertröstet einen Paganini auf Januar oder Februar nächsten Jahres. Auch Coach Severin Lüthi mag sich derzeit nicht äussern. Und Federer hat seit längerem kein Interview mehr gegeben, das nicht PR-Zwecken diente – bei dem also nicht vorher abgemacht worden war, was gefragt werden durfte. Womit er heikle Themen vermeiden konnte. Gegenüber dem japanischen TV-Sender «Wowow» bekräftigte der 39-Jährige jüngst, es sei sein grosses Ziel, an den Olympischen Spielen in Tokio teilzunehmen. Wegen seiner Verbindung mit Uniqlo werde er künftig ohnehin regelmässig nach Japan reisen.
Doch die Schweiz ist klein. Immer wieder wurde Federer hier in den vergangenen Monaten erkannt und beobachtet – neben, aber auch auf den Courts. Er trainierte des Öfteren in der Tennishalle in Horgen mit dem gut befreundeten Ivo Heuberger. Zuletzt am Freitag. Natürlich war Lüthi jeweils dabei, auch Ivan Ljubicic flog vorübergehend für ein paar Tage in die Schweiz.
Anfang November schlug Federer noch Bälle, ohne Punkte auszuspielen oder an die Grenzen zu gehen. Es ging für ihn primär darum, das Gespür für den Ball und den Körper wiederzufinden. Im Unterschied zu anderen Jahren flog er diesmal auch keine aktuellen Profis als Sparringspartner ein, begnügte er sich vorderhand mit Heuberger, der seine Karriere 2008 beendet hat.
Seit einigen Wochen spielen sie auch um Punkte und Sätze. Kürzlich erhöhte Federer die Intensität – nun testet er seinen Körper mehr aus. Doch bis zur Form, die es ihm erlauben würde, an Grand-Slam-Turnieren kompetitiv zu sein, ja sogar um den Titel zu spielen, fehlt noch einiges. Und das ist sein Anspruch.
2016 war er zu diesem Zeitpunkt um einiges weiter. So sagte Lüthi im Frühling 2019 rückblickend über den Coup in Melbourne 2017: «Ich erzähle gerne, dass ich ihm im November im Training sagte: Roger, du spielst schon so gut, du kannst in Australien gewinnen.»
Jetzt darf Federer froh sein, wurde der Start des ersten Grand-Slam-Turniers von 2021 wegen des Coronavirus um drei Wochen nach hinten geschoben – auf den 8. Februar. Sonst hätte es ihm kaum gereicht. Ihm bleiben damit noch acht Wochen, wobei er zwei davon in Melbourne in Quarantäne zu verbringen hätte. Doch er müsste wohl bald seine Trainingsbasis nach Dubai verlegen, um sich so richtig professionell vorzubereiten.
Derweil wurde von ehemaligen Profis die Frage aufgeworfen, ob ihm nochmals ein erfolgreiches Comeback gelingen könne. Nicht davon überzeugt sind beispielsweise Paul-Henri Mathieu und Henri Leconte, wie sie auf Eurosport sagten. Allerdings fehlt den Franzosen jegliches Insiderwissen, was Federers aktuelle Form angeht. Leconte sagte fast schon beschwörend: «Aber wir wollen doch alle daran glauben, ich will daran glauben!»
Kaum jemand in der Tenniswelt, der nicht hofft, dass der Baselbieter den Anschluss nochmals schafft. Doch er wird sich davor hüten, in Melbourne anzutreten, wenn er sich nicht bereit fühlt, zwei Wochen Tennis auf höchstem Niveau durchzustehen. Es war qualvoll, zuzuschauen, wie er sich Ende Januar am Australian Open mit Adduktorenproblemen durch den Halbfinal gegen Novak Djokovic quälte, ohne jegliche Siegchance. Solche Auftritte rauben selbst ihm, dem Daueroptimisten, die Freude am Tennis.
Seine Beschwerden rührten wohl schon damals von seinem rechten Knie her, das er im Februar und im Juni von seinem Vertrauensarzt Roland Biedert operieren liess. Ein weiterer Eingriff ist nicht vorgesehen, medizinisch soll alles in Ordnung sein. Das jedenfalls beteuerte Federer an einem Termin für die Kaffeemaschinenfirma Jura. Wäre er nicht Profisportler, alles wäre okay. Aber es geht für ihn darum, die Balance im Körper und das Vertrauen wiederzufinden, um sich nochmals ans Limit pushen zu können. In einem Alter, in dem fast alle anderen längst zurückgetreten sind.
So viele erwarten von Federer trotzdem nochmals Wunderdinge. Und er erfährt derzeit wohl täglich, wie weit Anspruch und Realität noch auseinanderklaffen. Immerhin bekommt er am Sonntagabend, wenn er aller Voraussicht nach zum besten Schweizer Sportler der letzten 70 Jahre gekürt wird, einen zusätzlichen Energieschub auf seinem steinigen Weg.
(Simon Graf, Adrian Ruch / SonntagsZeitung)