Nun steht es natürlich jedem Athleten frei, einen WM-Titel mal WM-Titel sein zu lassen und sich anderen sportlichen Zielen zu widmen - zum Beispiel, wie es Carlsen angedeutet hat, als erster Spieler in der Elo-Wertung, mit der die Spielstärke von Schachprofis gemessen wird, die 2900er-Grenze zu packen. Aber dennoch wirkt es unnötig arrogant und anmaßend, wenn der Weltmeister sich quasi aussuchen möchte, gegen wen er den Titel verteidigt.
Für den Schachsport wäre ein Rückzug Carlsens fatal. Wenn der beste Spieler der Welt nicht antritt, würde das automatisch zu einer Entwertung des Titels führen. Und egal wer künftig Schach-Weltmeister wäre, er würde immer mit dem Etikett leben, dass sich irgendwo da draußen im
Schach doch der wahre Weltmeister tummeln würde. Man kann die Situationen überhaupt nicht miteinander vergleichen: Aber wozu es führt, wenn der anerkannt beste Akteur der Welt nicht auch am WM-Kampf teilnimmt, das erlebte die Schachwelt in den Neunziger- und Nullerjahren, als sich eine Gruppe vom Weltverband abspaltete und zwei Weltmeister nebeneinanderher existierten. Carlsens Abtritt wäre besonders folgenreich, weil der seit einem Jahrzehnt nicht nur sportlich, sondern auch in der Außendarstellung die prägende Figur ist.
Das alles wissen die Schach-Verantwortlichen, und sie dürften einiges unternehmen, um Carlsen von einer Teilnahme zu überzeugen. Da dürfte es dann auch um die Formatfrage gehen. Carlsen missfällt die traditionelle WM-Variante, in der zwei Spieler zwölf oder 14 Partien gegeneinander absolvieren, von denen viele mit einem Remis enden. Alternativen wie ein K.o.-Modus mit mehreren Teilnehmern wären wohl eher in seinem Sinn. Aber eines gilt auch: Nepomnjaschtschis Niederlage gegen Carlsen war am Ende zwar heftig - doch zu Beginn hielt er durchaus gut mit. Erst nach der Niederlage
in einer epischen Partie geriet er aus der Spur. Ein zweites Match zwischen den beiden könnte also durchaus etwas bieten.