Ich möchte mir nicht anmaßen den Farewell Roger Thread mit derart unaussprechlichen Inhalten zu füllen. Daher hier. Bei aller Dominanz in seinen Mitzwanziger, ist Roger mMn derjenige der Big3, der sein Potential am wenigsten ausgeschöpft hat bzw in GS Erfolge ummünzen konnte (klammert man mal Noles Covid-Odysee aus). Weshalb es mir einfach schwerfällt ihn trotz seiner unglaublichen Errungenschaften, seiner Popularität und seiner Verdienste für den Tennissport als bis dato "besten Tennisspieler aller Zeiten" (was wohl die klassische Definition eines GOATs wäre) zu betrachten. Nole hatte für mich eindeutig den höchsten Peak in der Geschichte und Nadal für mich eindeutig am meisten aus sich herausgeholt (wie man dieses Jahr wieder erleben konnte). Letzteres ist für mich im Sport ein durchaus großes Kriterium. Sowohl Nadal als auch Djokovic haben bei deutlich weniger GS Matches mehr Titel geholt, Nadal mit den wenigsten Spielen die meisten. Gegenüber Nole spricht ohnehin nicht mehr viel für Roger als klassischer Goat.
Will man dagegen die B Note einfließen lassen, was ja auch irgendwo legitim ist, müsste man zwischen dem Größten und dem Besten unterscheiden. Federer ist eindeutig die größte Persönlichkeit (der Spieler mit der größten über den Sport hinausreichenden Legacy) die das Tennis hervorgebracht hat. Garnicht mal im Sinne seiner Qualitäten als Person, sondern mehr aufgrund der Begeisterung und Bewunderung die er beim Publikum mit seinem Spiel ausgelöst hat. Im übertragenen Sinne ist er vielleicht der Greatest of all time. Der beste Spieler der Geschichte im Hinblick auf seine sportliche Leistung ist er nicht mehr.
Wenn man das ganze jetzt mal rein aufs Sportliche runterbricht und jegliche "weiche" Faktoren außen vor lässt, dann kannst du bezüglich der Big 3 eigentlich Folgendes sagen:
Auf seinem jeweils besten Belag ist eigentlich nur Nadal quasi unschlagbar. Vollkommen egal, wie gut der Gegner verteidigt, wie viel Ballgefühl er hat und was auch immer, wenn Rafa fit ist, die Form und das Wetter passt, wird er auf der roten Asche jeden besiegen. Federer, der die meiste Variation zu bieten hat, hilft diese dort 0,0. Der Top Spin frisst Federers einhändige Rückhand geradezu auf. Bei Djokovic ist das nicht so extrem, der kann mit seiner starken beidhändigen RH schon gut dagegenhalten, gegen einen peakenden Nadal wird aber auch da die Luft dünn. Aber Sand ist auf GS Niveau nur 1/4 und bei den 1000ern 3/9.
Auf den anderen Belägen ist deine Aussage: "Roger mMn derjenige der Big3, der sein Potential am wenigsten ausgeschöpft hat bzw in GS Erfolge ummünzen konnte" sehr zutreffend. In der Theorie haben die beiden anderen keine Überwaffe, mit der sie den Schweizer auf schnelleren Belägen knacken können. Federer hingegen hat ein nahezu unerschöpfliches Potenzial an Möglichkeiten. Am höchsten sicherlich auf Rasen. Wenn bei dem Schweizer der Aufschlag passt und die VH warm lief ... in seinen Peak Jahren 2004 - 2007 konnte man sehen, wie chancenlos dann der Gegner war. Aber das waren halt Gegner eines anderen Kalibers als dann später Nadal und Djokovic. Trotz ihrer leichten Unterlegenheit haben die beiden Mittel und Wege gefunden, sich im Normalfall nicht überfahren zu lassen und Matches gegen Federer ausgeglichen zu gestalten. Das ist halt auch einfach eine Mentalitätsfrage. Respekt werden beide jede Menge haben, aber keine Angst. Selbst in jungen Jahren nicht. Bei so manchem Gegner Federers (z.B. Roddick) fehlte mir das manchmal. Durch die vielen, teilweise deutlichen Niederlagen hatte ich da schon das Gefühl, dass dann auch irgendwo der echte Glaube fehlte, Federer schlagen zu können.
Wie gesagt, rein spielerisch können Nadal und Djokovic Federer nicht das Wasser reichen. Aber durch ihren Kampfgeist, ihren Willen und die herausragende Physis (Djokovic wirkt selbst 2022 körperlich noch so beweglich wie vor 10 Jahren) habe sie es geschafft, Federer in enge Matches zu verwickeln. Und dort, das hat ja Federers Karriere auch gezeigt, ist der Schweizer nicht immer sattelfest. Gerade Djokovic ist mental ein absolutes Tier. Wenn mal nichts geht, spielt er den Ball halt 101 mal zurück, wenn der Gegner nur 100 mal schafft.
Federer konnte gegen ihn kein WIM Finale gewinnen. Klar, Federer war über seine Prime hinaus, Djokovic war gerade drin. Aber trotzdem, zumal Federer ja seine Chancen hatte in den Finals. Und bei Nadal war ja schon 2006, seinem 2. richtigen Jahr auf Rasen, zu erkennen, wie gut der plötzlich auf dem grünen Untergrund geworden war. Für Hartplatz gilt das Gleiche. Mit seinen Defensivqualitäten und seinem unbändigen Willen schaffte auch er es, Federers spielerische Überlegenheit abzuschwächen und die Matches eng zu gestalten. Und da gewann meist der Spanier. Z.B. 3 vs. 1 in Australien, wo Federer immerhin 6. mal den Titel gewinnen konnte. Vom Sofa aus ist das natürlich immer einfach gesagt, besonders wenn man bedenkt ,über was für Spieler wir hier sprechen. Aber zweifelsohne, Federer hat es hier nicht geschafft, seinen spielerischen Glanz effektiv umzumünzen. Viele seiner Fans lesen das vermutlich weniger gerne, aber sinnbildlich steht irgendwo das WIM Finale 2019 gegen Djokovic. Gefühlt war der Schweizer in allen 5 Sätzen der bessere Mann, trotz seines höheren Alters. Gewinnt er diesen Titel nach Siegen über Nadal und Djokovic, macht er noch mal einen ganz wichtigen Punkt in Sachen GS Rekord. Da hätte ich sogar locker gesagt: Eines GOATs würdig. Und im 5. Satz war der Titel ja zum Greifen nah bzw. absolute Pflicht, als er MB bei eigenem Aufschlag hatte. Es kam jedoch anders, weil Djokovic eben maschinenlike einfach weiterspielte und das Ding noch umbog. Spätestens da war mir klar, dass Federers wichtigster Rekord fallen wird. Wer so etwas nicht mitnimmt ...