Federer ist ein Mann mit großspurigen Tendenzen. Allerdings gelingt es ihm sehr gut sich zu disziplinieren und diese Verhaltensmuster anderen Prioritäten wie bspw. finanzieller Profitmaximierung und Gewinn von gesellschaftlichem Status, unterzuordnen. Ich denke auch nicht, dass dieser Hang zu Überheblichkeit und elitärem Denken bei Federer von endogenem Ursprung ist, sondern dass viel mehr äußere Faktoren und sein Umfeld ihn dementsprechend geprägt haben. Man müsste schon über einen außergewöhnlich gefestigten Charakter verfügen, um sich von dieser Übermacht an PR-Beratern, fanatischen (Schein)Anhängern, Ehefrauen, tendenziösem Journalismus und internationalen Investoren (Sponsoren) nicht seelisch deformieren zu lassen. Es ist allein beachtlich, dass Roger unter diesen Umständen und in dem enormen Spannungsfeld von äußeren und inneren Konflikten es geschafft hat, einigermaßen funktionsfähig zu bleiben und eine nachhaltige Bewusstseinskrise abwenden konnte. Aber natürlich hat es einen enormen Einfluss auf ihn und hieraus erklärt sich auch, dass er in der Vergangenheit nach großen Spielen oftmals in Tränen ausgebrochen ist oder im Spiel selber mental massiv versagte.
Der aktuelle Turnierverlauf ist in soweit interessant, als dass sich nun der von Federer konzipierte Masterplan, den er seit Monaten ausführt, Runde für Runde entfaltet. So ist es ihm gelungen die Konkurrenz und gar auch die eigenen Anhänger über Monate nachhaltig zu verwirren und im Ungewissen über seine tatsächlich Konstitution zu halten. Neutrale und langjährige Beobachter wie meine Wenigkeit hegten natürlich von Beginn an Zweifel und waren in der Lage bspw. die Absage der FO auf mehreren Ebenen zu deuten. Spätestens bei den deutschen Rasenturnieren wurden Federers Gaukeleien aber dann allzu offensichtlich, als dass man dort noch ernsthaft an einen tatsächlichen, körperlichen Verfallen glauben konnte. Es wirkte auf das aufmerksame Auge nahezu grotesk wie überzeichnet er dort vermeintliche Schwächen simulierte.
Nachdem er sich nun gänzlich offenbart hat und auch durch Djokovics Ausscheiden massiv-mentalen Rückenwind erhält, sehen wir wieder einen Roger der nahezu in Prime Form spielt und Titelanwärter ist. Obgleich ein vollwertiger Wimbledonsieg, angesichts Novaks selbstgewählten Rückzuges naturgemäß in diesem Jahr nicht mehr möglich ist.
Gleichzeitig haben Federers taktische Extravaganzen der letzten Monate als Nebeneffekt sehr anschaulich dargestellt, welch Mangel an Integrität in einer Vielzahl seiner Jünger vorhanden ist. So gab es in den letzten Monaten (auch hier) gar langjährige Anhänger, welche mit geradezu irritierender Inbrust den Abgesang auf ihren Messias schmetterten und sich nachdem die "MS Federer" auf einen vermeintlichen Wasserfall zufuhr panisch über die Railing stürzten um zu anderen, rettenden Flößen die vorzugsweise den Namen Thiem trugen, aufzubrechen. Nun ich habe diese Entwicklung schon vor Monaten seismographisch erspürt und hier vorgezeichnet, daher kann von einer Überraschung im eigentlich Sinne keine Rede sein. Dass Federers Repräsentanten tendenziell idealistisch im Worte und opportunistisch in der Tat sind, konnte man ganz besonders hier ja in den letzten Jahren beobachten, wo ehemalige Profiteure sich angesichts anhaltender Erfolglosigkeit in großer Anzahl zu einem regelrechten Forenexodus aufmachten. Die neuesten Entwicklungen sind dahingehend also zwar nicht bahnbrechend aber manifestieren in ihrer charakteristischen Funktion dieses Bild zusätzlich.
Ferner dürfte es interessant zu sehen sein, wie Federer selber als zentrale Figur in all diesen Verwerfungen auf die Erkenntnisse der letzten Monate reagiert. Das opportunistische Wesen seiner Gefolgschaft, welches sich hier voll ausgebildet offenbart hat, wurde von seiner Seite sicher genaustens registriert und kann wohl kaum spurlos an ihm vorbeigegangen sein in den letzten Monaten. Gerade bei einem, wenn auch nicht vollwertigen, Turniersieg wäre die Bühne bereitet um dieses Thema mit einer scharfen Reaktion öffentlich zu adressieren und die eigenen Reihen in den Fokus zu nehmen. Wenn Federer noch über einen Rest von charakterlicher Autonomie verfügt, wird er Stellung beziehen und auch möglicherweise seine Repräsentanten in diesem Forum nicht von seiner Kritik ausnehmen. Und dann wird es mit einem flüchtig hingeworfenen "GO Roger!" alleine nicht getan sein.