Fury und Wilder im 12-Runden-Check
Box-ChamÀleon gegen Licht-aus-Knipser
Tyson Fury vs. Deontay Wilder III - die Rivalen im Vergleich
Von Martin Armbruster
Tyson Fury hatte andere PlÀne. Eigentlich wollte der Schwergewichts-Champion im Sommer zum ultimativen "Battle of Britain" gegen Anthony Joshua antreten.
Saudi-Arabien hatte sich die groĂe Box-BĂŒhne per 150-Millionen-Dollar-Keule erkauft, Fury winkte ein einmaliger Zahltag. Es sollte nicht sein: Ein Schiedsgericht in den USA verdonnerte den EnglĂ€nder dazu, eine vertraglich vereinbarte Klausel fĂŒr einen dritten Kampf gegen Deontay Wilder einzuhalten.
Den Amerikaner hatte Fury Anfang 2020 in Las Vegas zwar derart eindeutig vermöbelt, dass eine Revanche wenig sinnhaft erscheint. Aber Vertrag ist nun einmal Vertrag und so kommt es am frĂŒhen Sonntagmorgen in der Glitzerstadt zum "Rubber Match" der Erzrivalen.
Bei aller EnttĂ€uschung ĂŒber den geplatzten Traumkampf der Briten. Fury vs. Wilder III elektrisiert die Boxwelt noch immer. Das liegt zum einen daran, dass sich die Kontrahenten mittlerweile hassen wie die Pest. Zum anderen gilt die Binse, wonach mit einem Schlag alles aus sein kann, fĂŒr K.o.-Knipser Wilder in ganz besonderem MaĂe. Von seiner Knockout-Power abgesehen, hĂ€ngen ĂŒber dem "Bronze Bomber" aber mehrere Fragezeichen: Hat sich Wilder mit seinem neuen Trainer Malik Scott boxerisch wirklich "neu erfunden", wie er behauptet? Kann er den Kampf um die Ringmitte gegen Meisterboxer Fury dieses Mal ausgeglichen gestalten? Oder wird er von Wuchtbrumme Fury erneut ĂŒberrollt?
Von der Physis ĂŒber die SchlaghĂ€rte bis hin zu den vielzitierten "NehmerqualitĂ€ten" â wir machen mit Fury und Wilder den 12-Runden-Check. Der Sieger eines Durchgangs bekommt 10, der Verlierer 9 Punkte. Sind keine Vorteile auszumachen, wird unentschieden gepunktet.
Runde 1: Physis
Fury (2,06 Meter) und Wilder (2,01 Meter) spielen in der Giganten-Liga des Schwergewichts. Und doch wirkten die Kontrahenten beim letzten Aufeinandertreffen im Februar 2020 wie zwei Boxer aus unterschiedlichen Gewichtsklassen. Wilder kletterte zwar mit seinem bisherigen Höchstgewicht von 104 Kilogramm ins Seilgeviert des MGM Grand. Gegen den 20 Kilo schwereren Fury wirkte er aber wie eine Bohnenstange, wurde vom "Gypsy King" regelrecht erdrĂŒckt.
Im Infight spielte Fury seinen Gewichtsvorteil gnadenlos aus, lehnte sich immer wieder auf Wilder. In Kombination mit harten Treffern fĂŒhrte diese Taktik dazu, dass der Amerikaner irgendwann tatsĂ€chlich, wie von Fury angekĂŒndigt, auf "Spaghetti-Beinen" durch den Ring torkelte. FĂŒr Teil 3 hat der WBC-Champion nochmal zugelegt. Sollten sich die Extra-Pfunde nicht nachteilig auf Furys Speed auswirken, geht die Eröffnungsrunde an den Titelverteidiger.
10:9 Fury
Runde 2: Erfahrung
Wenn in Vegas der Gong ertönt, werden die Kontrahenten seit fast eineinhalb Jahren nicht mehr im Ring gestanden haben. FĂŒr Wilder eine neue Erfahrung, der 35-JĂ€hrige hatte seit seinem ProfidebĂŒt Ende 2008 mindestens zwei KĂ€mpfe im Jahr bestritten. Fury kennt sich mit langen Pausen besser aus.
Nach seinem Sensationssieg ĂŒber Wladimir Klitschko 2015 war der Brite in ein tiefes Loch gefallen und fĂŒr zwei Jahre komplett von der BildflĂ€che verschwunden, ehe er ein phĂ€nomenales Comeback hinlegte. Möglich also, dass Fury weniger anfĂ€llig ist fĂŒr Ringrost und schneller seinen Rhythmus findet als Wilder.
Beide Boxer haben in etwa die gleiche Anzahl an guten wie weniger guten Gegnern hinter sich, fĂŒr Fury spricht, so komisch das klingen mag, dass er schon frĂŒh in seiner Karriere den Ringboden kennenlernte. Der 33-JĂ€hrige lernte, dass GröĂe nicht alles ist, agierte fortan defensiv versierter, cleverer, gerne auch im RĂŒckwĂ€rtsgang. Wilder mĂ€hte dagegen nahezu alles, was ihm vor die FĂ€uste kam, mit seiner knallharten Rechten um. Wie man auf dem "Backfoot" boxt, hat er praktisch nie gelernt. Ein Mangel, der sich bei seiner Pleite gegen Fury offenbarte.
10:9 Fury
Runde 3: SchlaghÀrte
Wilders Paradedisziplin. Der US-Boy kann jede Runde eines Gefechts verlieren (
wie 2019 gegen Luis Ortiz) â langt er aber einmal richtig hin, ist Feierabend. Wilders K.o.-Quote von 93 Prozent spricht fĂŒr sich, die rechte Faust des Bombers ist der ultimative Licht-aus-Schalter.
Fury (K.o.-Quote 67 Prozent) reklamiert seit seiner Zusammenarbeit mit Trainer Sugar Hill Steward (dem Neffen von Wladimir Klitschkos langjĂ€hrigem Chief Second Emanuel Steward) zwar ebenfalls groĂe Knockout-Kraft fĂŒr sich und wiederholt gebetsmĂŒhlenartig, Wilder dieses Mal "mit einem Schlag" ad acta zu legen. An die natĂŒrliche Power seines Rivalen kommt er aber bei weitem nicht ran.
10:9 Wilder
Runde 4: Defensive
Von den Pendelbewegungen Furys wurde nicht nur dem deutschen Schwergewichtler Tom Schwarz schwindlig.
Auch ein Box-GroĂmeister wie Wladimir Klitschko musste 2015 erfahren, wie schwer es ist, den "Gypsy King" klar zu treffen. Fury ist fĂŒr einen Mann seiner Ma(Ă)sse auĂergewöhnlich schnell und agil, sein Riesenkörper fĂŒr die Gegner so oft unerreichbar. Der Titelverteidiger weiĂ zudem, wie man im RĂŒckwĂ€rtsgang boxt.
Wilder agiert defensiv dagegen statisch, bietet oft ein stehendes Ziel. Meidbewegungen? Schnelles Auspendeln? Solide Doppeldeckung? Fehlanzeige. Im zweiten Kampf deckte Fury die Defensiv-SchwĂ€chen des K.o.-Knipsers schonungslos auf. In die Ecke gedrĂ€ngt, wirkte Wilder ratlos, war fĂŒr den schnellen Fury leichte Beute. Bei Offensivaktionen verliert Wilder auĂerdem oft die Balance, ist so anfĂ€llig fĂŒr Konter.
10:9 Fury
Runde 5: FĂŒhrhand
Was dem Dirigenten sein Stab, ist dem Boxer die FĂŒhrhand. Mit dem Jab geben die FaustkĂ€mpfer im Ring den Takt vor, kontrollieren die Distanz, bereiten ihre schweren Geschosse vor. Furys FĂŒhrhand kommt aus allen Lagen. Der Brite kann seine Linke in mehrfacher AusfĂŒhrung herausstechen, um den Gegner auf Distanz zu halten, aber auch als schmerzhaften Rammbock wie im letzten Fight gegen Wilder. Der wiederum schlĂ€gt ebenfalls eine harte Linke, allerdings kommt der Jab beim Amerikaner oft nicht konstant genug. Dabei ist die FĂŒhrhand fĂŒr Wilder essentiell, um den Gegner ins Fadenkreuz fĂŒr seine rechte Kanone zu schieben.
10:9 Fury
Runde 6: VariabilitÀt
Fury hat die gesamte Faust-Palette drauf, variiert gekonnt zwischen SchlĂ€gen zum Kopf und zum Körper, kann darĂŒber hinaus die Auslage wechseln und als LinkshĂ€nder agieren. Wilders Stil ist dagegen sehr eindimensional, besteht im Wesentlichen aus seinem Jab und der rechten Monster-Keller. "Variabel" wird Wilder eigentlich nur, wenn er einen Kontrahenten in Nöten hat (oder wĂ€hnt). Dann prĂŒgelt er mit allem was geht auf sein Opfer ein â oft im wahrsten Sinne nicht ganz sauber.
10:9 Fury
Runde 7: Beinarbeit
Wieder eine klare Runde fĂŒr Fury. Der Weltmeister bewegt sich auch mit 120+ Kilo auf den Rippen geradezu leichtfĂŒĂig. Seine starke Beinarbeit ermöglicht es ihm, die Distanz zu seinen meist kleineren Gegnern zu kontrollieren und diese aus verschiedenen Winkeln zu attackieren. Obwohl 15 bis 20 Kilo leichter, kann Wilder in puncto "Footwork" nicht ansatzweise mit Fury mithalten. Neben den schon angesprochenen Balance-Problemen bewegt sich der Amerikaner im Ring zu "gerade", ist fĂŒr ein Box-Mastermind wie Fury daher relativ leicht ausrechenbar.
10:9 Fury
Runde 8: Kondition
Fury stieg in seiner Karriere nicht immer bestens prĂ€pariert ins Seilgeviert. Bei den wichtigen KĂ€mpfen trumpfte der "Gypsy King" aber stets auf â auch ĂŒber zwölf Runden. Wilder war den GroĂteil seiner Karriere "Kurzarbeiter", ging erst zweimal die volle Distanz. Konditionelle SchwĂ€chen lieĂen sich beim Ex-Champion dennoch nicht ausmachen. Einigen seiner Gegner (Luis Ortiz, Johann Duhaupas, Eric Molina) machte Wilder sogar "hinten raus" den Garaus.
Unentschieden 10:10
Runde 9: Geschwindigkeit
Wieder eine ausgeglichene Runde. Fury hat schnelle Beine und FÀuste, Wilder vor allem eine sauschnelle Rechte. Diese kann (wie 2018 in Runde 12 gegen Fury oder im zweiten Duell mit Ortiz) völlig unvermittelt einschlagen und daher selbst Leute mit ausgewiesen harten Köpfen fÀllen.
Unentschieden 10:10
Runde 10: Athletik
Wilder ist ein Muster-Athlet, trĂ€gt nie auch nur ein Gramm Fett zu viel mit sich herum. Der frĂŒhere Basketball- und Footballspieler hat vielleicht nicht die Schwer-, dafĂŒr aber die Schnellkraft auf seiner Seite, kann explodieren, wie kaum ein Schwergewichtler sonst. Fury sieht mit seine "Gelee"-Körper zwar nicht unbedingt aus wie ein professioneller Athlet, betont aber zurecht, dass Boxen kein Bodybuilding-Contest sei. Alles in allem dennoch eine Runde fĂŒr den Herausforderer.
10:9 Wilder
Runde 11: Kinn
Nehmen ist im Boxen oft seliger als Geben, vor allem im Schwergewicht.
Rocky Marciano,
Muhammad Ali, Evander Holyfield â sie alle konnten sich auf ihre Beton-Birnen verlassen, als es hart auf hart kam. Das gilt auch fĂŒr Fury. Der "Gypsy King" ging in seiner Karriere zwar schon einige Male auf die Bretter â blieb dort aber nie. Wie Fury in der zwölften Runde des ersten Wilder-Fights nach einer verheerenden Rechts-Links-Kombination des "Bronze Bombers" von den Toten auferstand, hat bis heute keiner verstanden. Mehr noch: Fury bewies, dass er hĂ€rteste Treffer nicht nur verkraften, sondern auch postwendend zurĂŒckschlagen kann. Wilder andererseits hat sicher kein "Glaskinn", wackelte aber schon hĂ€ufiger bedenklich frĂŒh, wenn er richtig erwischt wurde.
10:9 Fury
Runde 12: Ring-Dominanz
Wer beherrscht die Ringmitte? Wer trifft, ohne getroffen zu werden? Wer gibt das Tempo vor und kontrolliert die Distanz? Kurzum: Wer hat, was die Amerikaner "Ring Generalship" nennen? Bei Fury vs. Wilder lautete die Antwort in nahezu jeder der bisherigen 19 Runden: Fury. Der "Gypsy King" ist ein boxerisches ChamĂ€leon. Auf seinen flinken Stelzen kann er aus der Distanz mit schnellen HĂ€nden punkten (wie gegen Klitschko oder im ersten Wilder-Kampf). Er kann im Infight "brawlen", wenn es sein muss (wie im zweiten Duell mit Wilder oder gegen Otto Wallin). Und er kann selbst den Kampf machen, pressen, nach vorne marschieren, den Gegner mit seinen 270 Pfund erdrĂŒcken (wie im Februar 2020 gegen Wilder). Wilder dagegen kann hauen. Das kann er richtig, arg viel mehr aber nicht.
10:9 Fury
Fazit
118:112 weist unser 12-Runden-TĂV fĂŒr Fury aus. Auf dem Papier eine klare Sache. Ob aber ein Punkzettel in Las Vegas ĂŒberhaupt nötig sein wird, nun, das steht auf einem anderen Blatt. Klar ist: Wilder muss sein Heil in der Offensive suchen und Fury in den ersten Runden, wenn ein Boxer am anfĂ€lligsten fĂŒr den K.o. ist, mit seiner Rechten fĂ€llen. Die nötige Schlagkraft hat der "Bronze Bomber, daran besteht kein Zweifel.
Bleibt der goldene Volltreffer allerdings aus, spricht viel dafĂŒr, dass Wilder von Fury erneut auf die MĂŒtze bekommt.
Guter Bericht von RTL