Gong zu Rockys letzter Runde
Der Kabarettist und Box-Experte Werner Schneyder schreibt in der WELT am Sonntag, was er von Graciano Rocchigiani und Thomas Ulrich erwartet
Noch einmal Millionen kassieren. "Rocky" steht wohl vor seinem letzten Kampf
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Für Box-Romantiker hat Graciano Rocchigiani das meiste Charisma. Er hat große Kämpfe gewonnen, einen wichtigen Kampf schmerzlich knapp und unakzeptiert verloren, er ist in einem Fall plump betrogen worden, er war manchmal gut vorbereitet, manchmal nicht, aber er war immer sein Geld wert. Er ist ein einsamer Wolf, er gehört zu einer kleinen Clique, aber keinem "Stall" an, er wird von keinem Star-Trainer betreut, er hatte nie ein "taktisches Konzept" außer dem Willen, geradeaus zu boxen, er hat sich zu Alkohol- und anderen Exzessen hinreißen lassen, er kommt aus dem Knast, er ist für sein Geschäft ein "alter Mann", aber er braucht Geld. Er hat keines.
Keiner kann wissen, ob dieser Mann eine Idee hat, sich mit den letzten Geldern, an die er als Boxer herankommt, eine Existenz zu sichern. Keiner weiß, wie seriös "Rocky" oder "Grace" sich vorbereitet, ob er über einen genügenden Zeitraum noch einmal die Qual des Trainings auf sich genommen hat, ob er sich vor seinem jungen Gegner hinreichend fürchtet, oder ob er unbedenklich in den Kampf geht ("Ick wees, wie's jeht").
Eines wissen alle: Sollte er untergehen, wird es kein Aussteigen geben, kein Simulieren mit Blick auf die Auszahlung. Graciano Rocchigiani wird an die Grenzen gehen. Die Frage ist, ob er noch genau einschätzen kann, wo sie sind.
Aber wie es auch sein wird, (fast) alle zittern für ihn, wollen ihn noch einmal mit hochgerissenen Armen in Siegerpose sehen. Warum das so ist, kann man einem Außenstehenden nicht erklären. Und einem, der was vom Boxen weiß, muss man es nicht erklären.
Rockys Gegner, Thomas Ulrich, ist ein Paradeathlet, smart, in der Lage sich auszudrücken, hat eine ordentliche Grundschule, Schlagkraft und war bis zur ersten katastrophalen Niederlage sorgsam aufgebaut. Doch diese eine Niederlage offenbarte allen, was Kenner schon vorher wussten: Ulrich beherrscht keine MeidBewegungen, nimmt zu viel von dem, was kommt, hat in Bedrängnis schlechte Reflexe. Er hat auch schon mehrfach aus "gesundheitlichen Gründen" Kämpfe abgesagt.
Durchaus denkbar, dass diese Symptome nervliche Ursachen hatten. So wäre auch der im Fernsehen zweimal wiederholte Satz des Trainers zu erklären, der - zum Kampf befragt - sagte: " falls er stattfindet".
Wir gehen davon aus, dass er stattfindet. Er hat eine dramaturgische Grundsituation, wie sie nur der oft extrem schicksalhafte Boxsport (besser: das Boxen) vermittelt: Verliert Thomas Ulrich, kann er den alten Mann nicht schlagen, ist es mit einer so genannten, oft leichtfertig als solche bezeichneten "großen Hoffnung" vorbei, dann ist seine Karriere beendet. Verliert Graciano Rocchigiani gegen den jungen Gegner, ist es ebenfalls vorbei. Für immer. Wahrscheinlich aber auch, wenn er gewinnt.
Werner Schneyder, 66, dem Publikum als Buchautor, Kabarettist und Sportkommentator gut bekannt, spielt zurzeit in Berlin an der "Komödie am Kurfürstendamm" mit großem Erfolg die Hauptrolle in "Galanacht".
Artikel erschienen am 4. Mai 2003
Ps. Besonders diesen Absatz lege ich einigen EXPERTEN ans Herz
Aber wie es auch sein wird, (fast) alle zittern für ihn, wollen ihn noch einmal mit hochgerissenen Armen in Siegerpose sehen. Warum das so ist, kann man einem Außenstehenden nicht erklären. Und einem, der was vom Boxen weiß, muss man es nicht erklären.
ROCKY :cool: