Letztes Jahr hat Cilic auch aus neutralen Rallys heraus sehr gut gegen Federer ausgesehen. Ich fand, dass er da sogar der etwas bessere Spieler war. Er hat wesentlich mehr drauf als nur hart zu schlagen. In längeren Ballwechseln ist er viel gefährlicher als Raonic oder Berdych und ist nicht gezwungen sofort auf den Winner zu gehen oder ans Netz zu kommen. Letztes Jahr hatte Cilic drei Matchbälle und bei den US Open hat er Federer auch schon mal in drei nach Hause geschickt. Das wird alles andere als ein Selbstläufer und ich halte Cilic für keinen besonders dankbaren Gegner in diesem Wimbledon-Finale. Es ist nicht so, dass er eine völlig offensichtliche Schwäche hat, die Federer pausenlos angreifen könnte, oder im letzten halben Jahr dreimal in Folge gegen Federer verloren hätte. Cilic hat dieses Jahr drei Rasen-Turniere gespielt und hat immer mindestens das Halbfinale erreicht. Selbstbewusstsein sollte also auch da sein. Wenn man mal die "grossen drei" wegnimmt, dann war Cilic doch der Spieler, mit der so ziemlich meisten Upside, was ein Matchup gegen Federer in diesem Wimbledon-Turniert angeht. Der Aufschlag ist so gut, dass er sehr schwer zu breaken ist und von der Grundlinie kann er Federer auch ohne Panik-Mode wehtun.
Den Vorteil sehe für für Federer vor allem im mentalen Bereich. Wenn er den ersten Satz gewinnt, könnte es sein, dass Cilic die Embryonalhalotung einnimmt und sich einfach freut, immerhin das Endspiel erreicht zu haben. Sowas sieht man von Aussenseitern ja sehr häufig in GS-Finals.
Wenn Cilic aber seinen Aufschlag lange halten kann und irgendwie den ersten Satz gewinnt (Tie-Break?), dann wird er sich daran erinnern, dass er letztes Jahr schon kurz vor dem grossen Wurf stand und umso entschlossener weiter fighten, damit es dieses Mal anders ausgeht.