Also Stewards coaching fand ich sehr professionell. Er war der komplette Ruhepol auch wenns brenzlig war. Absolut richtig. Es bringt nix, wenn er den Hampelmann macht und bsp. den Ringrichter auf Peters ständige Nackenschläge aufmerksam macht. Dadurch würde sich Klitschko wohl nur zu leicht ablenken lassen.
Hab mir mittlerweile den Kampf sicher 5x reingezogen und analysiert. Alles in allem war es ein guter Kampf von Klitschko, aber noch kein überragender Kampf. Dafür gab es schlichtweg noch Situationen, die klar vermeidbar gewesen wären. So war die Entstehungsgeschichte des Knock Downs in der 10. insoweit vermeidbar, dass Klitschko seine bis dahin gut funktionierende Klammertaktik aufgibt und sich unnötigerweise in der Ecke stellen lässt. Zugegeben war der Konter von Peter nach 2:23 (rechte über den Jab rüber) absolut top, aber dann war wieder Panik bei Klitschko angesagt. Klammertaktik ade und unkoordinierter Rückwärtsgang.....Da hatte er schlichtweg Angst sich Peter entgegen zuwerfen und zu klammern was das Zeug hält. Das war nicht besonders klug und hätte ihn am Ende den verdienten Sieg gekostet.
Die Aktionen in der 5.Runde werden bei mehrmaligem anschauen von mal zu mal ungefährlicher. Beim ersten Ansehen bei der Live-Übertragung dachte ich Klitschko wäre am Ende und zumindest der erste KnockDown wäre klare Schlagwirkung gewesen. Wenn man aber genau hinsieht, dann war selbst dieser KnockDown schon ein bißchen fragwürdig. Zwar geht der Sache nen klarer Fehler von Klitschko voraus (er klammert nur halbherzig, lässt sich von Peter wegschubsen und der zieht im selben Moment einen exzellenten linken Haken raus; klasse Aktion von Peter), aber runter geht Klitschko erst zwei Sekunden danach durch so ne unübersichtliche Zieh/Schubs/Schlag auf den Hinterkopf-Geschichte die für den Ringrichter auch noch verdeckt war. Dass der in so einer Situation anzählt ist nachvollziehbar, aber wohl nicht zwingend notwendig. Manche Ringrichter zählen und manche, die besser stehen als der schwache Neumann, zählen nicht.
Dennoch war dieser "Niederschlag" meiner Meinung schon in der Entstehung vermeidbar, da Klitschko das erste mal im Kampf nur halbherzig geclinched hat (0:31 in der 5.) und sich unnötigerweise wegschubsen lässt. Das war inkonsequent und hätte böser ins Auge gehen können als es im Endeffekt dann war. Angeschlagen war Klitschko in dieser Runde überraschenderweise jedoch nicht sonderlich. Der zweite "Niederschlag" war kompletter Quark und hätte nicht gezählt werden dürfen. Aber der Ringrichter war mal echt schwach.
In der zweiten Hälfte der 5.Runde war Klitschko dann ganz klug wieder dabei. Da hat er mal echt gezeigt, dass ihm Steward beigebracht hat, was Lennox Lewis perfekt beherrschte. Dieses auf den Gegner drauflehnen/drauffallen lassen, was diesen ungeheuer Kraft kostet und seinen Rhythmus total demoliert. Da kann der Ringrichter auch nicht viel machen, weil man dem Sichdrauflehnenden nicht unbedingt Absicht unterstellen kann (George Foreman nennt das in der HBO-Übertragung "smart holding"). Wenn Peter ab der 6. Runde konditionell abbaute, dann deswegen, weil er in der 5. Klitschko so oft wegschubsen musste und ungeuer Kraft aufwenden musste, um Klitschko zu tragen, der sich mehrmals Peter einfach auf den Rücken legte (110 kg sind ne Waschmaschine für ein paar Sekunden aufm Rücken). Da hat Klitschko unheimlich dazugelernt. Und ich wage zu behaupten, dass dies mit der Schlüssel zum Sieg war. Peter war danach konditionell im Eimer und außer der Aktionen in der 10. gelang ihm nicht mehr viel. Klitschko dagegen fand relativ mühelos wieder in den Kampf zurück und hätte er sich in der Zehnten nicht diese Konzentrationsschwäche geleistet, dann wär das nen ziemlich langweiles unspektakuläres nach Hause bringen geworden.
Zu den Volltreffern, die Peter landete (besonders die in der 3. und 12.), die hat Klitschko erstaunlich gut weggesteckt. Sogar nen kleines Grinsen übers Gesicht, was ausdrückt, dass er sich trotzdem wohl gefühlt hat.
Irgendwie werd ich aus Klitschkos "Nehmerfähigkeiten" nicht ganz schlau. Man kann nicht sagen er hat ein Glaskinn, (das ist pauschalisierendes Dummschwätzertum hauptsächlich aus der amerikanischen Journaille), aber irgendwie verhält er sich dennoch komisch, wenn er im Konter (sprich vollkommen unvorhergesehen) getroffen wird. Da fehlt ihm noch die Coolness mit der Situation umzugehen. Da sieht er aus wie ne Windmühle oder wie Naseem Hamed, sorry Knocksta
. Da kommt dann Panik und die Angst nochmal getroffen zu werden und Vogel-Strauss-Taktik, d.h. "ich geh lieber aufn Boden, weil da trifft er mich dann nicht mehr". Wird er getroffen, aber er sieht den Schlag kommen, dann schluckt er das ziemlich gut weg. Ich würde sein Kinn daher als noch knapp durchschnittlich bezeichnen. Er ist kein Maskaev oder Etienne, die es vollkommen verbläst, wenn sie auch nur gestriffen werden. Sein Kinn ist zumindest gut genug, um gegen einen Hauer wie Peter zu bestehen und das können nur Wenige.
Als Fazit kann man sagen, dass Klitschko definitiv auf dem richtigen Weg ist. Steward will aus ihm stilistisch nen zweiten Lennox machen und das ist in meinen Augen richtig. Der hatte ähnliche Voraussetzungen als er bei Steward anfing. Mentale Probleme, da gegen McCall schwer KO gegangen und ebenso wie Klitschko die Neigung nach Treffern dann uncool zu werden. Andererseits jedoch aber auch eine super Beweglichkeit und offensive Weltklasse, die man nur richtig Einsetzen musste. Lewis´ Sam Peter-Erlebnis war der Kampf gegen Ray Mercer. Danach war die Steward-Taktik voll drin und Lewis ein ausgebuffter taktisch hochintelligent boxender Puncher. Zwar nicht unbedingt schön für die Zuschauer, aber das war ihm egal, genauso wie es Klitschko jetzt sozusagen egal werden musste, was die Öffentlichkeit zu seinem neuen Stil sagt (die Niederlagen gegen Sanders und Brewster führ ich auch mitunter darauf zurück, dass klitschko der Öffentlichkeit was beweisen wollte und seine Konzentration und Linie verlor).
Genauso arbeitet Klitschko jetzt daran taktisch klug zu boxen, Infights gegen Slugger zu vermeiden und es ist ihm gegen Peter bereits zu 95% gelungen. (100% geht wohl nicht, da Peter einfach stark ist und man ihn nicht vollkommen ausschalten kann).
Das war insgesamt schon sehr intelligentes Boxen. Der Ami nennt sowas Ring Generalship, und das hatte Klitschko unter Sdunek fast gar nicht drauf. Damals durfte Wladi handverlesene Leichtpuncher und Offensivschwache(Schulz, Byrd, Barrett,Bostice, Botha) umblasen und da brauchte man sowas nicht. Jetzt aber kommen die echten Kaliber und da sollte man sich dann nicht nur auf seine Offensivwaffen verlassen.
Ich wage die Prognose, wenn Klitschko diese Taktik wie Lewis perfektioniert und er nächstes Jahr gegen Brewster antreten und mit dieser Taktik gewinnen sollte, dann besteht die große Möglichkeit, dass aus ihm doch noch ein Großer wird.....
Damit hätte er zumindest das Rüstzeug, um einigermaßen durchs Feuer zu gehen. Man stelle sich mal vor Klitschko hätte nach dem McCline-Kampf Lennox Lewis geboxt. Oha das wäre trotz Trainig und mentaler Stärke ganz,ganz böse für ihn ausgegangen (Lewis-Grant 2). Jetzt aber wären zumindest Chancen da, da Klitschko seine Schwächen mittlerweile erkannt hat und gegen sie arbeitet.
PS: Nach mehrmaligem anschauen würde ich den Kampf 116-110 (Live-Scoring noch 114-111) werten. Die 3. Runde kann man eigentlich nicht Peter nur wegen dem einen Powerpunch geben. Der machte Eindruck, weil er so kurz vor Rundenende kam, aber die Runde insgesamt war nicht Peters Runde. Auch die 5. durfte man eigentlich nur 10-8 geben, da eben der zweite Niederschlag kompletter Unsinn war. Aber ist ja wurst.