Schmetterling und Taucherglocke (2007)
Die Kamera offenbart einen merkwüdig weitwinkligen, dennoch eingeschränkten Blick. Die Umrisse leicht verschwommen, die Farben abwechselnd scharf und unscharf. Dazu immer wieder ein schwarzes Bild, nicht länger als der Bruchteil einer Sekunde. Verschiedene Menschen treten vor einem auf, schauen direkt in die Kamera, nur die Hälfte von dem was sie sagen kann verstanden werden. Dies alles begleitet von einer Stimme aus dem Off, die zunächst versucht mit den Menschen zu kommunzieren, dann aber schnell feststellen muss, dass niemand sie hören kann.
Ein Geniestreich von "Schmetterling und Taucherglocke" die kompletten ersten 15 Minuten (und große Teile des weiteren Films) aus der Sicht des ans Bett gefesselten Jean-Dominique Bauby zu erzählen, mehr Anfangsintensität ist kaum möglich. Man erfährt durch Ärzte von der recht aussichtslosen Lage. Durch einen Hirnschlag wurde der gesamte Körper des ehemaligen Elle-Chefredakteurs gelähmt, Sprache und Tastsinn sind ausgeschaltet. Einzig die Augen und das Hören funktionieren noch. Allerdings muss bald ein Auge, ebenfalls in der Ego-Perspektive dargestellt, zugenäht werden. Man sieht Nadel und Faden, das schwindende Licht - fesselnde Sekunden, die durch den immer verzweifelter werdenen, aber natürlich stummen Off Kommentar ewig vorkommen.
Bauby leidet also am "Locked-In-Syndrom" und außer einem Auge und seinem Lid ist keine Kommunikation mit der Außenwelt möglich. Er lernt dann über ein spezielles Alphabet und nur mit der Möglichkeit zu blinzeln Wörter zu bilden und formt den ersten Satz nach dem Aufwachen aus dem Koma: "Ich will sterben."
Vorlage für den Film war das Buch des realen John-Do, geschrieben innerhalb von einem Jahr, bzw. sollte man wohl eher diktiert sagen. Nach dem Leid und dem Terror als Gefangener im eigenen Körper existieren zu müssen erfährt der Zuschauer nämlich vom Entschluß: "Ich entschied, mich nicht mehr zu bemitleiden. Außer meinem Auge sind zwei weitere Dinge nicht gelähmt: Meine Phantasie und mein Gedächtnis". Eben diese Phantasie wird im weiteren Verlauf brilliant visualisiert, Schnit und Kamera greifen wunderbar ineinander und zeichnen nach und nach ein tief emotionales Bild, dem es sogar gelingt Lebensfreude auszustrahlen. Naheliegende Fehler werden vermieden, der Film verliert sich nie in dem Pathos des "Kranken, der endlich die Chance hat seinen Geist zu nutzen". Die Katastrophe ist allgegenwärtig, erträglich nur durch den durchschimmernden zynischen Humor des Protagonisten und seine in Maßen wiederentdeckte Lebensfreude, Bauby ist nämlich in vielen Momenten erfrischend egoistisch und sozusagen selbst offen für die "neue Welt."
Julian Schnabel ist ein außerordentlich starkes emotionales Portrait gelungen, es stellt die Arbeit an dem Buch und die erkämpfte Interaktion mit der Außenwelt in den Mittelpunkt und ist durchgehend spannend. Ein beklemmendes Meisterwerk mit z.T. atemberaubender visueller Darstellung.
9/10