Aus sportlicher Perspektive ein guter Tag für den deutschen Fußball. Özil war wohl
der Liebling von Jogi schlechthin. Gut, dass er jetzt nicht mehr mit ihm durch Dick und Dünn gehen kann. Ich war ein großer Fan des jungen Özils, aber nach dem x-ten Abtauchen in einem wichtigen Spiel war es dann auch irgendwann mal genug. Ich würde von mir behaupten, Realist zu sein und nicht in jedem Big Game eine Topleistung zu erwarten - das haben selbst die GoaTs nicht geschafft. Big Games werden auch deshalb so genannt, weil da auch in der Regel 11 starke Gegner auf dem Platz stehen. Aber quasi nie in den wichtigen Spielen dominant aufzutreten ist dann, bei allem Talent, das Özil ja hat, schon auch wieder eine Kunst. Egal ob Jogi jetzt auf 4-3-3, 4-1-4-1 oder 4-4-2 umstellt - oder schlichtweg einen anderen Spieler auf der 10 einsetzt -, ich bin mir sicher, dass das der NM gut tun wird.
Ich würde anregen, dass die Mods den alten Gündogan - Özil - Erdogate Thread wieder öffnen und die Posts dahin verschieben, weil hier auf den letzten 5 Seiten quasi gar kein sportlicher Bezug mehr da ist. In dem Fall würde ich den ersten Teil dieses Posts dann editieren und in den Euro 2020 Thread posten, während der folgende Teil im anderen Thread gut aufgehoben ist.
Ich kann Özil dahingehend gut verstehen, dass er sich von Grindel (und sicher auch Bierhoff, auch wenn er auf den nicht so offensichtlich draufhaut) massiv im Stich gelassen fühlen muss. Ihn zum Sündenbock zu machen war absoluter Blödsinn und verdammt niedriges Niveau. Sportlich gibt es mMn sehr gute Argumente gegen Özil, aber wenn bei einer WM alle Spieler versagt haben kann ich mir nicht einfach einen rauspicken, vor allem als DFB Präsident. Und ja, Erdogate war Thema in der Mannschaft, das wissen wir mittlerweile auch von hoffentlich nicht dem Rassismus Verdacht ausgesetzten Akteuren wie Khedira und Hummels. Trotzdem ist es ein absolutes No Go, darin die Fehleranalyse zu suchen. Wer nicht völlig blind ist hat gesehen, dass da weitere Faktoren mitreingespielt haben, die mit Erdogate definitiv nichts zu tun haben.
Und ja, es gibt in Deutschland immer mehr offen rassistisch auftretende Menschen. Dafür hat der Erfolg der AfD gesorgt. Dass Özil für die nicht spielen will kann man ihm beim besten Willen nicht verdenken. Nur ist bei solchen Spinnern, die "Verp*ss dich, du Sche*ß Türke" sagen (oder denken), sowieso Hopfen und Malz verloren. Die darf man gerne angreifen, vorführen, ausschließen - da ist alles ohne Gewalt erlaubt, weil diese Menschen verbal auch keine Grenzen kennen. Aber eine Verallgemeinerung auf "die deutsche Gesellschaft" ist schon... naja. Klar, dass da manchem Anti-Deutschen das Herz aufgeht, aber das macht es ja nicht richtiger.
Wir haben im Non-Sports häufiger unsere Differenzen, aber Chapeau an
@MadFerIt , dass du, der hoffentlich dem Rassismus unverdächtig bist, hier auch Klartext redest, wie inakzeptabel Özils Verhalten war. In der Selbstreflexion scheint Özil in etwa so talentiert zu sein wie in wichtigen Spielen.
Wir werden leider so schnell nicht erfahren, wie die Öffentlichkeit reagiert hätte, wenn Podolski oder Klose mit Kaczynski posiert hätte. Meine Theorie ist: das hätte einen massiven Shitstorm gegeben. Vielleicht reduziert, weil Polen EU Mitglied ist, aber es hätten sich mMn genug gefunden, die da Klartext gesprochen hätten. Gleichzeitig glaube ich auch, dass der Effekt 2005, als Erdogan noch wie ein demokratischer Reformer aufgetreten ist, ebenfalls ganz anders gewesen wäre als er im Jahr 2018 war. Die Person Erdogan spielt mMn bei vielen Personen in der Mitte der Gesellschaft eine sehr relevante Rolle.
Gleichzeitig darf man natürlich nicht ignorieren, dass Türken in Deutschland die mit Abstand größte Migratengruppe bilden. Das ist definitiv ein Faktor bei der "Deutschtürken" Diskussion. Bei vielen Türken gibt es einen relevanten Bezug zu ihrer Heimat oder der Heimat ihrer Eltern/Großeltern, zumindest in der kulturellen Identität (die sie sich selbst geben). Das beißt sich dann automatisch mit der kulturellen Identität der deutschen Gesellschaft. Das schwierige Verhältnis der Deutschen zu ihrer Vergangenheit und der Mangel an einer positiv besetzten nationalen Identitätsdefinition, wie wir ihn bspw. in Frankreich sehen können, erschwert dann zusätzlich noch das Miteinander.
Ich hoffe, dass wir da irgendwann mal einen vernünftigen Dialog miteinander führen. Denn natürlich muss es in Ordnung sein, sich als Türke zu fühlen und hier zu leben, solange man sich an die gesellschaftlichen und sozialen Regeln hält. Genauso muss es für türkischstämmige Migraten OK sein, sich offen als (nur-) Deutsche zu fühlen, wenn das ihr Empfinden ist - da ist dann die türkischstämmige Community in der Pflicht, das zu akzeptieren.
Bei der Nationalmannschaft, noch dazu im Fußball, dem Kind der Deutschen, spitzt sich das alles eben zu. Denn da sollte man, in einer idealen Welt, natürlich für die Nation spielen, der man sich eher zugeneigt fühlt - und wenn es 51:49 ist. Damit einher geht dann auch die Verpflichtung als öffentliche Person, sich entsprechend zu verhalten. Es gibt glaube ich nur wenige, die einem Spieler, der sich für die Türkei entscheidet, Vorwürfe machen. Bei einem sehr guten Spieler wünscht man sich als Deutscher sicher, dass er für Deutschland spielt, aber wenn er sich als Türke sieht und für die türkische Nationalmannschaft spielen will ist das natürlich sein gutes Recht und auch gut so. Ironischerweise würde das wahrscheinlich sogar die AfD akzeptieren. Aber als deutscher Nationalspieler hat man dann eben auch, öffentlich zumindest, Verpflichtungen - und ich finde das legitim, angesichts der Privilegien, die damit einhergehen. Es dürfen zwei Herzen in der Brust schlagen, aber wenn man sich als Nationalspieler öffentlich äußert sollte es auch klar sein, dass die deutsche Identität zuerst kommt. Wenn das nicht so ist steht es ja jedem frei, sich für die Nation zu entscheiden, die zuerst kommt.
Vom Fußball losgelöst befinden sich letztlich die Nicht-türkischstämmigen und die türkischstämmigen Bürger jeweils in einer reziproken Bringschuld. Auf der einen Seite müssen wir an einen Punkt kommen, in dem es kein Makel mehr ist, Mehmet oder Ahmed zu heißen. Die Diskussionen darüber tun vielleicht weh, aber den Anspruch müssen wir an uns selbst schon haben. Aber auf der anderen Seite gibt es dann mMn auch die Bringschuld der türkischstämmigen Bevölkerung, sich nicht in einer Opferrolle zu sehen. Denn das nützt letztlich beiden Seiten nichts. Das Problem ist nur, dass die Opferrolle psychologisch so schön einfach ist und deswegen auch so gerne als Motiv gewählt wird (von allen Menschen). Und, da schließe ich dann den Bogen zu Özil: das hat schon was von Opferrolle, wie er sich da präsentiert.