Warum tun sich manche so schwer und wollen nicht einfach anerkennen, dass im Boxen trotz Dinge wie Hype, Outmatching, Vermarktung usw. im Ring letztendlich ein sportlicher Wettkampf stattfindet?
Was ist ein sportlicher Wettkampf? Zwei Boxer treten gegeneinander an, das ist immer ein sportlicher Wettkampf? Dann war Halmich gegen Raab auch ein sportlicher Wettkampf.
Für mich nicht. Es kommt entscheidend auf die Stärke/Fähigkeiten der Gegner und auf den Zweck der Ansetzung an. Aufbaukämpfe, echte Ranglistenkämpfe und WM-Kämpfe (oder qualitativ gleichgestellte Kämpfe) sind unterschiedlich zu bewerten. Bei einem WM-Kampf sollen die besten Boxer einer Gewichtsklasse oder zumindest des Verbandes in der entsprechenden Gewichtsklasse gegeneinander antreten. Es lässt sich nicht vermeiden, dass ein Pflichtherausforderer sich zwar das Recht auf einen Titelkampf erboxt hat, trotzdem das Leistungsniveau des Titelträgers nicht einmal annähernd erreichen kann. So etwas ist nicht wünschenswert, aber legitim.
Sucht sich ein Titelträger oder seine Interessenvertreter einen freiwilligen Herausforderer aus, so sollte dieser schon über grundsätzlich erkennbare Qualitäten verfügen, der den Kampf nicht zum Mismatch werden lassen.
Darum geht es hier aber gar nicht. Joshua brauchte einen Ersatzgegner. Hearn hat ihn unter mehreren Kandidaten in Ruiz Jr. gefunden. Ruiz Jr. gehört zur Gruppe der potenziellen Herausforderer - soweit Ok und normal.
Wer Ruiz Jr. und Joshua bis jetzt boxen gesehen hat, kann zumindest erahnen, wie der Kampf abläuft: Ein boxerisch gar nicht schlechter Herausforderer wird bis zum weitreichenden konditionellen Abbau den Titelträger nicht allzu gut aussehen lassen und dann erwartungsgemäß eingehen. Du kannst mir nicht ernsthaft erzählen, dass für diese Ansetzung dies gilt:
Ich bin aber auch nicht in der Lage schon vorher 100% zu wissen, wie der Kampf verläuft oder wie wer den Kampf gewinnen wird. Klar, eine gewisse Tendenz kann ich auch ausmachen, aber ich erkenne in jedem Kampf eben an, dass es Dinge gibt, die man nicht einschätzen kann. Das ist ja letztendlich der Sportwettkampf, für den man bezahlt. Bei einem Muskelprotz kann man ja auch nicht wissen, ob der beim Sparring alles gegeben oder lieber nur Gewichte gestemmt hat.
Für diesen Kampf gibt es eine klare Tendenz, die sich leicht begründen lässt:
- der körperlich deutlich unterlegene Boxer hat nicht den Punch, um den größeren Boxer mit großer Wahrscheinlichkeit die Lichter auszuknipsen.
- der körperlich deutlich unterlegene Boxer hat zwar die Technik, vielleicht auch die Taktik, um den größeren, technisch ausbaufähigen Boxer auszuboxen - er hat aber nicht die Kondition, dies über viele Runden zu tun.
- das er die Kondition nicht hat, liegt darin begründet, dass sein körperlicher Zustand für eine grundsätzliche Siegfähigkeit unterirdisch ist.
- der körperlich deutlich unterlegene Boxer hat zwar einen Stil, vielleicht auch die Taktik, um den größeren, technisch ausbaufähigen Boxer auszuboxen und Treffer des besseren Knockouters zu vermeiden - er hat aber nicht die Kondition, dies über viele Runden zu tun.
- das er die Kondition nicht hat, liegt darin begründet, dass sein körperlicher Zustand für ein schnelles bewegliches Boxen über 12 Runden unterirdisch ist.
Egal, wie der Gegner aussieht oder wie er zum Kampf gekommen ist etc. Die besten der besten lassen sich nicht im Vorfeld auf dem Papier oder durch Ranglisten oder Kampfanalysen ermitteln und alle Meisterboxer haben zig Kämpfe und Jahre Erfahrung als Boxer. Sieht man ja vergleichsweise bei den Amateuren. Da ändern sich die Champions auch regelmässig und es ist eher die Regel, dass selbst Spitzenboxer schon mehrere Niederlagen kassiert haben oder über Underdogs stolpern. Oder anders: hat der zahlende Zuschauer z.B. bei WK gegen Sanders eigentlich bekommen, was er wollte oder verdient hat?
Ja, der sportlich interessierte Zuschauer und nicht der Klitschko-Boxerfan hat bekommen, was er wollte oder verdient hat, weil Sanders im Gegensatz zu Ruiz Jr.
- ein außergewöhnlicher One-Punch-Knockouter und Potshoter war.
- sein Stil, seine Taktik und seine Technik genau auf die Punkte unter 1. ausgerichtet war.
- das Team WK den Kampf gegen Sanders deutlich weniger professionell angegangen ist, als es das Team Joshua derzeit gegen Ruiz Jr. tut.
Nicht wenige Betrachter haben vor dem Kampf bereits vor den Qualitäten von Sanders gewarnt und im Team WK glaubten einige Mitglieder sogar, man habe es mit Corey statt Corrie zu tun.
Auch Sanders lief genauso wie Ruiz Jr. in ein massives Konditionsproblem, wenn er den entscheidenden Treffer nicht landen konnte (z. B. gegen Rahman und Vitali Klitschko) und es ist kein Geheimnis, dass viele Boxexperten ihm eine deutlich erfolgreichere Karriere zugetraut hätten, wenn er seine Karriere mit mehr Professionalität betrieben hätte. Das ist eine Parallele zu Ruiz Jr.
Der Kern meiner Kritik richtet sich nicht gegen die Ansetzung - die ist durchaus legitim.
Der Kern der Kritik richtet sich gegen Ruiz Jr., der auf einem Niveau, wo es auf jeden Nachkomma-Prozentanteil Leistungsfähigkeit ankommt, sich große körperliche Nachlässigkeiten erlaubt, die erwartbar erfolgsverhindernd sind.
Kurzum: Wenn ich nicht bereit bin, alles für den Titelgewinn zu tun, was in meiner Hand liegt - vor allen Dingen wenn ich selber sage, dass ich alles für den Titelgewinn tun will und wie viel mir der Titelgewinn bedeutet - was ist das für ein Selbstverständnis? Kommen, um am Ende den Paycheck einzusacken und gut ist es? Dann ist der Titelkampf eine Farce.
Das ist der Punkt.