In sechs Wochen ist es wieder so weit - die K.O.-Runde der Champions League steht (endlich) wieder an. Die spannendste Partie für uns deutsche Fußball-Fans dürfte sicherlich das Aufeinandertreffen von Borussia Dortmund und Shakhtar Donezk sein. Und weil wir alle natürlich allwissende Fußball-Connaisseure sind (und die Medien aufmerksam verfolgt haben), wissen wir: Donezk - das ist ein ganz schweres Los. Sehr gefährlich. Auf keinen Fall zu unterschätzen, eine richtig harte Nuss. Ein Geheimfavorit. Würde man einen beliebigen Dortmund-Fan fragen, so würde man wahrscheinlich diese Worte zu hören bekommen. Doch seien wir mal ehrlich: Was macht Donezk denn so gefährlich - oder sind sie das nur, weil sie Chelsea rausgehauen haben? Und noch viel wichtiger: Wenn Shakhtar so gefährlich ist - wer spielt denn dort eigentlich alles...?
Nun würden die meisten doch das Stammeln anfangen. Den Außenverteidiger Darijo Srna kennt man vielleicht noch von Großturnieren. Und dass die Offensivabteilung nur aus Brasilianern besteht, haben wir auch irgendwo aufgeschnappt. Ja, wie gut, dass dieses Halbwissen nicht ganz korrekt ist.
Die Jahre zuvor erlebte Donezk eine schleichende Stagnation. Die heimische Liga gewann man meist, in der Champions League konnte man sich in der CL mit Mühe und Not manchmal sogar bis ins Achtelfinale kämpfen. Dass da Potenzial für mehr war, war unübersehbar, schon bei den Aufeinandertreffen mit Barcelona. Und doch fehlte das gewisse Etwas, um das Team auf das nächste Level zu hieven. Mittlerweile scheint sich herauszustellen: Mein nächster Pick scheint genau dieser Schlüsselfaktor zu sein, der Katalysator, der alle Kräfte entfacht.
Eine besondere Beziehung hat er zu seinem Coach Mircea Lucescu. Dieser sagt über ihn und Donezks neue Stärke: "Unser großer Schritt vorwärts ist gleichbedeutend mit seiner Entwicklung. Er hat das Spiel beschleunigt und neue Räume geöffnet."
Doch bis es so weit war, sollte es noch etwas dauern. Geboren wurde mein Pick in Yerevan, Hauptstadt von Armenien, einem Land, das die Mehrheit der Weltbevölkerung wohl nur durch System of the Down überhaupt kennt (what? ein Neuntrunden-Pick aus Armenien?). Doch, obwohl es viele nicht wissen: Armenien hat eine große Fußball-Tradition. Massenhaft werden technisch starke Talente produziert, welchen es jedoch an Einstellung und taktischem Verständnis mangelt. Bei meinem Pick ist das glücklicherweise nicht so. Schon sein Vater Hamlet (sic!) - schon verstorben, als mein Pick noch ein Kind war - war ein erfolgreicher Fußballer. Sein Sohnemann begann bei Pyutnik Yerevan, wo er bis zum Alter von 20 Jahren spielte und viermal die armenische Meisterschaft abräumte. Schon 2007 fiel er Lucescu in einem CL-Qualifikationsspiel auf - dennoch landete mein Pick beim Stadtrivalen Metalurh Donezk. Ein Jahr später war es dann endlich soweit: Donezk verpflichtete ihn im Alter von 21 Jahren für stattliche 5,85 Millionen Euro. Die Integration fiel ihm nicht schwer: Fünf Jahre seiner Kindheit verbrachte er in Frankreich, durch eine Kooperation von Pyutnik mit dem FC Sao Paulo spielte er ein halbes Jahr in Brasilien. So spricht mein Pick Armenisch, Russisch, Englisch, Französisch und - ganz wichtig bei den vielen Brasilianern im Team - Portugiesisch.
Die ersten anderthalb Jahre verliefen dennoch schleppend. Um seine Defensivarbeit zu verbessern, wurde er im ZM eingesetzt. Erst zur Rückrunde 2011/12 wagte es Lucescu schließlich endlich, vollends auf meinen Pick zu vertrauen (Donezk war in der CL sang- und klanglos als Gruppenletzter ausgeschieden. Gruppensieger wurde APOEL Nikosia...). Spielmacher Jádson wurde verkauft, und mein Pick bekam die Rolle hinter der einzigen Spitze.
Die Maßnahme machte sich bezahlt - eine wahre Leistungsexplosion war die Folge. In den letzten 13 Spielen gelangen ihm 13 Scorerpunkte. Diese Saison lieferte er in 17 Spielen schlappe 18 Tore und legte 7 weitere auf - das ist ein Scorerpunkt alle 59 Minuten! Auch in der Champions League spielte er alle 6 Partien durch und erzielte 2 Tore (beide gegen Nordsjaelland). Mancher mag nun einwenden, dass die ukrainische Liga wahrlich nicht mit Top-Teams en masse aufzuwarten hat - doch das verkennt ein wenig die Realität. Auch wenn es noch sicherlich an Breite mangelt, so ist Ukraine in der 5-Jahreswertung auf Rang 7 - vor den Ligen aus Holland, Türkei, Russland und Griechenland. Metalist Charkov belegte in der EL-Gruppe den ersten Platz - vor Bayer Leverkusen -, ebenso wie der wohlbekannte Buchstabensalat Dnjepropetrowsk (vor dem wie üblich abschenkenden SSC Neapel). Und dass Dynamo Kiev gegen Gladbach nicht schlecht aussah, dürfte bekannt sein. Schon längst hat sich in der Ukraine (nach Dänemark zweitgrößtes Land Europas) - auch dank Investoren - eine veritable Fußball-Kultur etabliert. Und eben jene Liga wird momentan von Donezk dominiert. Ein Spiel verloren sie, die restlichen 17 wurden souverän gewonnen. In der CL landete man bekanntermaßen auf dem zweiten Platz - wer alle Spiele gesehen hat, wird mir zustimmen, wenn ich sage, dass der Gruppensieg allemal möglich war.
Mittlerweile wurde mein Pick zum dritten Mal zu Armeniens Fußballer des Jahres gekürt. Bereits letzte Saison wurde er zum besten Donezk-Spieler gewählt, kürzlich folgte die Ehrung als bester ausländischer Spieler der Premjer Liga. Und auch in der Nationalmannschaft hat mein Pick sein Land auf eine neue Stufe gehievt. Obwohl es außer ihm, Movsiyan und Özbiliz keine Spieler mit Klasse gibt, kam es bei der letzten EM-Qualifikation am letzten Spieltag zu einem Duell um den Playoff-Rang zwischen Irland und Armenien. (Natürlich gewann Irland, ein Tor meines Picks war nicht genug. Insgesamt konnte er mit 10 Scorerpunkten in 10 Spielen aufwarten. Dennoch ist ein dritter Rang bei einer EM-Quali natürlich ein riesiger Erfolg für das Land.) In seiner Heimat nennen sie ihn nicht nur deshalb schlicht "Heno" oder "den Maestro".
Längst ist er auch in den Fokus internationaler Vereine geraten. Ein Angebot von Zenit lehnte Donezk lächelnd ab, doch auch Bayern, Dortmund, Schalke, Tottenham, Florenz oder Inter wird vages Interesse nachgesagt.
Dass er sich auch in einer größeren Liga durchsetzt, gilt als sichere Wette. Körperlich hat er jedoch noch einiges aufzuholen. 1,78m groß, ist er nur mittelmäßig kopfballstark, dafür aber sehr schmächtig. Seine Technik ist gut, aber nicht überragend. Sein Spiel ist direkt und risikoreich, dementsprechend verliert er einige Bälle zu viel. Seine Stärken sind jedoch unbestritten. Zwar hat er eine gute Grundgeschwindigkeit, ist dann aber doch nicht außergewöhnlich schnell - gepaart mit einer engen Ballführung und überdurchschnittlicher Wendigkeit ist er trotzdem eine Gefahr für jeden Abwehrspieler. Dennoch ist er kein klassischer Dribbler. Als hängende Spitze fühlt er sich am wohlsten. Sein Passspiel ist sicher, sein Schuss nicht immer hart, aber sehr präzise, da er den Ball außergewöhnlich sauber trifft. So ist es nicht verwunderlich, dass er auch einen guten Weitschuss im Arsenal hat. Was ihn jedoch von anderen Spielern abhebt, ist seine Spielintelligenz. Sein Raumgefühl ist exzellent, sein offensives Stellungsspiel das eines Knipsers und seine Laufwege elitär. Durch seine gute Körperbeherrschung gelingt es ihm so, viele Tore zu erzielen. Generell gilt mein Pick dennoch als sehr uneigennützig - sein Auge für den besseren Mann ist gut ausgeprägt, seine Übersicht extrem gut. Schnittstellenpässe und Spielverlagerungen kann er genauso wie direktes Kombinationsspiel.
Mental ist er ohnehin für eine große Karriere prädestiniert. Er selbst gilt als bescheiden und fleißig (auch wenn er sich im Strafraum der Gravitation sehr wohl bewusst ist). Sein Einsatz und seine Defensivarbeit sind besonders in der CL enorm wichtig. so erklärt sich auch seine vergleichsweise schwache Scorerbilanz auf europäischer Bühne: Mein Pick hat einen enorm großen Wirkungsradius und lässt sich gerne tief fallen, um das Aufbauspiel anzukurbeln. In den bisherigen Spielen spulte er 74,361 km ab (zweithöchster Wert aller Spieler in der CL) - das sind 12,4 km pro Spiel, für eine hängende Spitze! Auch 2,3 Tacklings und ebenso 2,3 Interceptions sind Werte, die man eher bei einem DM vermutet. Dass er dennoch offensiv gefährlich ist, macht ihn zu einem kompletten Spieler. 1 Keypass pro Partie ist in Ordnung, 1,5 erfolgreiche Dribblings und 1,5 gezogene Fouls ebenso. Seine 4 Torschüsse pro Partie zeigen jedoch sein vielleicht entscheidenstes Manko auf: Ironischerweise seine unkonstante Chancenverwertung. Sollte er dies in den Griff bekommen, so darf sich Borussia Dortmund warm anziehen.
Natürlich hoffe ich, dass er die Bienen in Grund und Boden spielt, damit alle an der Genialität meines nächsten Picks teilhaben dürfen. Und auch wenn er das nicht tut, so ist er den Pick doch alle mal wert.
Geplant ist für ihn die Rolle eines OM/HS-Hybrids. Theorethisch kann mein Pick jedoch nahezu überall eingesetzt werden. Auch als 6er und 8er hat er sich bereits jahrelang verdingt, und theorethisch wäre er ebenso als Winger einsetzbar, auch wenn es ihm dort an Erfahrung mangelt. Auch als False 9 könnte man ihn im äußersten Notfall aufstellen - ein wahrer Allrounder eben.
Ich präsentiere:
Henrikh Mkhitaryan
Bevor ich es vergesse: Der Mann ist 23 Jahre alt.