Was ist wenn man am Wochenende mal wieder von tausend Chancen nur eine reinmacht aber wegen eines Abwehrfehlers und eines Sonntagsschusses gegen Hannover verliert? Dann ist sogar Platz 3 auf einmal höchst gefährdet und Van Gaal womöglich nicht mehr Bayern Trainer (z.B. wenn es vorher auch noch das DFB-Pokal-Aus gegen Schalke gibt).
So, das Horror-Szenario ist dann also tatsächlich eingetreten. Und es stellt sich nunmehr noch schlimmer dar, als selbst ich – der ewig pessimistische Nörgler – es erwartet hätte. Die Entscheidung mit Van Gaal (lediglich) bis zum Saisonende weiterzumachen, setzt einer Spielzeit voll mit eklatanten Fehlentscheidungen die Krone auf.
Wie soll ein Trainer, der allem Anschein nach ohnehin schon Schwierigkeiten hatte die Mannschaft vernünftig auf- und einzustellen als „lame duck“ plötzlich in die Erfolgsspur zurückfinden? Wie kann man erwarten, dass die Spieler diesem Mann noch Vertrauen schenken, wenn ihm das Vertrauen von Vorstandsseite bereits für die Zukunft entzogen wurde? Wie kann man davon ausgehen, dass Van Gaal nunmehr weniger experimentelle Aufstellungen wählt, wenn er nunmehr ohnehin nichts mehr zu verlieren hat?
Schon seit Saisonbeginn erscheinen die Bayern insgesamt ziemlich plan- und ratlos. Seit man feststellen musste, dass nicht alles Gold ist, was noch letzte Saison geglänzt hat, scheint keiner wirklich zu wissen, wie das Ruder rumgerissen werden kann. Dies gilt insbesondere für Van Gaal, dem es nicht gelungen ist, das Team oder das System den aktuellen Gegebenheiten entsprechend umzustellen. Er hält stur an seinem System fest, obwohl es offensichtlich so nicht funktioniert und die Mannschaft ob der von ihm gewählten Aufstellungen völlig verunsichert ist.
Die jüngsten Entwicklungen auf Hoeneß‘ dämliche Äußerungen zurückzuführen ist unsinnig. Natürlich haben sich die Aussagen im Hinblick auf die Autorität von Van Gaal und die generelle Stimmung im Verein nicht förderlich ausgewirkt. Die Winter-Transfers, die teilweise abstrusen Aufstellungen und das starre Festhalten am bestehenden System zeigen aber eindeutig, dass Van Gaal sich nicht von irgendwelchen Störgeräuschen beeinflussen lässt und knallhart sein Ding durchzieht. Insbesondere aber wurde die Saison im Wesentlichen doch bereits vor den Hoeneß-Aussagen durch den Katastrophen-Start versaut, während in der Zeit danach zum Teil ein ordentlicher Punkteschnitt erzielt werden konnte. Die nun einsetzenden Niederlagen plötzlich wieder mit den Äußerungen vom Spät-Herbst in Verbindung bringen zu wollen, ist nun arg weit hergeholt.
Genauso unverständlich ist der Versuch Van Gaal, der wie kein Trainer zuvor bei Bayern schalten und walten konnte, nun in die Opferrolle schreiben zu wollen. Er hat das Transferverhalten entscheidend beeinflusst und bis zuletzt das System und die Aufstellung alleine bestimmt. Insbesondere hat er sich durch seine sture und arrogante Art selbst angreifbar gemacht und insgesamt einfach zu viele Fehlentscheidungen getroffen.
Van Gaal verzichtete absichtlich auf Verstärkungen, um die Jugend zu fördern und die Harmonie im Team zu erhalten. Doch was hatten Breno, Contento bzw. Alaba vor dieser Saison gezeigt, dass man für sie Stammplätze freihalten bzw. auf Verstärkungen verzichten musste? Da lag eindeutig ein Jugendwahn vor, der im Nachhinein die Entwicklung des Vereins mehr bremsen wird, als dies bei den nicht erfolgten ein bis zwei gezielten Verstärkungen in der zurückliegenden Transferperioden der Fall gewesen wäre.
Der sture Glauben Van Gaals an die Überlegenheit seines Systems war der wohl größte Fehler. So konnte man weder auf die Ausfälle von Ribery und Robben noch auf die sich über die gesamte Saison hinziehenden Defensivschwächen adäquat reagieren. Nicht zuletzt führt die Systemstrenge aus meiner Sicht nunmehr auch dazu, dass man in einer Phase in der es spielerisch nicht läuft, nicht in der Lage ist, „über Kampf ins Spiel zu kommen“, da dies im Gegensatz zu der vorgesehenen ruhigen und kontrollierten Spielweise stehen würde.
Gerade die Selbstverständlichkeit mit der am Ende der letzten Saison die Spiele gewonnen wurden, ist in dieser Saison wohl zum Hauptproblem geraten, als es plötzlich nicht mehr lief. Die Mannschaft hat von Van Gaal solch ein Vertrauen in die eigene Stärke und in das System eingepflanzt bekommen, dass sie glaubte, sie müsste sich nur lange genug die Bälle zuschieben, dann würden die Tore schon von alleine fallen. Das Problem ist, dass man im Gegensatz zur letzten Saison keinen Robben in Über-Form hat, der dann die entscheidenden Aktionen setzt. Umso härter trifft es das Selbstvertrauen dieser „Überflieger“ wenn plötzlich so ein Team wie Dortmund daherkommt und ihnen einfach den Schneid abkauft oder wenn es plötzlich von Teams wie Hannover oder Köln Gegenwehr gibt.
Und Van Gaal - der ohne Zweifel ein fähiger Trainer ist, der im Gegensatz zu den Klinsmännern dieser Welt eine genaue Vorstellung davon hat, wie gespielt werden soll – hat plötzlich keine Antworten und ist nicht in der Lage das Team wieder aufzubauen. Vor allem im Hinblick auf die hier gefragten psychologischen Fähigkeiten hatte ich schon vor der verkündeten Trennung zum Saisonende erhebliche Zweifel. Ich glaube kaum, dass die jetzige Situation daran etwas zum positiven ändern wird.
Natürlich steht Van Gaal mit seinen Fehlern
nicht alleine da. Die gesamte sportliche Leitung hat es versäumt, das Team nach der letzten Saison zu verstärken. Die vor der Saison prognostizierten Problemstellen erweisen sich eben als solche. Ob da nun Van Gaal mit seiner Maxime vom kleinen Kader oder das fehlende Verhandlungsgeschick/bzw. die falsche Auswahl von Nerlinger und Co. letztlich den Hauptausschlag gaben, vermag ich nicht zu beurteilen.
Jedenfalls befindet sich die Abwehr in einem noch schlechteren Zustand wie vor einem Jahr. Eindeutig der Schwachpunkt des Kaders. Was in der letzten Saison diskutiert wurde, gilt auch heute noch. Schon da war das Unverständnis groß, dass gerade die Außenverteidigerpositionen nicht gestärkt wurden. Seit Jahren ist eigentlich allen bewusst, dass die Abwehr im Vergleich zum Rest des Kaders schwach besetzt ist. Dann kommen Badstuber, Breno und Contento liefern eine handvoll ordentliche Spiele ab und schon soll alles gut sein? Da hat man endlich einen Kader, der sich nominell ab dem Mittelfeld mit fast allen in Europa messen kann und dann versäumt man es, mit ein - zwei Top-Spielern die Abwehr zu verstärken, in der vagen Hoffnung, dass Van Buyten mindestens so gut spielt wie letzte Saison und dass Badstuber und Contento sich innerhalb von kürzester Zeit zur Weltklasse entwickeln?
In der Offensive fehlt nach wie vor der Backup für die Außenstürmerpositionen (= Robbery) und das obwohl der Hinrunden-Ausfall von Robben bereits zum Ende der Sommer-Transferperiode bekannt war. Der Ausfall und die anschließende Formschwäche von Ribery kamen aufgrund seiner Verletzungsanfälligkeit und seiner dazwischenliegenden Auftritte in den letzten Spielzeiten zumindest nicht ganz unerwartet (insofern wird hier auch die Vertragsverlängerung von Ribery – die zum Preis eines Rekordvertrages geschah und auf Kosten einer stattlichen Ablösesumme von statten ging, die man sich durch diese Verlängerung entgehen ließ – zurecht kritisch gesehen). Es wäre ja auch gar nicht nötig gewesen Robbery gleichwertig zu ersetzen, sondern einen solchen Spielertyp in der "Light-Version" im Kader zu haben für den (häufig vorkommenden) Fall dass einer der beiden verletzt ist oder dass einer seiner Bestform hinterherhinkt. Es war klar, dass da genug Spielzeit für den Ersatzmann übrig bleiben würde. Stattdessen wurde auf Altintop und Kroos gesetzt, obwohl jedem klar sein musste, dass diese Spieler diese Rolle aufgrund ganz anderer Veranlagungen nicht systemgerecht ausfüllen können.
Spätestens im Winter hätten echte Verstärkungen hergemusst für die Verteidigung (LOV und/oder IV) sowie für die Offensive (spielende Sturmspitze und/oder Winger - im Idealfall eine Kombination von beidem). Stattdessen wurden Demichelis, Alaba und v.Bommel weggegeben (Braafheid zähle ich schon gar nicht mehr dazu) und bis auf Gustavo kein Ersatz geholt. Man verwies auf die fehlende Champions League Einsatzberechtigung möglicher Top-Neuzugänge anstatt einzusehen, dass die Neueinkäufe dringend erforderlich gewesen wären, um den Super-Gau im Ligaalltag zu vermeiden. Anstatt 25-30 Millionen für Coentrao in die Hand zu nehmen, werden lieber 16 Millionen für einen Gustavo ausgegeben, für den es noch nicht einmal eine feste Position in der Startelf gibt. Anstatt einen Innenverteidiger von Format zu holen, wird Tymoschuk ins Abwehrzentrum gestellt. Anstatt eine echte Alternative auf Außen zu haben, ist man auf Ribery angewiesen, der meilenweit von seiner Bestform entfernt ist.
Schuld war wohl der auch hier im Forum bis zuletzt noch vorherrschende grenzenlose Optimismus, mit dem alle annahmen, dass man nur den Schalter umlegen müsse, um das Feld von hinten aufzurollen. Genau wie hier im Forum verließ man sich auch innerhalb des Vereins auf die ach so große Stärke, die quasi automatisch dazu führen musste, dass Bayern innerhalb von kürzester Zeit wieder die Liga dominieren wird. Man sah sich in Bestbesetzung auf Augenhöhe mit Barca. Dank der Erfolge auf der Ziellinie der letzten Saison sah alles super und rosig aus. Leider wurde dabei vergessen, was in der Hinrunde 2009/2010 los war. Das Team war lange nicht so gut, wie viele es durch die Vereinsbrille geblendet von den Titeln sehen wollten. Die Erfolge der letzten Saison überstrahlten einiges. In der Champions League hätte man locker in der Vorrunde ausscheiden können (oder angesichts der Bordeaux-Spiele sogar müssen). Gegen ein mittelmäßiges Florenz sah man schon wie der sichere Verlierer aus - gegen Manchester war man praktisch schon ausgeschieden. Die Hinrunde in der Meisterschaft war eine Katastrophe. Die Rückrunde lange nicht so souverän, wie es in der Retrospektive den Anschein hat. Noch am 28. Spieltag war Schalke zwei Punkte vor Bayern. Wenn Bayern nicht das Spiel auf Schalke gewonnen hätte, wäre es schon sehr eng geworden. Ohne Robben in der Form seines Lebens hätte man wohl komplett in die Röhre geschaut.
Dabei hätte eigentlich allen klar sein müssen, dass die Konkurrenz diese Saison deutlich stärker sein würde als noch in der letzten Saison, als nach dem unerklärlichen (wenn auch wiederholten) Einbruch von Leverkusen nur noch das am obersten Limit spielende Schalke als einziger Gegner übrig blieb. Die bittere Wahrheit lautet dagegen schon seit Monaten, dass die Bayern nur deshalb noch (geringe) Aussichten auf die Plätze zwei oder drei in der Liga haben, weil außer Leverkusen nur vermeintliche Überraschungsteams vor dem FCB liegen.
Letztes Jahr hieß es die Mannschaft müsse erst das System lernen – diese Saison mussten lange die WM und das Verletzungspech als Ausreden herhalten. Dann wurde die Ausnahme-Saison von Dortmund herangeführt um den Rückstand auf die Tabellenspitze zu relativieren. Doch all das kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass man eine indiskutable Bundesligasaison gespielt hat, bei der nunmehr die Champions League Qualifikation mehr als nur gefährdet ist. Da ist die Trennung von Van Gaal einfach nur die logische Konsequenz.
Aus meiner Sicht wird durch diese Entlassung auf Raten auch nicht bestätigt, dass kein Trainer bei Bayern dauerhaft arbeiten könne. Es wird nur bestätigt, dass man sich bei Bayern keine Gurkensaison wie diese leisten kann, insbesondere nicht, wenn man ein Team mit solch einem Potential zur Verfügung hat und einem zudem finanzielle Mittel für Verstärkungen zugestanden werden, die für den Rest der Liga unerreichbar sind. Es wird insbesondere bestätigt, dass ein Trainer um dauerhaft bei Bayern arbeiten zu können, vorbehaltlich besonderer Umstände oder anderer großer Erfolge die Bayern immer in den Top-3 der Liga halten muss (daneben muss auch die internationale Konkurrenzfähigkeit aufgezeigt werden – aber die Bundesliga bleibt immer das Kerngeschäft). Insbesondere darf aber die Champions League Qualifikation nicht in einer Art und Weise in Gefahr geraten, die kaum noch Hoffnung auf Besserung lässt. Das hört sich nach einem überhöhten Anspruch an, ist bei Bayerns Ausnahmestellung in Deutschland aus meiner Sicht aber nicht zu viel verlangt.
Wenn auf Ferguson bei Manchester als Vorbild für Konstanz verwiesen wird, muss auch beachtet werden wie oft ManU in den letzten Jahren die Champions-League-Qualifikation verpasst hat. Wenn das Festhalten an Klopp in Dortmund hervorgehoben wird, muss zum einen beachtet werden, dass die Ausgangsposition eine ganz andere war und das zum anderen an Van Gaal in der Hinrunde der letzten Saison genauso festgalten wurde, wie auch in dieser Saison der Katastrophen-Start lange verziehen wurde (man hat ja sogar in der Schwächephase seinen Vertrag verlängert). Außerdem sieht es bei den anderen Top-Vereinen in Europa doch auch nicht anders aus. Egal ob Real, Inter, Chelsea seit Mourinho, Barcelona vor Rijkaard. Überall werden Trainer regelmäßig im Misserfolgsfall entlassen. Ich glaube kaum, dass Bayern da in der Trainerzunft ein besonders negatives Bild abgibt.