Passend zum Thema hier auch noch ein interessanter "Erfahrungsbericht" eines Schalker Fan (aus blutgraetsche.de):
Nutella oder Nuspli?
Es ist Samstag, 17:30 Uhr, und mein Verein hat in dieser Saison das erste BuLiSpiel verloren. Soweit nix Besonderes, kam in seiner 101-jährigen Geschichte schon öfter mal vor. Neu ist allerdings, dass die wenigen Spieler, die es nach dieser Grottenleistung zum Spielschluss in die Kurve zieht, nach nur 2 Niederlagen in Folge (inklusive der 06-Klatsche im DFB-Pokal) mit Bierbechern und Hasstiraden beworfen werden. Was geht denn hier ab?
Das Spiel ist gerade vorbei, ich sitze an einem Hamburger Würstchenstand neben dem Autoparkplatz. Warte auf meine Mitfahrer, genehmige mir das obligatorische Würstchen (hätte die Verkäuferin ruhig nen bisserl streicheln können, so kurz wie die ist!) und einen dampfenden Kaffee. So sollte Fußball sein, der Bratwurstgrill auf Tapetentischen und damit finanziert sich der Hundeverein an Spieltagen. Ein paar billige Plastikstühle und schon kommt bei mir das alte Flair, das mir dieser Sport so weit gebracht hat, wieder durch. Wir haben einen wunderschönen Spätherbst, das Leben könnte so schön sein, wäre da nicht der Fußball. Aber ich wollte ja unbedingt nach dieser Pokalpleite (Schalke06) nach Hamburg. Hier, wo die Mannschaft auf dem Platz zeigen wollte, was in ihr steckt. Heraus kam nur ein hilf- und wehrloses Gewurstel mit null Punkten. Sicherlich mal wieder eine Niederlage der unschönen Art (wobei, welche Niederlage ist schon schön?) Aber in meinem nun doch schon längeren Fansein nur eine von vielen. Allerdings eine besondere, den bisher habe ich es noch nicht erlebt, dass nach der ersten Bundesliganiederlage am 11. Spieltag Becher fliegen, das "Wir sind Schalker und ihr nicht" rausgebrüllt und letztlich sogar der Spielerbus blockiert wird. Das alles nach der ersten Liganiederlage? Erinnerungen an die Nachbarn 40 km östlich kommen auf, hat man da vor einem Jahr noch drüber gelacht und nun trifft es uns?
Woher kommt dieser schnelle Unmut?
Die Antwort liegt nicht auf´m Platz wie die alte Phrase sagt, sondern auf den Rängen. Mein Verein hat den Nutellaweg gewählt. Mir persönlich hat eigentlich jahrelang Nuspli (die kostengünstigere Nussnougatcreme) gereicht. Damit konnte man die großen Bayern ärgern, das ein oder andere Schnippchen schlagen und als Underdog den Respekt - nicht die Sympathie - des Rests der Republik ernten. So lebte ich mit und für meinen Verein. Das hat lange Zeit funktioniert und uns sogar den UEFA-Cup eingebracht. In der Saison 2003/04 hatten wir sogar 4 Spieler, die in Gelsenkirchen geboren sind, im Kader – einmalig in Deutschland und welche Chance, Schalke mal wieder unsterblich zu machen.
Doch plötzlich muss der Verein bei den Großen im internationalen Geschäft mitspielen, die Champions League muss her. Der „Popelverein" Schalke 04 soll auf Augenhöhe mit den Bayern spielen. Dazu wird richtig aufgerüstet. Trotz vollmundiger Aussage, nur ablösefreie Spieler, die auch charakterlich nach Schalke passen, zu holen, überschlagen sich plötzlich die Transfersummen und Handgelder. Als erstes kommt ein pummeliger Brasilianer, der passt charakterlich besonders gut auf Schalke. Schöne neue Welt.
Beträge, die jedem Normalverdiener das Blut aus dem Kopf treiben, werden plötzlich realisiert um den Kader auf Teufel komm raus zu ergänzen. Als Glanzstück kommt dann die Werbeikone von Nutella für schwindelerregende 7,5 Millionen Euro, weil er CL spielen will und sein alter Verein dies nicht erreicht hat – ein echter Schalker.
Plötzlich wird alles anders, selbst beim Training. Früher schauten dort neben den obligatorischen Rentnern ein paar Hausfrauen mit Kinderwagen und einige die Vorlesung schwänzende Studenten zu. Auf einmal wird jetzt das selbe Training von einer Schar kreischenden Teenies begleitet. Trotz der Vereinsfarben Blau und Weiß gibt es pinkfarbige Schals und Shirts.
Das Auf-Schalke-gehen mutiert immer mehr zum Event.
Die Spieler werden vereinnahmt, sind ja im Eintrittspreis enthalten. Frank Rost bekommt das zuerst zu spüren.
Schon beim Klassiker, dem Bauernspiel, sieht man die Auswüchse. Die Mannschaft liegt 0:1 hinten, zum ersten Mal kommt kaum Stimmung. Das Spiel des Jahres, die Schwarzmarktpreis sind wie immer gigantisch, aber die Fans nicht. Der Name Donnerhalle erscheint als schlechter Witz. Das erste Mal seit Bestehen der Arena kann man die Bauernfans hören. Diese Ich-habe-bezahlt-und-will-was-sehen Mentalität schlägt ohne Erbarmen zu. Tja, genau die Fans, die in einem Sieg gegen Lüdenscheid auch nur ein 3 Punkte Spiel sehen.
Heute dann der nächste Schlag, "Wir sind Schalker und ihr nicht" und dies wird mit geworfenen vollen Bierbechern untermauert. Einzig Fränky kommt an den Zaun, andere Spieler warten in sicherer Entfernung. Was geht da ab? Welche Brut hat der Verein sich da frankensteinartig gezeugt? "Die ich rief, die Geister, werd ich nun nicht los", das geflügeltes Wort aus Goethes Zauberlehrling meißelt sich unauslöschbar in mein Hirn. Bin ich wirklich der letzte Nusplifan im Verein?
Meine Kaffee ist längst alle und die Sonne versinkt wie meine Hoffnung auf baldige Besserung. Um mich herum strahlende Hamburger, die im Moment wohl Oberwasser haben. Keiner kann den Schmerz eines Fans besser nachvollziehen als ein Rautenanhänger. Wer die Trainer Pagelsdorf, Jara und Toppmöller überlebt sowie die Phrasen Beiersdorfers über sich ergehen lassen muss, hat ein Anrecht auf ein bisschen Bundesligasonne.
Meine Mitfahrer tauchen auf und der lange Weg nach Hause beginnt. Einschließlich der obligatorischen heißen Diskussionen ohne wirkliche Lösungen der Misere. Aber deshalb liebe ich den Fußball und im Besonderen meinen Verein. Selbst in meinem Auto sitzen jetzt 3 Trainer, die alles besser machen würden - nur niemals die eigenen Spieler mit Bierbechern und Hass bewerfen.
Blauweiße Grüße
Chip